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# taz.de -- Verschwörungstheorien in Corona-Zeiten: Erichs Rache
> Rechts wie links mutmaßen Verschwörungstheoretiker, „die Medien“ schür…
> für Regierungen „Corona-Hysterie“. Grundwissen in Naturwissenschaften
> hilft.
Bild: Polizist und Passant im Gespräch in Madrids Innenstadt wegen der Corona-…
BERLIN taz | So bescheuert die Hufeisen-Theorie auch ist – oder
[1][erinnert sich überhaupt noch jemand an diese Debatte] vor einigen Äonen
wegen eines jetzt vermutlich unter Quarantäne stehenden ostdeutschen
Bundeslandes? –, in einem Punkt jedenfalls nähert sich die Hufeisen-Theorie
der Realität doch an: Das verschwörungstheoretische Denken in rechten und
linken Kreisen weist allerhand Parallelen auf.
„Corona-Hysterie“ oder „Corona-Panik“: Von rechts wie links wird gemutm…
dass diese von „den Medien“ geschürt werde, im Dienste von irgendwelchen
sinisteren Gruppen da oben, Regierungen und Konzernen, die den autoritären
Staat wollen. Als Vorübung für den Faschismus oder zur kapitalistischen
Optimierung der Gesellschaft, mutmaßen die ganz kritischen Geister von
links.
Von rechts klingt es ähnlich, nur [2][dass noch irgendwas mit Umvolkung,
Rothschild und Soros reinmuss.] Wobei die Angst der Faschisten vor dem
autoritären Staat natürlich etwas Komisches hat. Das Tempo, mit dem nicht
für möglich gehaltene Einschränkungen gerade umgesetzt werden, ist für eine
freie Gesellschaft schier atemberaubend.
Als sich Ähnliches vor gerade einmal zwei Monaten in China ereignete,
schauten wir staunend und kopfschüttelnd zu und murmelten, dass so etwas
hierzulande undenkbar sei. Nun sitzen wir seit diesem Wochenende ratlos in
unseren Wohnungen, mit Reisebeschränkungen, die Erich Honecker Tränen der
Rührung in die Augen getrieben hätten, und dürfen unseren Zorn über den
verblüffenden Winkelzug des Kapitals, den Kapitalismus jetzt einfach
stillzulegen, nicht mal mehr beim linksautonomen Stammtisch um die Ecke
kundtun, weil die Kneipen halt auch alle dicht sind.
## Demokratisches Virus
Dumm nur, dass in ihren Stuben immer noch diese lästigen Wissenschaftler
herumsitzen, die einmal mehr darauf beharren, dass Viren sich ebenso wie
CO2-Moleküle nicht an staatliche Gesetze, sondern ausschließlich an die der
Natur halten. Und die besagen ganz schlicht: Eine Infektion erfolgt, wenn
Mensch A mit dem Krankheitserreger von Mensch B in Kontakt kommt, und dass
eine bestimmte Zahl der A-Menschen das am Ende nicht überlebt. Das ist
keine Hysterie, sondern theoretisch gut verstanden und empirisch belegt,
Covid-19 ist ja nicht die erste Pandemie.
Dabei ist das verursachende Virus Sars-CoV-2 ziemlich demokratisch: Es
befällt bräsige Karnevalistinnen ebenso wie hippe Clubbesucher,
Hollywood-Celebritys wie altersschwache Heimbewohnerinnen, faschistische
Staatenlenker wie klerikalfaschistische Ajatollahs. Es wird auch nicht
haltmachen vor den Aktivistinnen linker Stadtteilfeste oder Demonstranten
gegen zu hohe Mietpreise.
So ist es letztlich mit dem Virus wie mit dem Klimawandel, der
Biodiversitätskrise oder der Homöopathie: Die Natur, diese hyperautoritäre
Überregierung, schert sich einen Dreck um die Debatten ihrer Geschöpfe mit
den lustigen Theorien.
Natürlich ist es richtig, dass bei anderen Krankheiten oder beim
Straßenverkehr ebenfalls hohe Opferzahlen in Kauf genommen wurden, ohne
dass vergleichbar drastisch reagiert wurde. Es deswegen bei einer neuen
Pandemie ebenso zu halten, ist kein gutes Argument.
## Diesmal Mathe statt Marx
Zumal ganz offensichtlich bei manchem einfache Gesetzmäßigkeiten wie
fehlender Herdenschutz und exponenzielles Wachstum nicht ganz verstanden
werden. Wo der Mathe-Unterricht jetzt jenseits der Schulzimmer abgehalten
werden muss, böte sich da für manche Hysterie-Hysteriker die Chance zum
Nachbessern via Einklinken in Online-Lerneinheiten. Auch für soziale Fragen
helfen manchmal Grundkenntnisse in Naturwissenschaften mehr als in
marxistischer Theorie.
Dann käme man vielleicht zu der Erkenntnis, dass die aktuellen Maßnahmen –
über deren Details natürlich gestritten werden kann – nicht der
überbordenden Fantasie von Autoritätsfetischisten entspringen, sondern
bereits ziemlich verspätet kommen, weil eine freiheitsgewöhnte Gesellschaft
und auf Wahlerfolge fixierte Politik sich schwer damit taten, das
umzusetzen, was wissenschaftlich längst geboten war. Schon das hatte einen
Preis – der in zwei bis drei Wochen auf den Intensivstationen des Landes
bezahlt wird.
16 Mar 2020
## LINKS
[1] /Merkels-Ende-das-Hufeisen-und-die-Mitte/!5663846
[2] https://www.derstandard.de/story/2000115721058/orban-auslaender-und-george-…
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
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