# taz.de -- Unmenschliche Rohstoffgewinnung im Kongo: Die Zinnsoldaten von Bisie | |
> In der größten Zinnmine Afrikas schuften die lokalen Bergleute unter | |
> unzumutbaren Bedingungen - und unter der Knute der kongolesischen Armee. | |
Bild: Leidtragende bei den Kämpfen um die Rohstoffvorkommen sind die Menschen.… | |
Khawa verbringt sein Leben unter der Erde. Heute, zum Ende seiner | |
72-Stunden-Schicht, arbeitet er sich wie ein Maulwurf durch einen langen, | |
schmalen Tunnel in Richtung Sonnenlicht. Oben warten Soldaten auf ihn, mit | |
automatischen Gewehren über der Schulter und Haschischzigaretten in der | |
Hand. Während der 21-jährige Khawa müde ins Licht blinzelt, nehmen ihm die | |
Soldaten schnell seine Ladung roter Steine ab. Sie haben darauf den ganzen | |
Tag gewartet. | |
Das rote Gestein enthält Zinnerz, im Kongo cassiterite genannt. Eine Tonne | |
reines Zinn kostet auf dem Weltmarkt heute über 23.000 US-Dollar - viermal | |
so viel wie vor vier Jahren -, und das Erz von Bisie hat einen Zinngehalt | |
von rund 60 Prozent. Seit dem Verbot von bleihaltigen Substanzen in | |
zahlreichen Anwendungen durch die Europäische Union und Japan wird Zinn | |
immer häufiger in der Elektronikindustrie eingesetzt, und bei kaum einem | |
anderen Bergbauprodukt der Welt sind in den letzten Jahren Nachfrage und | |
Preis so schnell gestiegen. | |
Aus Bisie, einem kahlen Hügel tief im Regenwald der Provinz Nordkivu im | |
Osten der Demokratischen Republik Kongo, kommen nach offiziellen Angaben | |
jährlich knapp 3.000 Tonnen Zinnerz, nach Statistiken aus den | |
Fördergebieten selbst über 10.000 - ein Weltmarktwert von über 120 | |
Millionen Dollar. Das müsste eine gute Nachricht sein für die Bergleute in | |
einer von Jahrzehnten des Krieges schwer gezeichneten Weltregion. Aber | |
nicht sie und die Bevölkerung profitieren vom Abbau, sondern | |
Militäreinheiten und Milizen außer Kontrolle. Sie wirtschaften auf eigene | |
Rechnung, schröpfen den Handel und haben aus dem mineralienreichen | |
Walddistrikt Walikale im Ostkongo einen rechtsfreien Raum dauernder | |
Unsicherheit gemacht. | |
"Wir müssen seit achtzehn Monaten höhere Gewalt geltend machen, weil nicht | |
wir die Mine kontrollieren, sondern das Militär", erklärt in der | |
Provinzhauptstadt Goma Brian Christophers, Kongo-Manager von Kivu | |
Resources. Die südafrikanische Firma, deren größter Anteilseigner der | |
afrikanische Investmentfonds Jonah Capital ist, hält theoretisch die | |
Schürfrechte für Bisie - kann dort aber nicht arbeiten. "Das hindert uns | |
daran, einen regelkonformen Förderprozess in Gang zu setzen und | |
Sozialprogramme für die Bevölkerung zu starten." | |
Das Militär in Bisie ist die 85. Brigade der kongolesischen | |
Regierungsarmee. Sie besteht aus früheren lokalen Milizen und kontrolliert | |
den lukrativen Zinnhandel im Distrikt Walikale mit der Mine Bisie im | |
Zentrum. Das Zinnerz wird größtenteils von der Flugpiste von Walikale - | |
eigentlich die längst nicht mehr befahrbare Landstraße - in die | |
Provinzhauptstadt Goma geflogen. Von Goma aus wird es exportiert - allein | |
im Jahr 2006 nahm die Provinz Nordkivu rund 25 Millionen Dollar aus dem | |
Zinnerzexport ein, das meiste davon außerhalb der Legalität. Wer dieses | |
lukrative Geschäft kontrolliert, beherrscht die Region. | |
Kein Wunder, dass die Waffe über die Macht im Bergbaugebiet entscheidet und | |
dass diejenigen, die keine Bergwerke kontrollieren, zumindest an den | |
Handelswegen versuchen, einen Anteil abzukriegen. Sogar als Ende 2007 ein | |
heftiger Krieg zwischen Nordkivus rivalisierenden Fraktionen tobte, gingen | |
die Zinnflüge aus Bisie nach Goma weiter - mit täglich rund 27 Tonnen, | |
"Ich bin vor Rebellen geflüchtet", sagt Lokwa, ein 14-jähriger Bergarbeiter | |
