# taz.de -- Theaterkollektiv über Rassismusklausel: „Es geht nicht um den Pr… | |
> Am Freitag feiert „Technocandy“ die Premiere seines Stückes am Theater | |
> Oberhausen. Doch die Gruppe steht noch ohne Vertrag da – weil sie auf | |
> eine Klausel besteht. | |
Bild: „Unser Ziel auf der Bühne ist, dass wir solidarisch sind.“ | |
taz: In Ihrem Stück geht es um Arbeit. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre | |
Kreativarbeit genug wertgeschätzt wird? | |
Alle: Nein. | |
Frederik Müller: Wir haben im Herbst 2018 erfahren, dass es eine Klausel | |
für Theaterschaffende gibt, die von Rassismus betroffen sind. Da stand | |
schon fest, dass wir das Stück machen. Diese sogenannte Rassismusklausel | |
hat die Regisseurin Julia Wissert gemeinsam mit der Anwältin und | |
Dramaturgin Sonja Laaser entwickelt. Man kann sie in den Vertrag schreiben. | |
Sie soll einen Umgang bieten, wenn in der Produktionszeit rassistische | |
Vorfälle passieren. Sie besagt grob, dass, wenn so ein Vorfall geschieht, | |
die Produktion oder Regie zur Intendanz gehen und darüber berichten kann. | |
Das Haus muss dann reagieren und einen Workshop oder eine andere Art von | |
Intervention folgen lassen. Es muss also eine Reaktion geben. Wenn es diese | |
Intervention nicht gibt, hat die Regie das Recht, von der Produktion | |
zurückzutreten. Also: das Stück platzen zu lassen, ohne Schadenersatz zu | |
zahlen. Wir haben natürlich total begeistert versucht, diese Klausel in | |
unserem Vertrag zu platzieren. Der Intendant Florian Fiedler ist auch auf | |
unserer Seite. Die künstlerische Leitung auch. Aber die Verwaltung sträubt | |
sich. Seit drei Monaten sitzen die aus, dass wir keinen Vertrag als Gruppe | |
haben. Jetzt ist es eine Woche vor der Premiere und wir haben keinen | |
Vertrag, weil sie sich weigern, diese Klausel reinzunehmen. Vermutlich, | |
weil sie glauben, dass es hier keinen Rassismus gebe. | |
Golschan Ahmad Haschemi: Oder Sprüche wie „Ach, das ist doch schon | |
festgehalten im Grundgesetz“. Aber das Grundgesetz oder auch das Allgemeine | |
Gleichbehandlungsgesetz sind sehr breit gefasst. | |
Weshalb pochen Sie auf die Implementierung der Klausel? | |
Ahmad Haschemi: In der Rassismusklausel geht es nicht darum, jemanden zu | |
bestrafen, sondern, dass wir als künstlerische Gruppe unsere Arbeit machen | |
können. Wenn bestimmte Standards nicht gegeben sind, müssen wir unsere | |
Arbeit beenden, weil es kein professioneller Zustand ist. Stattdessen sitzt | |
die Verwaltung es aus. | |
Seit wann? | |
Ahmad Haschemi: Seit November. Erst gab es wochenlang gar keine Antwort, | |
dann haben wiederholt mit der Leitung telefoniert. Es hieß: Es wird in der | |
Verwaltung besprochen. Jetzt ist es kurz vor der Premiere. Das heißt, dass | |
sie anscheinend wissen, dass innerhalb dieses Hauses rassistische Vorfälle | |
passieren können, dass ihnen sogar diese eine Woche vor der Premiere zu | |
riskant ist, die Klausel reinzunehmen. Es ist im Grunde ein | |
Schuldeingeständnis. Es erscheint ihnen weniger riskant, ohne Vertrag zu | |
arbeiten, als die Klausel reinzunehmen. | |
Das sind schwere Vorwürfe. | |
Ahmad Haschemi: Es geht nicht darum, wen an den Pranger zu stellen. Sondern | |
darum, dass im Falle von rassistischen Vorfällen Maßnahmen ergriffen werden | |
können. Das Interessante ist: Florian Fiedler will rassismuskritische | |
Workshops durchführen. Die Dinge, die in der Klausel stehen, sind also eh | |
schon in der Mache. Da geht es ganz klar um Definitionsmacht. Ihnen geht es | |
darum, dass Künstler*innen, die von Rassismus betroffen sind, nicht die | |
Ansage machen können, nach welchen Spielregeln es geht. Die werden von dem | |
weißen Verwaltungsapparat gemacht. Für mich ist es ein ganz klares Zeichen | |
davon: Was heißt eigentlich Schreibtischtäter*innen? Wie viel Macht hat der | |
Verwaltungsapparat? Oft machen im Kulturbetrieb die Pädagog*innen | |
Rassismusworkshops. Die Verwaltung muss mitgedacht werden, denn sie sitzen | |
am Hebel. Zum Beispiel wofür Geld ausgegeben werden kann und wer an den | |
