# taz.de -- Schmerzen bei der Geburt: Es ist ein Ziegelstein | |
> Die Wehen beginnen nachts, heißt es – damit die Frau in Ruhe gebären | |
> kann. Unsere Autorin hatte keine Ruhe. Sondern die schlimmste Nacht ihres | |
> Lebens. | |
Bild: Was ist das für ein Schmerz, wenn das Kind kommt? | |
Noch heute, wenn ich den Kopf meiner Tochter betrachte, wenn ich über ihr | |
Haar streiche und die Schädelknochen spüre, wird mir manchmal schlecht. | |
Weil sich mein Körper an den Schmerz erinnert. Einen Schmerz, auf den ich | |
nicht vorbereitet war. | |
Vor etwas über einem Jahr habe ich ein Kind geboren. | |
Neun Monate lang hatte ich mich zuschütten lassen von Broschüren und | |
Büchern. „Erstausstattung fürs Baby“. „Warum Folsäure für Schwangere … | |
wichtig ist!“ „Wie massiere ich meinen Damm vor der Geburt?“ | |
In keiner Broschüre, in keinem Buchkapitel stand: Die Geburt wird so | |
wehtun, als hätte Ihnen der Arzt ein paar Aspirin gegeben und würde Ihnen | |
dann ein Bein amputieren. Und das eine ganze Nacht lang. | |
Wir wollen heute offen sein. Wir sprechen über Orgasmusschwierigkeiten, | |
fragen unsere Freundin, wie schmerzhaft das Tattoostechen war oder das | |
Bikini-Waxing. Wenn eine Doku über Hirn-OPs läuft, schauen wir fasziniert | |
zu. Wir leben im 21. Jahrhundert, eine aufgeklärte Gesellschaft, die | |
verstehen will, was sie nicht versteht. | |
Worüber wir schweigen: über die Geburt. Bis heute ist sie ein Mythos | |
geblieben. | |
22 Uhr. Die erste Wehe. Der errechnete Geburtstermin: gestern. Schmerz: | |
harmlos. Wie bei einer beginnenden Periode, es zieht im unteren Bauch und | |
Rücken. Stimmung: Fühlt sich gut an, endlich bewegt sich was. Soll die | |
Hebamme erst anrufen, wenn die Wehen alle sieben Minuten kommen. Lege mich | |
schlafen. | |
Die meisten Wehen beginnen abends oder nachts, hat mir meine Hebamme | |
erzählt. Das hat die Natur so eingerichtet. Die Frau ist im Dunkeln | |
sicherer als bei Tageslicht und kann in Ruhe gebären. | |
Was ist das für ein Schmerz, wenn das Kind kommt? Als ich schwanger war, | |
habe ich das viele Frauen gefragt, meine Mutter, Bekannte, die schon | |
geboren hatten. Sie lächelten etwas gequält. „Wenn du dein Baby im Arm | |
hältst, ist der Schmerz sofort wieder vergessen“, sagten sie. Hatten sie | |
ein Schweigegelübde abgelegt? | |
Kann nicht schlafen. Gehe rüber aufs Sofa, mit Wärmflasche und Laptop. | |
Vielleicht lieber duschen? Es drückt wieder. Pause. Drückt. Pause. Schmerz: | |
noch immer wie bei einer Periode. Stoppe die Zeit. Alle neun Minuten kommt | |
eine Wehe. Lasse warmes Wasser über mich laufen. Erinnere mich, gelesen zu | |
haben: Wenn die Wehen beim Baden oder Duschen stärker werden, geht es | |
wirklich los. | |
Ich wollte eine Beleggeburt. Eine Hebamme, die ich schon während der | |
Schwangerschaft kennenlernte, die, neben der Frauenärztin, ein paar | |
Vorsorgeuntersuchungen übernahm und am Ende mit in den Kreißsaal kommen | |
sollte. Keine fremden Leute, kein Schichtwechsel, dafür Intimität und Ruhe. | |
Meine Hebamme und ich verstanden uns gut. Ich mochte sie. | |
## Wieso sollte ich es nicht schaffen? | |
Doch auch mit ihr sprach ich nicht über die Schmerzen bei der Geburt. Wir | |
klärten das Prozedere, die Rufbereitschaft. Sie fragte, ob ich eine Wanne | |
wollte. Gut, dachte ich, vielleicht gibt es nicht mehr zu sagen. Ich hatte | |
keine Angst. Ich dachte, was wohl alle Frauen denken, deren Bauch und | |
Aufregung wachsen: Schon immer haben Frauen Kinder geboren. Wieso sollte | |
ich es nicht schaffen? | |
Im Fernsehen läuft „Der Teufel trägt Prada“, kann mich nicht konzentriere… | |
Schmerz: unverändert. Stimmung: Als dürfte ich einen frühen Flug am Morgen | |
nicht verpassen. Wecke meinen Freund. Der duscht schnell und macht Brote. | |
Rufe die Hebamme an, sie sagt, wir treffen uns im Krankenhaus. Rufe ein | |
