# taz.de -- Vor der Präsidentenwahl in Argentinien: Die Zeichen stehen auf Mac… | |
> Die Bilanz des argentinischen Amtsinhabers Mauricio Macri ist verheerend. | |
> Deshalb steht jetzt der Peronismus vor der Rückkehr an die Macht. | |
Bild: Unterstützer von Präsident Mauricio Macri beim „Marsch der Millionen�… | |
BUENOS AIRES taz | „Sí, se puede – Ja, es geht.“ Hunderttausendfach scha… | |
es aus dem hellblau-weißen Fahnenmeer. Mit dem „Marsch der Millionen“ | |
gelang Argentiniens liberal-konservativem Präsidenten Mauricio Macri | |
vergangenen Samstag eine beeindruckende Kulisse. 350.000 Menschen waren auf | |
die breite Avenida 9 de Julio im Zentrum der Hauptstadt Buenos Aires | |
gekommen, um Macris Wiederwahl zu unterstützen. „Lo damos vuelta – Wir | |
dreh’n das um“, skandierten sie und meinten damit die herbe Schlappe bei | |
den Vorwahlen. | |
Ob das bei der Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag auch gelingt, ist | |
allerdings fraglich. Mit gut fünfzehn Prozent Stimmenunterschied hatte | |
Herausforderer Alberto Fernández den amtierenden Macri abgehängt. 47,7 | |
Prozent der Stimmberechtigten votierten am 11. August für den | |
Mitte-links-orientierten Fernández. Sollte sich das Ergebnis am Sonntag | |
wiederholen, hätte Fernández die Wahl im ersten Durchgang gewonnen. Dafür | |
nötig sind 45 Prozent der Stimmen. | |
„Argentinien geht es heute besser als vor vier Jahren“, meint | |
fahnenschwenkend die 45-jährige Gladys Montielle, die im Stadtviertel | |
Palermo eine Modeboutique betreibt. Schließlich habe Präsident Macri mit | |
Korruption und Klientelismus der Kirchner-Regierungen aufgeräumt. | |
Dass sich das Land wirtschaftlich und sozial auf einer bedrohlichen | |
Talfahrt befindet, lässt sie nicht gelten: „Mauricio braucht einfach mehr | |
Zeit.“ Gladys Montielle war auch am 24. August dabei, bei der ersten großen | |
Kundgebung für den Präsidenten nach dem niederschmetternden Abschneiden bei | |
den Vorwahlen. Als Macri unerwartet auf dem Balkon der Casa Rosada | |
erschien, liefen bei ihr die Tränen. | |
## Direkter Kontakt | |
Bis dahin gehörten Massenversammlungen nicht zum Instrumentarium von Macris | |
Wahlkampfallianz Juntos por el Cambio (Zusammen für den Wandel). Doch | |
nachdem am 24. August so viele gekommen waren, entwickelte die | |
Kampagnenleitung den „Marcha del Sí, se puede“. Statt in geschlossenen | |
Räumen vor ausgewählten Publikum sollte Macri jetzt den direkten Kontakt | |
zur Bevölkerung suchen. | |
Über 30 Mal trat er seither auf. Gab sich emotional wie ein Wanderprediger. | |
Zeigte Reue angesichts der Krise und versprühte Zuversicht, das Blatt | |
wenden zu können. Mal kamen 10.000, mal waren es 200.000 und letzten | |
Samstag über 350.000. | |
30 Prozent der Wahlberechtigten stehen fest zu ihrem Präsidenten. | |
Entscheiden werden die Wahl jedoch die Wechselwähler*innen. Wie Susana | |
Bárez. „Bei der letzten Wahl habe ich für Macri gestimmt“, sagt sie. Sie | |
habe an eine positive Änderung geglaubt. „Ich habe mich geirrt.“ | |
Jetzt steht sie auf dem Platz vor der Bahnstation von Sarandí, einem Vorort | |
im Süden von Buenos Aires. Die 43-Jährige ist Mitorganisatorin von | |
„Manteros Sarandí“, einer von zahllosen Tauschgruppen, die seit Monaten | |
einen enormen Zulauf erleben. | |
## Überleben sichern | |
Während der tiefen Krise von 2001 waren diese Tauschmärkte entstanden. | |
Kleidung gegen Nahrungsmittel, Haare schneiden gegen die Reparatur eines | |
verstopften Rohres. Damals sicherten sie vielen das Überleben. Der große | |
Unterschied heute: Vieles wird vorab über Facebook vereinbart. Dort hat | |
auch Bárez ihre gebrauchten T-Shirts eingestellt und zum Tausch angeboten. | |
Jetzt wartet sie auf die vereinbarten drei Pakete Nudeln und zwei Pfund | |
Trockenmilch. | |
