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# taz.de -- Vorkaufsrecht bei Mietshäusern: Was auf den Deckel gegeben
> In letzter Minute hat Neukölln das Vorkaufsrecht für die Leinestraße 8
> gezogen. Ausgerechnet der Mietendeckel könnte am Zögern schuld gewesen
> sein.
Bild: Auf einer Demo gegen #Mietenwahnsinn im April
Exakt 23 Wohnungen versammelt das Haus in der Neuköllner Leinestraße 8.
Darin leben Familien, Studenten, Berufstätige, Rentner und Erwerbslose, die
durchschnittliche Miete liegt schon heute bei etwa 8 Euro bruttokalt pro
Quadratmeter. Ein klassischer Berliner Altbau – mit einem klassischen
Berliner Bedrohungsszenario: Ein Investor, die Aramid GmbH mit Sitz im
Steuerparadies Liechtenstein, wollte das Gebäude kaufen. Ebenfalls schon
fast klassisch: Die Hausgemeinschaft machte gegen den Verkauf mobil und
drängte den Bezirk, das Vorkaufsrecht zu ziehen. Doch erst in der letzten
Sekunde willigte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo ein, das
Haus zu kaufen.
Der erstaunliche Verdacht der Mieter: Ausgerechnet der angekündigte
Mietendeckel könnte für das Zögern der Degewo verantwortlich sein.
Die Leine8, wie die Bewohner ihr Haus nennen, gehört zum Milieuschutzgebiet
Schillerpromenade. In solchen Gebieten verfügt der Bezirk über das
Vorkaufsrecht, um Mieter vor Verdrängung durch rasant steigende Mieten zu
schützen. Voraussetzung dafür, dass dieses Recht auch zur Anwendung kommt:
dass der Bezirk eine der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft überreden
kann, das Haus auch tatsächlich zu kaufen.
## Auf Wirtschaftlichkeit bedacht
Schließlich sind auch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auf
Wirtschaftlichkeit bedacht. Ein Kaufpreis, der beim zwölf- bis 20-Fachen
der erwarteten jährlichen Mieteinnahmen liegt, gilt als vertretbar. Bei der
Leine8 aber sei der Kaufpreis so hoch gewesen, dass er sich erst in 35 bis
50 Jahren durch die Mieten amortisieren wird – allein deswegen sei es
schwer gewesen, die Landeseigenen zum Kauf zu überreden, sagt Neuköllns
Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne).
Doch das sei nicht der einzige Faktor gewesen: „Der Mietendeckel hat es
erschwert, eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft zu finden, die bereit
war, das Vorkaufsrecht in diesem Fall umzusetzen“, sagt Biedermann der taz.
Die Hausgemeinschaft bestätigt das: „Uns wurde signalisiert, dass Degewo
und die Gewobag den Vorkauf mit dem kommenden Mietendeckel als Vorwand
ablehnen“, sagt Jorinde Schulz, Mieterin der Leine8.
Die Sprecher von Degewo und Gewobag widersprechen dem: Der Mietendeckel
habe bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit und der daraus resultierten
vorübergehenden Ablehnung des Vorkaufs „keine Rolle gespielt“, sagen sie
taz.
Fakt ist: Erst nachdem die RBB-„Abendschau“ am 12. September berichtet
hatte, der Mietendeckel sorge dafür, dass sich keine landeseigene
Wohnungsbaugesellschaft für den Kauf finde, änderte sich die Situation.
Sowohl Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) als auch Finanzsenator
Matthias Kollatz (SPD) sagten hernach, die Wohnungsbaugesellschaften
sollten den Mietendeckel bei ihren Wirtschaftlichkeitsberechnungen nicht
beachten.
Am Dienstag erfuhren die Bewohner der Leinestraße 8 dann per Post: Ihr Haus
ist gerettet, die Degewo hat, knapp vor Ende der Frist, doch noch
zugeschlagen.
## Müssen höhere Zuschüsse her?
Der Fall wirft Fragen auf: Ist die Aufforderung der Senatoren an die
Landeseigenen, den Mietendeckel zu missachten, so zu interpretieren, dass
sie selbst nicht ganz daran glauben, dass dieser tatsächlich in Kraft
tritt? Oder will das Land die Einbußen, die die landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften durch den Mietendeckel hinnehmen müssen, künftig
durch höhere Zuschüsse ausgleichen? Eva Henkel, Sprecherin der
Senatsverwaltung für Finanzen, schließt diese Möglichkeit kategorisch aus:
Höhere Zuschüsse würden den Landeseigenen einen Wettbewerbsvorteil
verschaffen und seien damit illegal.
Fest steht: Der öffentliche Druck, den die Hausgemeinschaft organisiert
hat, trug offenbar zum Erfolg bei. Mit der von den Bewohnern der Leine8
organisierten Initiative „Kiez statt Kies“ solidarisierten sich zahlreiche
Vertreter aus Politik und anderen Mieterinitiativen.
Was genau in den Verhandlungen zwischen Bezirk, Senat und Degewo gelaufen
ist, wird aber wohl fürs Erste ein Geheimnis bleiben: Stadtrat Biedermann,
die Degewo und die Senatsverwaltung für Finanzen verweisen als Reaktion auf
die diesbezüglichen Anfragen der taz auf den jeweils anderen, wirklich
Auskunft geben will niemand. Eine langfristige Strategie, wie die
Instrumente Vorkaufsrecht und Mietendeckel in Einklang zu bringen sind,
scheint es noch nicht zu geben.
22 Sep 2019
## AUTOREN
Lucas Liskowski
## TAGS
Vorkaufsrecht
Gentrifizierung
Mietendeckel
Mietendeckel
Katrin Lompscher
Katrin Lompscher
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