| # taz.de -- Trinken und Pinkeln: Läuft bei uns | |
| > Wieso muss man nach Kaffee und Bier ständig aufs Klo? Warum ist Urin | |
| > gelb? Wir klären die essenziellen Fragen übers Pinkeln, Pieseln, | |
| > Strullen. | |
| Bild: Was oben reinkommt … | |
| ## Stufe eins: Rein | |
| Wir sind gut organisierte Wassersäcke: Unser Körper besteht zu gut zwei | |
| Dritteln aus Wasser und braucht ständig Nachschub, rund zwei Liter am Tag. | |
| Denn wir verlieren ständig Flüssigkeit. Durchs Atmen, Schwitzen und vor | |
| allem durchs Pinkeln. Und auf das können wir nicht verzichten, weil so | |
| Schadstoffe aus uns herausgespült werden. | |
| Würden wir nichts nachfüllen, würden wir wie Brei im Kochtopf langsam | |
| eindicken. Blut würde nur noch zäh durch den Körper fließen, kleben | |
| bleiben, keine Nährstoffe liefern. Muskeln würden verkrampfen, Organe | |
| aussetzen, der Kreislauf zusammenbrechen. | |
| Aber von vorne: Was wir trinken, wird im Darm von Verdauungssäften in die | |
| Bestandteile zerlegt. Eiweiße, Zucker, Fette gehen mitsamt Flüssigkeit ins | |
| Blut über. Fünf bis sechs Liter Blut zirkulieren durch Adern und Organe. | |
| Auch durch unser körpereigenes Klärwerk, die beiden Nieren im oberen | |
| Bereich der Bauchhöhle. Diese produzieren zum Beispiel Vitamin D und | |
| Hormone, halten die Blutzusammensetzung konstant, regulieren den Blutdruck | |
| und filtern vor allem allerlei Abfall, den wir bewusst oder unbewusst in | |
| uns hineingesteckt oder beim Verstoffwechseln produziert haben. | |
| Durch die Nieren rauschen etwa 1,2 Liter Blut pro Minute. „Das heißt, dass | |
| unser gesamtes Blut die Nieren um die 300 Mal täglich passiert“, sagt | |
| Dominik Müller, Nephrologe an der Charité Berlin. „Das Blut wird durch eine | |
| Million Knäuel aus winzigen Kanälen gepumpt.“ Die Nierenkörperchen | |
| funktionieren wie ein Sieb. Größere Partikel wie die Blutkörperchen bleiben | |
| zurück, überschüssige Flüssigkeit tritt aus – mit Abfallstoffen und | |
| wertvollen Mineralstoffen. So entsteht der sogenannte Vorharn, 170 Liter | |
| täglich. | |
| Nun will kein Mensch 170 Liter am Tag pissen und erst recht nicht wieder | |
| trinken müssen. Deshalb wird der Vorharn noch einmal recycelt. Dabei werden | |
| Salze, Traubenzucker und Aminosäuren zurückgewonnen. Nur ein kleiner Rest | |
| landet schließlich im Nierenbecken: der Urin. Er verabschiedet sich aus den | |
| Nieren, indem er über die Harnleiter in die Blase tröpfelt. | |
| Die Blasenwand ist von Rezeptoren durchzogen, die Alarm schlagen, sobald | |
| die Wand dank Blasendehnung dünner wird. Die Blase von Frauen kann etwas | |
| weniger Flüssigkeit auffangen als die von Männern. Allerdings meldet unser | |
| Körper schon bei einem Drittel Füllung, dass wir müssen. | |
| Wie empfindlich wir auf das Harndrang-Signal der Rezeptoren reagieren, ist | |
| von Mensch zu Mensch verschieden. Manche ignorieren die Blase stoisch, | |
| andere rasten schon beim Geräusch eines plätschernden Wasserhahns aus. | |
| Entscheidend ist aber der Druck in der Blase. Steigt er durch die Menge an | |
| Urin, öffnet sich der innere von zwei Schließmuskeln im Harnblasenboden – | |
| ob wir wollen oder nicht. Wenn wir dann tatsächlich auf Klo gehen, öffnet | |
| sich der zweite, äußere Schließmuskel. Der kann von den meisten Menschen | |
| bewusst gesteuert werden. | |
| Wie zügig sich die Blase füllt, ist wiederum abhängig von unseren | |
| Gewohnheiten und der Arbeitsweise unserer Nieren. Sind diese etwa keinen | |
| Kaffee oder schwarzen Tee gewohnt, dann reagieren sie meist empfindlich auf | |
| das darin enthaltene Koffein. Die Nieren erhöhen folglich den Blutdruck, | |
| mehr Flüssigkeit fließt durch die Filter – und die Blase wird umso | |
| schneller gefüllt. | |
| Noch treibender ist Alkohol. „Einerseits ist der Körper darauf eingestellt, | |
| das Nervengift zügig loszuwerden“, sagt Müller von der Charité in Berlin. | |
| Darüber hinaus bindet Alkohol Wassermoleküle an sich und hemmt außerdem ein | |
| Hormon, das Wasser in den Blutkreislauf zurückführt. | |