Als Macri 2015 an die Regierung kam, hatte Susana Bárez Arbeit als | |
Reinigungskraft in einem Metallbetrieb. Als der Betrieb in die Miesen | |
geriet, wurde sie wie viele entlassen. „Cristina Kirchner hat geklaut, o. | |
k., aber mein Kühlschrank war voll. Ich hatte Milch für die Kinder und | |
Fleisch im Eisfach. Heute regieren auch keine Unschuldslämmer und mein | |
Kühlschrank ist leer. Mir wurde das Gas abgestellt. Jetzt muss ich eine | |
Gasflasche kaufen, wenn ich sie bezahlen kann“, so Bárez’ persönliche | |
Bilanz. | |
„Uns alle hier treibt die Inflation immer tiefer in die Armut.“ Ihr | |
ausgestreckter Arm weist über den Platz. Für 2019 wird mit einem | |
Preisanstieg von über 55 Prozent gerechnet. Lebensmittel und Getränke sind | |
schon in den letzten zwölf Monaten um 57 Prozent teurer geworden, meldete | |
erst vor wenigen Tagen die Statistikbehörde Indec. | |
Der Kampf gegen die Armut war eines der zentralen Versprechen von Präsident | |
Macri. Aber am Ende seiner Amtszeit leben mit 35,4 Prozent der Bevölkerung | |
mehr Menschen in Armut als vor vier Jahren. Mitte September verlängerte der | |
Kongress in Eilsitzungen den Ernährungsnotstand und bewilligte für den Rest | |
des Jahres zusätzliche Lebensmittelhilfen für Arme und Notleidende im Wert | |
von 170 Millionen Euro. | |
## Keine Entlassungen | |
Auch Daniel Torres bereut es, für Macri gestimmt zu haben. Der 54-Jährige | |
steht vor den geschlossenen Werkstoren von Zanella in Caseros, einem Vorort | |
westlich der Hauptstadt. Der Wind fegt den Staub durch die Straße, sonst | |
bewegt sich hier nichts. | |
Torres ist hier, um einige Aufräumarbeiten zu erledigen. Seit über 70 | |
Jahren stellt Zanella Motorroller und -räder her. Torres ist seit 33 Jahren | |
dabei. Drei Monatslöhne schuldet ihm die Firma bereits, wie auch den | |
anderen 130 Beschäftigten in Caseros. Entlassen wurde noch niemand, gerade | |
läuft die Schlichtung. | |
Noch ist die Traditionsmarke die Nummer drei auf dem heimischen Markt. An | |
vier Standorten wurde produziert. Doch statt 2019 die Herstellung des 2,5 | |
Millionsten Motorrads zu feiern, brach der Markt ein. Im Juli wurde das | |
Werk in der Küstenstadt Mar del Plata geschlossen, im August das in der | |
Provinz Córdoba. Von den ehemals 500 Beschäftigten in der Provinz San Luis | |
arbeiten noch 50 im dortigen Werk. | |
Zanella ist ein Paradebeispiel für den Niedergang der argentinischen | |
Industrie, die sich seit zwei Jahren im scheinbar unaufhaltsamen Sinkflug | |
befindet. Reihenweise geben mittelständische Unternehmen auf, | |
Werksschließungen und Entlassungen sind an der Tagesordnung. Mit 10,1 | |
Prozent kletterte die Arbeitslosigkeit gerade auf die höchste Rate seit | |
dreizehn Jahren. | |
## Karre aus dem Dreck ziehen | |
Beschäftigte und Unternehmer*innen kehren Macri den Rücken. „Macri allein | |
ist dafür nicht verantwortlich“, sagt Daniel Torres. Aber dass Macri die | |
Karre aus dem Dreck ziehen kann, daran glauben er und viele seiner | |
Kolleg*innen nicht. Am Sonntag will er für den Wechsel stimmen. „Die Kröte | |
Cristina muss ich schlucken. Ich hoffe, Alberto bleibt eigenständig genug.“ | |
Cristina Kirchners Entscheidung für das Vizeamt zu kandidieren und, zur | |
Überraschung aller, Alberto Fernández zum Präsidentschaftskandidaten zu | |
küren, erwies sich als genialer Schachzug. Während sie ihre | |
Stammwähler*innen von 30 Prozent einbringt, gelingt es Alberto Fernández | |
durch sein offenes Zugehen auf die unentschlossenen und gegen Cristina | |
eingestellten Stimmberechtigten den notwendigen Stimmenzuwachs zu holen. | |
Stimmen für den Wechsel, wie die von Susana Bárez und Daniel Torres. | |
26 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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