# taz.de -- Afghanistan-Rückkehrer: Es ist Krieg - und keiner schaut hin | |
> Die deutsche Politik schickt Soldaten nach Afghanistan - doch deren | |
> Kriegserfahrungen interessieren nach ihrer Rückkehr die Öffentlichkeit | |
> kaum. Vor allem Medien meiden das Thema. | |
Bild: Sieht Dinge, die in Deutschland niemanden mehr wissen will: Bundeswehrsol… | |
Wahrscheinlich ist es nicht, dass sich heute Abend viele Menschen in | |
Deutschland fragen, was die Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan machen. | |
Wahrscheinlich ist auch nicht, dass die Menschen sich wegen eines Filmes | |
ernsthaft überlegen, ob sie selbst hinter dem Einsatz stehen oder nicht. | |
Noch unwahrscheinlicher ist, dass die Zuschauer sofort erkennen, welche | |
Dimension dieser Einsatz wirklich hat. Doch trotzdem lässt die Ausstrahlung | |
des Films "Willkommen zuhause" (Montag 20.15, ARD), der dieses Thema | |
aufgreift und in eine persönliche Leidensgeschichte presst, hoffen: auf die | |
Öffnung des fiktiven Genres für das politische Thema "Afghanistan-Einsatz". | |
Man kann es auch "Afghanistan-Krieg" nennen. Sofern man nicht | |
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) ist. "Wir stehen im Kampf | |
gegen den Terrorismus, aber nicht im Krieg", sagte er in einer | |
Fernsehreportage im Herbst zu einem seiner wenigen Afghanistanbesuche. | |
Komisch nur, dass ein Soldat, der in Kundus stationiert war, im gleichen | |
Beitrag genau das Gegenteil behauptet: "Das hier ist Krieg", kommentierte | |
er seinen Einsatz. | |
Tausende von Soldaten werden jedes Jahr nach Afghanistan geflogen, in einem | |
Zeltlager untergebracht, auf Patrouille geschickt. Wenn alles gut läuft, | |
kommen sie unversehrt nach Hause, und das Leben geht, auch dank des | |
ersehnten steuerfreien, nun noch erhöhten Auslandsverwendungszuschlags, | |
weiter. Die Kriegserfahrung dieser Menschen aber interessiert wenige. | |
Soldatinnen und Soldaten sind eben keine Sympathieträger, sondern höchstens | |
zu bemitleiden. Auch deswegen bewertet der größere Teil der Bevölkerung den | |
Einsatz sehr negativ. Bei einer Umfrage des ARD-Deutschlandtrends im | |
September 2007 sagten 62 Prozent der Befragten in Deutschland, die | |
Bundeswehr solle sich möglichst schnell aus Afghanistan zurückziehen. | |
Etwa 6.900 Soldatinnen und Soldaten sind nach Bundeswehr-Angaben momentan | |
im Auslandseinsatz, davon 3.250 in Afghanistan und Usbekistan. Im Herbst | |
wurde das Mandat verlängert und um 1.000 Mann auf rund 4.500 aufgestockt. | |
Die Bundeswehr ist verantwortlich für die Schnelle Eingreiftruppe, die | |
Quick Reaction Force QRF. Seit Ende 2001 läuft dieser Einsatz nun, seitdem | |
wird er so verkauft, als sei die Bundeswehr ein besseres Technisches | |
Hilfswerk, das Brunnen und Straßen baut, Lebensmittel verteilt und | |
Wasserleitungen legt. Ab und an werden Berichte gesendet, aber die | |
Deutschen, sagte der Afghanistan-Experte Herbert Sahlmann, seien mit | |
anderen Dingen beschäftigt, beispielsweise der Finanzkrise. | |
So wird in den politischen Talkshows über das Konjunkturpaket debattiert, | |
die Landtagswahlen, den Selbstmord eines Industriellen und jetzt auch noch | |
über den Gaza-Krieg. Lediglich am 21. Oktober 2008 wurde die Frage | |
"Deutschland im Krieg - verdrängen wir die Gefahr?" in der ARD-Couch | |
"Menschen bei Maischberger" aufgeworfen. Der ehemalige | |
Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) saß in der Runde, wie auch ein | |
ehemaliger Hauptfeldwebel, der in Afghanistan Opfer eines | |
Selbstmordanschlags wurde und seitdem unter Angstzuständen leidet. Seine | |
Geschichte war bestürzend. Aber auch wirklich für den Zuschauer nachhaltig | |
erschütternd? Nein. Zu wenig wurde, und man mag es dem Mann keinesfalls | |
vorhalten, auf effekthascherische Details geachtet. | |
Der große Effekt nämlich ist meistens das Privileg des Spielfilms. Durch | |
die Konstruktion des Plots werden scheinbare Realitäten dargestellt, die | |
beim Zuschauer Wirkung erzielen. Dadurch, dass es nicht wirklich ist, wird | |
es echt. Und eindringlich. Deswegen kann ein in der dem Zuschauer | |
eigentlich unbekannten Realität eingebetteter Film - aus Journalistensicht | |
oftmals leider - mehr bewirken als jeder Bericht. Weil er genau so | |
aufgebaut ist, dass sich viele mit einer der Figuren identifizieren können. | |