in Bisie, der selbst schon Kriegsveteran ist. "Als ich floh, war ich elf, | |
und seitdem arbeite ich in der Mine. Ich arbeite Schichten von 48 Stunden, | |
mir bleibt keine Wahl." Wo seine Familie ist, weiß er nicht. | |
"Wahrscheinlich denken sie, ich sei tot." | |
Lokwa ist kein Einzelfall. Viele der rund 2.000 Bergleute von Bisie, in | |
Lumpen gekleidet, kommen von den Rändern der Gesellschaft, es sind | |
demobilisierte oder geflohene Soldaten oder Milizionäre, oder es sind | |
Bauern, die der Krieg von ihren Feldern verjagt hat. Nach Zinn zu graben | |
ist ihre einzige Verdienstmöglichkeit. Neuerdings kommen auch etabliertere | |
Leute in die Minen, sogar Lehrer, denn hier verdienen sie immerhin mehr als | |
mit ihrer eigentlichen Arbeit. | |
Die Bergarbeit in Bisie ist Schufterei in Dunkelheit und Dreck. Der Tunnel | |
"Makarios", einer von Dutzenden in dem Hügel, ist ein Loch, das tief in die | |
Erde hineinführt, nicht breiter als ein Kanalisationsrohr. Dampf steigt aus | |
dem Loch auf und füllt die Luft mit einem schweren, bitteren Gestank. "Wir | |
warten, bis die Würmer rauskommen", frotzelt ein Bergarbeiter. Drinnen ist | |
es so eng, dass man sich nicht einmal umdrehen kann; nur rückwärts geht es | |
wieder hinaus. Es gibt kaum Luft zum Atmen, es ist so heiß und schwül wie | |
in der Sauna, und Schweiß läuft die Tunnelwände herunter. | |
Tief in der Erde hallen Wortfetzen und dumpfe Hammerschläge. Der Tunnel | |
führt zu einer unterirdischen Höhle, die die Bergleute "Grand Salon" | |
nennen. 150 von ihnen klopfen hier an den Wänden in der Dunkelheit. "Wir | |
bleiben jeweils drei Tage hier unten", erklärt Khawa. "Wir wechseln uns ab: | |
acht Stunden Arbeit, fünf Stunden Ruhe. Wir essen Reis und Bohnen und | |
schlafen auf der Erde." Nebenhöhlen dienen als Toiletten, wie man deutlich | |
riecht. "So schlimm ist es nun auch wieder nicht", ruft ein Bergmann, und | |
alle lachen. | |
Kommandeur der 85. Brigade ist Oberst Samy Matumo. Er kontrolliert manche | |
Minen direkt und überwacht und besteuert die anderen. Bis zu drei Tage die | |
Woche ruft er "Salongo" aus, einen Tag unbezahlter gemeinnütziger Arbeit. | |
Wenn Salongo ist, kommen die Soldaten und nehmen das Erz, ohne zu bezahlen. | |
Ansonsten unterhalten sie Straßensperren auf allen Wegen, die aus oder nach | |
Bisie führen, besteuern Händler oder beschlagnahmen Geld und Güter. | |
Angeblich führt das Militär 29 Gruben in Bisie direkt, neben den 57, in | |
denen die lokale Bevölkerung arbeitet. | |
Die Macht des Militärs ist absolut. Handelsfirmen gelangen gar nicht bis | |
zur Mine, sondern sind 35 Kilometer weit weg in dem Ort Njingala | |
stationiert; der Weg von Bisie bis dorthin ist nur zu Fuß begehbar. Die | |
Zinnförderung wird von Lastenträgern einen ganzen Tag lang durch den Urwald | |
geschleppt, in 50-Kilo-Säcken, für die der Träger den Soldaten am Rand von | |
Bisie jeweils einen Dollar zahlt. Das macht bei 500 Trägern am Tag | |
monatlich allein an dieser einen Straßensperre Einnahmen von 15.000 Dollar. | |
In Ndjingala sind weitere Steuern fällig, von dort geht es dann auf | |
Lastwagen zur Flugpiste von Walikale, wo Kleinflugzeuge warten und weitere | |
Gebühren bezahlt werden müssen. Und in der Mine werden ohnehin 10 Prozent | |
der Produktion einbehalten. | |
Die 85. Brigade stehe nicht unter Kontrolle des Generalstabs, behauptet | |
Kongos Vizebergbauminister Victor Kasongo. Ob das stimmt oder ob die | |
Brigade nicht vielmehr Protektion von höchster Ebene genießt, sei | |
dahingestellt. Von Oberst Samy ist der Ausspruch überliefert: "Wir bieten | |
den Bergleuten Sicherheit. Aber wir müssen auch von etwas leben. Wir kommen | |
von hier, also haben wir das Recht auf einen Teil der Reichtümer." | |
Bezahlt werden Soldaten im Kongo zumeist gering oder gar nicht. In einem | |