Kartenkassen sitzt. Solange der Verwaltungsapparat nicht angegangen wird, | |
wird das rassistische Kontinuum einfach weitergetragen werden. | |
Sie arbeiten momentan ohne Vertrag. Werden Sie überhaupt bezahlt? | |
Banafshe Hourmazdi: Wir haben einen mündlichen Vertrag abgeschlossen und | |
erhalten unser Honorar in Raten. Eine Rate wurde schon bezahlt, die anderen | |
noch nicht. Es sind sehr viele Dinge ungeklärt. Das Nutzungsrecht liegt | |
eigentlich bei uns. Wir könnten verweigern, die Premiere zu spielen. Das | |
bringt uns aber auch nicht viel, denn wir haben nicht die Zeit und die | |
Möglichkeit, das publik zu machen. Wir müssen ab jetzt, bevor wir einen | |
Vertrag eingehen, sagen, dass die Klausel eine indiskutable Bedingung für | |
den Vertrag ist und erst dann anfangen, zu arbeiten. | |
Wissen Sie, ob andere Theaterschaffende diese Klausel nutzen und ob die | |
Häuser sich darauf einlassen? | |
Ahmad Haschemi: Unsere Einschätzung ist, dass sie mehr und mehr in die | |
Verträge reinkommt. Das ist längst an der Zeit. Banafshe sagte mal, dass so | |
etwas innerhalb der Privatwirtschaft niemals zur Debatte stünde. Die ist an | |
einem ganz anderen Punkt, es werden bessere Gelder gezahlt und die | |
Bedingungen von Expert*innen gewahrt. Im Kontext dieser Institution sind | |
wirklich seltsame Hinhaltetaktiken passiert. Woanders gibt es diese nicht. | |
Hourmazdi: Wenn es gewaltvolle Übergriffe gibt, ist oftmals nicht klar, | |
dass die Verantwortung zur Klärung bei den Arbeitgeber*innen liegt und | |
nicht bei den Arbeitnehmer*innen. Diese Übergriffe gibt es andauernd, aber | |
sie werden individualisiert: Du bist schwierig, du bist anstrengend, warum | |
regst du dich auf? | |
Müller: Wir sind eine junge Gruppe. Wir wollen unsere Stücke zeigen und | |
über unsere künstlerische Arbeit sprechen. Wir fühlen uns allerdings von | |
der Verwaltung gemobbt. | |
In einen Arbeitskampf reinzugehen ist eine Entscheidung, die möglicherweise | |
Türen verschließt. Haben Sie Angst vor Konsequenzen? | |
Müller: Es können sich nur Türen verschließen, die offen sind. Wir kommen | |
aus der freien Szene. Es gibt dort für Gruppen, die so politisch arbeiten | |
wie wir, nicht so viele Ressourcen. Gleichzeitig sind wir in solidarischen | |
Netzwerken aktiv, wo Gruppen uns kennen, uns unterstützen und wissen, dass | |
aufgrund unserer Politik Türen verschlossen bleiben. | |
Machen Sie noch andere Jobs neben der Arbeit im Theater? | |
Alle: Ja. | |
Was würden Sie sich wünschen, damit die Arbeitsbedingungen im | |
Theaterbetrieb besser werden? | |
Müller: Dass Arbeitsrechte eingehalten werden, sodass man entspannter | |
arbeiten kann. Dass Hierarchien sich ändern und Diskriminierung bekämpft | |
wird. Dazu zählt, dass sich eingestanden wird, wie viel Rassismus, Sexismus | |
und Transfeindlichkeit es an den Häusern gibt. Und zwar nicht nur auf der | |
Bühne, sondern überall. | |
Hourmazdi: Ich habe einen ganz großen Wunsch: so viel mehr Solidarität. Ich | |
arbeite hauptberuflich als Schauspielerin. Und immer wenn ich eine | |
Erfahrung teile, bleibt sie einzeln. Das sollte so nicht sein. Wir sind | |
gemeinsam da. | |
Wie transformieren Sie all das, was Sie mir gerade erzählt haben, in Ihr | |
Stück? | |
Ahmad Haschemi: Transformieren ist ein super Stichwort! | |
Hourmazdi: Wir sind alle drei Schmetterlinge in dem Stück und erzählen aus | |
unseren früheren Leben, als wir noch Raupen waren. Unser Ziel auf der Bühne | |
ist, dass wir drei Persönlichkeiten krass solidarisch sind. Dass wir ganz | |
unterschiedlich sind, aber einander nichts wegnehmen, sondern zuhören, | |
füreinander da sind. Und dass wir dadurch versuchen, einen Raum zu | |
schaffen, in dem Geschichten erzählt werden, die dich nicht auf dich selbst | |
zurückwerfen. Sondern wo wir es hoffentlich schaffen, dass Menschen | |
rausgehen und denken, vielleicht kann ich das auch sein. Vielleicht kann | |
ich irgendwann auch ein Schmetterling sein. | |
7 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Caren Miesenberger | |
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