Weil er immer noch genug Blödel-Bundis zeigt, die eigene Vorurteile | |
absichernd bestätigen. Vor allem aber, weil er zur Primetime läuft. | |
"Der Krieg in Afghanistan findet in der bundesdeutschen Öffentlichkeit nur | |
statt, wenn es deutsche Opfer gibt", findet auch Andreas Heinemann-Grüder | |
vom Bonner International Centre for Conversion, einem | |
Friedensforschungsinstitut, und fügt hinzu: "In Deutschland sehen wir eine | |
weitgehende Entpolitisierung dieser Diskussion. Nur die Linken probieren, | |
sie zu politisieren, aber die gelten ja sowieso als nicht regierungsfähig." | |
Doch nicht nur weil das Interesse fehlt, tun sich Medien schwer mit dem | |
Einsatz. Die Lage ist kompliziert, selbst viele Friedensaktivisten halten | |
einen sofortigen Rückzug für falsch. Zudem, und auch dies spiegelt sich im | |
spärlichen Informationsfluss wieder, gilt das Land nicht gerade als | |
Traumziel, in dem die größte Sicherheitsfrage lautet, ob man seinen iPod | |
auf dem Bett liegen lassen kann oder doch besser in den Hotelsafe sperrt. | |
Das Land ist gefährlich. Für jeden. Für Mitarbeiter von Hilfswerken, für | |
Soldaten, für Einheimische, aber auch für Journalisten. "Früher konnte man | |
in Afghanistan noch zwischen No-go-Areas und dem Rest unterscheiden", | |
erklärt Heinemann-Grüder. "Heute ist eigentlich ganz Afghanistan ein | |
No-go-Area." Bei den Soldaten vor Ort ist die Stimmung folglich desaströs, | |
eben auch, weil sie wissen, dass sie ihren Auftrag, nämlich Frieden zu | |
stiften, gar nicht ausfüllen können. | |
Auch bei den Afghanen selbst, sagt Hans-Georg Ehrhart, Leiter des Zentrums | |
für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien (ZEUS) am Institut für | |
Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, hat | |
sich das Bild vom Einsatz kontinuierlich verschlechtert. Zwar gebe es | |
regionale Unterschiede, aber gefährlich sei, dass die Alliierten in | |
Afghanistan zunehmend als Besatzungsmächte gesehen werden. "Die Menschen | |
vor Ort sehen das als Krieg. Es wird gekämpft und getötet." | |
Diese Toten aber als Normalität anzusehen entspricht dem politischen | |
Willen. Teilweise noch dem derer, die dem Einsatz 2001 zustimmten. Aber | |
auch dem der regierenden Parteien, der CDU/CSU und der SPD. So legte Franz | |
Josef Jung im November den Grundstein für ein Ehrenmal für tote Soldaten | |
auf dem Hof seines Ministeriums. Das ließe sich positiv interpretieren. | |
Dass aber der Ort, wie die taz damals berichtete, von einer handverlesenen | |
Kommission ermittelt wurde, spricht Bände: Die Bundeswehr macht nach wie | |
vor lieber alles mit sich selber aus und duckt sich unter der anrasenden | |
Ablehnung der Bevölkerung weg. Stattdessen gelingt es immer wieder, auch | |
mit Hilfe des Anti-Piraten-Einsatzes am Golf von Aden, sich als dringend | |
benötigter Helfer darzustellen. | |
Auch "Willkommen zuhause" ist, den Bildern nach zu urteilen, nicht ganz | |
ohne die Hilfe der Bundeswehr entstanden. Dass sie aber nicht gänzlich | |
kontrollieren konnte, was da am Ende bei herauskommt, zeigt ein kleiner | |
Fehler im Film, der die Schulterklappen des Psychiaters und Oberstabsarztes | |
Dr. Jochen Wiegand betrifft. Entweder wurde er auf einen nicht mehr | |
existenten Dienstgrad heruntergestuft, oder es handelt sich um einen | |
Fehler. Letzteres vermutlich. Wenn das Thema nun aufgegriffen wird, wenn | |
die Gefühlslage der Soldaten auch jenseits des Y-Magazins interessiert, | |
dann könnte über die Populärschiene endlich eine breitere Diskussion | |
stattfinden, als es momentan der Fall ist. Ein weiteres Indiz für das | |
langsame Einsickern dieses Themas in das Filmgeschäft ist auch, dass die | |
Hauptfigur in Christian Petzolds "Jerichow", der gerade in den Kinos läuft, | |
auch als "Afghanistan-Heimkehrer" gilt. | |
Von anderen Kriegen, beispielsweise dem in Gaza, sehen wir mehr, weil die | |
Raketeneinschläge eben sichtbarer sind. Afghanistan ist ein ferner Winkel | |
dieser Welt. Aber einer, in dem deutsche Wähler Menschen schicken. Deswegen | |
muss man sich auch wirklich fragen, ob das gut ist. Die Diskussion wurde | |
durch "Willkommen zuhause" ausgelöst, jetzt muss sie weitergeführt werden. | |
Vor allem in dem von allen "Superwahljahr" genannten 2009. | |
2 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Natalie Tenberg | |
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