# taz.de -- Traumatisierter Bundeswehrsoldat: Der Kriegszitterer | |
> Siegfried Zepter, früherer Oberstleutnant, kam traumatisiert aus Bosnien | |
> zurück. Er prozessierte durch drei Instanzen gegen die Bundeswehr - und | |
> verlor. | |
Bild: Der SWR-Spielfilm "Willkommen zuhause" ist eine der ersten Produktionen, … | |
Niemand weiß, wer er in seinem früheren Leben war. Niemand weiß, was er | |
gemacht hat. Er hat sich eine perfekte Fassadenexistenz aufgebaut. In einer | |
neuen Stadt und mit einem neuen Beruf. Er hat sich ein Schild | |
"Immobilien-Gutachter" vor das Haus gehängt, damit er endlich Ruhe hat. | |
Ruhe vor allen Nachfragen. Ruhe vor seiner Vergangenheit. | |
Fast 13 Jahre ist es her, dass der frühere Oberstleutnant Siegfried Zepter* | |
bei einem Auslandseinsatz zum "Kriegszitterer" wurde, wie er selbst sagt. | |
"Kriegszitterer", so wurden schon im Ersten Weltkrieg die traumatisierten | |
Soldaten genannt, die an dem litten, was heute posttraumatisches | |
Belastungssyndrom (PTBS) heißt. | |
Jetzt erst hat er sich so weit stabilisiert, dass er darüber sprechen kann. | |
Er ist stolz darauf, dass er wieder einigermaßen klarkommt im Leben, dass | |
er wieder Geld verdienen kann. Siegfried Zepter, 54 Jahre alt, graue Haare, | |
scharfe Falten, akkurater Anzug mit Krawatte, spricht schnell, manchmal | |
abgehackt, als er seine Geschichte erzählt. "Ja, so ist das", sagt er ohne | |
ein Lächeln, ohne spürbare Regung, wie eingefroren. | |
Zepter kommt aus einer kinderreichen Familie im Ruhrgebiet. Sein Vater, in | |
der Nazizeit ebenfalls Soldat, kehrte nach achtjähriger | |
Kriegsgefangenschaft mit kaputter Seele zurück. Vielleicht hätte er dem | |
Sohn ein Kriegstrauma ersparen können, wenn er ihm von seinen Erlebnissen | |
erzählt hätte. Der Sohn wollte zum Bund, um sich seine Ausbildung | |
finanzieren zu lassen, wie er sagt. Er studierte Wirtschaftswissenschaft, | |
wurde Berufssoldat und übernahm zunächst einen Bürojob in der Logistik. Im | |
Jahr 1996 wurde er nach Bosnien abkommandiert. | |
Vorher habe er einen Trainingskurs in Hammelburg absolviert, dreieinhalb | |
Wochen, "viel zu kurz", sagt er. Das Verhalten in extremen | |
Belastungssituationen, denen man bei "13 Stunden Dienst sechs Tage in der | |
Woche" ausgesetzt sei, lerne man dort allerdings nicht. Bei einer Übung zog | |
er sich eine Ellbogenverletzung zu, bei der nächsten sollte er sich in | |
Deckung werfen. Seine Kameraden schossen mit scharfer Munition, doch Zepter | |
war unfähig, sich auf seinen frisch operierten Arm zu werfen, sein Körper | |
gehorchte ihm nicht. Hinterher zitterte er wie verrückt, es ging ihm | |
schlecht, aber er konnte das alles nicht einordnen. | |
Dann kam der Einsatz der Bundeswehr 1996 in Bosnien, ein Jahr nach dem | |
Friedensabkommen von Dayton. Der habe nur stattgefunden, sagt er, "damit | |
die Deutschen in der Nato mitreden können". Von Bosnien aus sei schon | |
damals, "vor allem von den Franzosen", eine Nato-Intervention im Kosovo | |
vorbereitet worden. Im kroatischen Split sollte er überprüfen, ob deutsche | |
und französische Tanksysteme kompatibel waren. Sein Auto geriet in eine | |
serbische Stellung. Die Serben entsicherten ihre Schusswaffen, und dann … | |
Was weiter geschah, daran kann sich Zepter nur lückenhaft erinnern: "Ich | |
hatte Todesangst, ich wollte alle erschießen. Hinterher bin ich total | |
erschrocken, beinah hätte ich, der Familienvater, mich verhalten wie ein | |
Killer." Später erfuhr er, dass der Fahrer Gas gegeben und die Sperre | |
durchbrochen hatte. | |
Der Vorfall ließ das Trauma aus Hammelburg wieder aufleben: Das Zittern | |
wurde immer schlimmer, er verspürte Fluchtbedürfnisse bei | |
Dienstbesprechnungen. Er warf seinen Vorgesetzten vor, ihn ohne | |
ausreichende Sicherung losgeschickt zu haben, und verweigerte den weiteren | |
Einsatz. Er habe immer geglaubt, dass die Bundeswehr im Zweifelsfall für | |
ihn sorgen würde, aber dann habe er das Gegenteil erfahren: "Die stießen | |