internen Armeebericht über die Lage in Bisie, der der taz vorliegt, heißt | |
es: "Die Elemente der Armee sind Verursacher multipler Unordnung. Sie | |
erpressen Geld von der lokalen Bevölkerung, verkünden Salongo-Arbeitstage, | |
an denen sie alles mitnehmen, erkennen offizielle Missionen und Attribute | |
nicht an, verhaften Leute ohne Verfahren, erniedrigen die Polizei." | |
Auch staatliche Behörden sieht die 85. Brigade offenbar als Freiwild an. In | |
einem der taz vorliegenden Befehl vom Oktober 2007 weist Oberst Samy seine | |
Leute an, sicherzustellen, dass "wir unseren Anteil kriegen", wenn das | |
staatliche Kleinbergbauamt Saesscam in der Region seine Arbeit aufnimmt und | |
Gebühren erhebt. Regelmäßig verweigert sich die 85. Brigade Befehlen, die | |
Region zu verlassen und sich in die Ausbildungslager der neuen nationalen | |
Armee zu begeben. | |
Teil des Problems ist, wie überall im Kongo, dass verschiedene Firmen | |
Anspruch auf die Zinnvorkommen von Bisie erheben. Kivu Resources, deren | |
Filiale MPC (Mining Processing Congo) seit Kriegszeiten in der Region | |
präsent ist, streitet sich um den Titel mit der Groupe Minier Bangandula | |
(GMB) des reichen ruandischstämmigen Geschäftsmanns Alexis Makabuza aus | |
Goma. MPC betrieb in der ruandischen Grenzstadt Gisenyi, die direkt neben | |
dem kongolesischen Goma liegt, jahrelang eine Zinnschmelze. | |
Bergbaukonzessionen erhielt sie während des Krieges von den damals im | |
Ostkongo herrschenden proruandischen Rebellen; ihre Prospektionsgenehmigung | |
für Bisie bekam sie 2006 von Kongos Regierung bestätigt. Sie hat verucht, | |
sich mit den in einer Kooperative vereinten traditionellen Vertretern der | |
lokalen Bevölkerung zusammenzutun. Die GMB soll ihrerseits, heißt es aus | |
Armeekreisen, mit Teilen der 85. Brigade familiär verflochten sein. Der | |
Streit zwischen GMB und "Kivu Resources" ist auch eine Rivalität zwischen | |
lokalen Familiendynastien. | |
"Alle Handelshäuser für Zinnerz in Bisie werden von Einheiten der 85. | |
Brigade bewacht", heißt es in einem handschriftlichen Bericht des | |
zuständigen Polizeikommandanten. "Der Kommandant der Brigade ist Schutzherr | |
und Chef von ganz Walikale geworden. Das Gebiet wird erst zum Frieden | |
finden, wenn die 85. Brigade den Distrikt Walikale verlässt." Die 85. | |
Brigade arbeitet eng mit ruandischen Hutu-Milizen der FDLR (Demokratische | |
Kräfte zur Befreiung Ruandas) zusammen, die seit über einem Jahrzehnt in | |
der Region stationiert sind und inzwischen international als Haupthindernis | |
für Frieden im Ostkongo angesehen werden. Es ist eine Arbeitsteilung: Die | |
85. Brigade schröpft die Bergleute, die Hutu-Milizen besteuern die lokalen | |
Lebensmittelmärkte. | |
Im Februar 2008 erklärte Kongos Regierung die Mine von Bisie für | |
geschlossen, aber umgesetzt wurde das nicht. Walikale ist nur auf dem | |
Luftweg oder zu Fuß zu erreichen, und mehrfach sind staatliche Delegationen | |
dort beschossen oder anderweitig bedroht worden. | |
Während die Militärs am Zinn prächtig verdienen, sehen die Bergleute von | |
den Reichtümern wenig. Es gibt kaum eine Geldökonomie in Bisie, sondern vor | |
allem Tauschhandel. Bisie hat seine eigene Währung entwickelt, namens | |
"Lego" - ein Stück Zinnerz. Eine Flasche Bier kostet 5 Legos, für zwei | |
Mahlzeiten aus Reis und Bohnen zahlt man 20 Legos. Das ist viel. "An einem | |
guten Tag mache ich 30 Legos", sagt Khawa. "Aber an manchen Tagen finde ich | |
überhaupt nichts. Und ich muss ja etwas essen." | |
5 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Nicholas Garrett | |
Dominic Johnson | |
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Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
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