| ## Stufe zwei: Raus | |
| Wenn Körperflüssigkeiten den Körper verlassen, reagieren Körperinhaber oft | |
| mit Unbehagen oder gar Ekel. Nur selten eignet sich Urin als | |
| Gesprächsstoff. Selbst dann nicht, wenn man gemeinsam in der Warteschlange | |
| zum Pissen steht. Dabei verrät unser Pipi manchmal mehr über Persönlichkeit | |
| und Lebensstil, als uns lieb ist. | |
| Urin ist im Normalfall gelb. Dafür sorgen unter anderem die Urochrome – | |
| Stoffwechselprodukte, die beim Abbau des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin | |
| entstehen. Urin besteht zu 95 Prozent aus Wasser. Spannender für die | |
| Urindeutung sind aber die darin gelösten Harnstoffe, Harnsäure, Salze, die | |
| Kreatinine, Hormone und Farbstoffe. | |
| Denn deren Zusammensetzung kann viel über einen Menschen und dessen | |
| Gesundheit verraten. In grauer Vorzeit inspizierten die Ärzte den Urin | |
| ihrer Patienten mit allen Sinnen. Sie prüften die Farbe, rochen daran, | |
| schmeckten ihn sogar. Um etwa einen überhöhten Zuckerspiegel bei einem | |
| Diabetiker festzustellen. | |
| Zuverlässiger arbeiten heute Teststreifen, die auf alle möglichen | |
| Substanzen im Harn reagieren. Er kann ebenso Betäubungsmittel, Medikamente | |
| oder Schwangerschaftshormone sichtbar machen wie Stoffe, die nur dann im | |
| Urin landen, wenn der Körper nicht richtig funktioniert. Harn mit zu viel | |
| Zucker oder Eiweiß geben Medizinern Hinweise darauf, was beim Stoffwechsel | |
| nicht rund läuft. | |
| Wenn unser Urin also bestenfalls aus in Wasser schwimmendem Müll besteht, | |
| warum sollte man ihm dann heilende Kräfte zusprechen? Ob bei Allergien, | |
| Asthma, multipler Sklerose, Krebs oder HIV: Pipi soll gut für und gegen so | |
| ziemlich alles sein. Es stärke das Immunsystem – durch traditionelles | |
| Wissen und jahrhundertelange Erfahrung belegt, sagen manche Heilpraktiker. | |
| Urin als Universalmedizin aus körpereigener Produktion. Urin als | |
| Therapeutikum mit jahrhundertealter Tradition. Urin als Kur, bei der man | |
| seine eigenen Ausscheidungen trinken soll? | |
| Tatsächlich: „Harnstoff lässt die Haut Feuchtigkeit aufnehmen und | |
| Harnsäuren können desinfizierend wirken“, räumt Nephrologe Dominik Müller | |
| ein. So findet sich Harnstoff in manchen Salben, die gegen Ausschlag | |
| helfen. Dass Harn deshalb gleich als Heilmittel gelten soll, sieht er | |
| nicht. | |
| Und als Durstlöscher? Urin könne bestenfalls kurzfristig vor dem Verdursten | |
| retten, sagt Müller. Solange der Urin noch hell und nicht so stark | |
| konzentriert ist, kann er noch Flüssigkeit liefern. Allmählich werden | |
| jedoch immer mehr Abfallstoffe in immer weniger Wasser gelöst. Bis Urin | |
| schließlich so gut Durst löscht wie das Salzwasser in den Ozeanen. | |
| Doch auch wenn unser Abfallprodukt unserem Körper nicht nachträglich von | |
| Nutzen ist: Anderen Organismen hilft er durchaus. Schließlich stecken | |
| Mineralstoffe wie Kalzium, Kalium und Magnesium im Harn. Und Phosphor, der | |
| Pflanzen wachsen lässt und deshalb tonnenweise als Dünger eingesetzt wird. | |
| Wissenschaftler haben deshalb in Südafrika Toiletten aufgestellt, die Urin | |
| und Kot voneinander trennen. Aus 1.000 Litern Urin sollen sich so zwei Kilo | |
| Phosphordünger gewinnen lassen. Die Herstellung bedarf allerdings viel Zeit | |
| und Energie. Das Phosphat muss in einem aufwendigen Vorprozess ausgefällt | |
| werden. Der unbehandelte Urin nämlich würde die Felder mit | |
| Medikamentenrückständen und anderen unerwünschten Giften verseuchen. | |
| Forscher aus Großbritannien haben unterdessen herausgefunden, dass | |
| Bakterien im Urin Energie freisetzen. Mit ihrer Hilfe wollen sie organische | |
| Masse in Elektrizität umwandeln und globale Engpässe bei der | |
| Stromversorgung ausgleichen. Harnstoff, Chloride und Kalium seien ideale | |
| Energielieferanten für Brennstoffzellen. | |
| 8 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Brandstädter | |
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