Drohungen aus. Mein Chef sagte, er könne nicht mehr für meine Sicherheit | |
sorgen." Nach einem Kuraufenthalt in Deutschland sollte er zurück nach | |
Bosnien geschickt werden. Da sei er völlig zusammengebrochen. | |
Manchmal schob er ein bisschen Dienst, dann war er wieder krank. Die Ärzte | |
im Landeskrankenhaus Essen und im Bundeswehrkrankenhaus Hamm waren bemüht, | |
sagt er. Sie bescheinigten ihm eine chronische PTBS; vermutlich deshalb | |
chronisch geworden, weil sie zu spät behandelt wurde. Das | |
Max-Planck-Institut Köln bestätigte das Trauma mit Hirnstrommessungen. Ende | |
1998 wurde er frühpensioniert. Zunächst ausdrücklich wegen einer | |
Wehrdienstbeschädigung durch PTBS. | |
Er brach alle sozialen Kontakte ab, wohnte anderthalb Jahre auf dem | |
Campingplatz. Die Natur half ihm. Aber: "Mit dir hält man es nicht mehr | |
aus", warf ihm seine Frau vor. Sie ließ sich scheiden und verlangte viel | |
Geld, sagt er. Sein Bruder habe ihn entmündigen lassen wollen. "Erst als | |
meine gesamte Existenz auf dem Spiel stand, begann ich wieder zu kämpfen", | |
sagt er. Zuerst gegen seine Frau, dann gegen die Bundeswehrverwaltung, die | |
sein Trauma nicht anerkennen wollte. Eine Anerkennung hätte seine Frührente | |
um gut 200 Euro monatlich erhöht, "aber darum ging es denen gar nicht. Die | |
sagen: Wir dürfen keine Präzedenzfälle schaffen. Sonst will jeder Soldat, | |
der einen Schuss gehört hat, in Pension." | |
Er zog vor Gericht. In der ersten Instanz gewann er. Das Sozialgericht | |
Dortmund urteilte 2003, die Depressionen und PTBS seien Folge einer | |
Wehrdienstbeschädigung. Den Gutachten der Bundeswehrverwaltung, Zepter sei | |
aufgrund einer "anlagebedingten Persönlichkeitsstruktur" erkrankt, folgten | |
die Richter nicht, er habe schließlich gute Personalbeurteilungen erhalten. | |
Für Zepter eine Genugtuung. Doch die Gegenseite legte Berufung ein. Diesmal | |
kam der von der Bundeswehrverwaltung beauftragte Gutachter zu dem Schluss, | |
der Kläger sei ein "Simulant". Der behandelnde Arzt empörte sich in einer | |
Stellungnahme: "Offenbar wird hier inzwischen in unverantwortlicher Form | |
eine Diagnosemanipulation durchgefühlt." Doch das Landessozialgericht | |
glaubte 2005 der Bundeswehrverwaltung, Zepter verlor. Die anderen Soldaten | |
seien während der Vorfälle in Hammelburg und Kroatien ja auch nicht | |
traumatisiert worden, also müsse es an der Person des Klägers liegen, | |
lautete die Begründung. Und dabei blieb es auch, denn die dritte Instanz | |
lehnte die Klage aus formalen Gründen ab. "Damit war für die klar: Ich habe | |
halt eine Macke", sagt Zepter. | |
Also versuchte er, sich selbst zu helfen. Eine Spezialtherapie, die bei | |
Vietnamveteranen erprobt worden war, brachte Linderung. Ebenso mehrere | |
lange Aufenthalte in einer ganzheitlich behandelnden Klinik in Kassel. Und | |
schließlich der Umzug in die Anonymität, in eine andere Stadt, in ein neues | |
Leben. Er hatte das Gerede von der "Psychomacke" satt. | |
"Für Männer", gibt er zu, "ist das sehr schwierig. Man will doch kein | |
Weichei sein." Beim Militär müsse der Mann sich selbst im Griff haben, nur | |
dann sei er in der Lage, andere zu führen. Wer eine Therapie nötig hat, der | |
widerspreche dieser Norm. Den Soldaten im Auslandseinsatz werde | |
vorgegaukelt, für sie werde gesorgt. "Sie müssen aber wissen, dass die | |
Traumatisierungsgefahr bei etwa zehn Prozent liegt. Und dass dann oft nicht | |
für sie gesorgt wird." Jeder Soldat müsse es sich vorher schriftlich geben | |
lassen, was er bekomme, wenn sein Bein fehlt. "Jetzt in Afghanistan, wenn | |
überhaupt Kampfauftrag, dann nur mit verdammt guter Vorbereitung, mit Drill | |
und Stresstraining. Damit den Jungs nicht passiert, was mir passiert ist." | |
*Name geändert | |
4 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Ute Scheub | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
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