Taxi. Im Krankenhaus werde ich in einen kleinen Raum geführt, erst mal die | |
Herztöne des Kindes messen. Alles super. | |
Wie Geburten in Hollywood aussehen: Die Fruchtblase platzt. Meist tagsüber, | |
im Supermarkt, im Restaurant oder auf der Straße. Die Frau ruft „Taxi!“ – | |
Schnitt – sie liegt auf einem Bett und verzieht ihr Gesicht – Schnitt – | |
Frau und Mann schauen auf ein gänzlich unblutiges Kind, die Frau sieht | |
übrigens spitzenmäßig aus, leicht errötet, wie nach einem Spaziergang am | |
Meer. Ein bisschen so wie Herzogin Kate, als sie vor ein paar Monaten mit | |
der kleinen Charlotte vor die Kameras trat. | |
Wie Geburten in Hollywood nicht aussehen: Eine Frau schreit sich die Seele | |
aus dem Leib. Ihr Gesicht so rot, dass man fürchtet, ihre Adern würden | |
platzen. Sie erbricht, scheidet Kot und Urin aus, ihre Vagina oder ihr Damm | |
oder beides reißen. Am Ende, wenn alles „normal“ gelaufen ist, spuckt ihr | |
Körper nach dem Kind noch ein weiteres Stück Fleisch aus, rot und pochend, | |
die Nachgeburt. | |
Steige in die Badewanne, soll die Wehen anregen. Der Bauch ist zu groß, er | |
ragt wie ein Berg aus dem Wasser. Die Hebamme reibt ihn mit Öl ein, soll | |
die Wehen anregen. Stimmung: Gut, bin ein glückliches Walross. Schmerz: | |
fast weg. Die Hebamme bringt Globuli, sollen auch die Wehen anregen. Fühle | |
mich pudelwohl. Das soll Geburt sein? | |
Alles wird gut, las ich in Schwangerschaftsbüchern. Ratgeber, die | |
gleichzeitig als Tagebuch dienten – illustriert in Pastell, bebildert mit | |
dickbäuchigen Frauen, die in sich hineinlächelten. Wichtig ist, dass Sie | |
entspannt bleiben! Tun Sie, was Ihnen guttut. Wippen Sie auf dem Ball, | |
lassen Sie sich von Ihrem Partner massieren, laufen Sie, baden Sie. Nehmen | |
Sie den Schmerz wie eine Welle, auf der Sie nur zu surfen brauchen. Wenn | |
Hilfe, dann am besten Homöopathie. Oder Akupunktur. Oder Aromatherapie. | |
Oder Reflexzonenmassage. Im Grunde ist doch alles eine Frage des | |
Loslassens. Nur wer nicht loslassen kann, braucht Medikamente. Die | |
Endorphine verhelfen jeder Frau während der Geburt zu ungeahnter Kraft! | |
## Wer sich dopt, ist ein Schisser | |
Ich unterschrieb den Bogen für eine eventuelle PDA, die lokale Betäubung, | |
die neben das Rückenmark gesetzt wird. Nur für den Notfall. Denn mir war | |
klar: Eine PDA kam nicht in Frage. Nicht wegen möglicher Nebenwirkungen, | |
die jedes Schmerzmittel hat. Sondern weil ich glaubte: Eine richtige Frau | |
kann auch ohne. Betäubung ist wie Doping. Und wer sich dopt, wird | |
disqualifiziert. Wer sich dopt, ist ein Schisser. | |
Wir haben den Kreißsaal bezogen. Ohne Fenster. Ich sehe nicht, dass es | |
draußen dunkel ist. Dafür sehe ich Neonröhren. War mehrere Male auf dem | |
Klo, das Kind drückt auf Blase und Darm. Die Wehen werden schwächer. | |
Schmerz: auch schwächer. Laufe rum. Die Hebamme schaut ernster. Sie | |
überlegt, mir ein wehenanregendes Medikament zu geben, sagt sie. Verstehe | |
nicht. Warum? Wir wollten doch eine natürliche Geburt? Gibt es Probleme? | |
Nein, nein, alles gut. Geht nur etwas langsam voran. | |
Mein Freund und ich hatten fleißig Kreißsaal-Tourismus betrieben. | |
Entscheidend für die Geburt, heißt es, ist vor allem ein Ort, an dem man | |
sich wohlfühlt. Soll es ein Geburtshaus sein, eine Hausgeburt oder ein | |
Krankenhaus? Mit oder ohne angrenzendem Hotel? Mit oder ohne Wanne? Welche | |
Farbe sollen die Wände haben? Wir hätten da Grün, Rot und Blau. Schauen | |
Sie, ein Tuch, das von der Decke hängt. Ein Pezziball, auf dem man rollen | |
kann. Sie wollen Ihr Kind nachts bei sich haben? Wir haben auch Rooming-in! | |
Es war, als würden wir eine Wellness-Behandlung buchen. | |
Soll ich das wehenanregende Mittel jetzt nehmen oder nicht? Wie ernst ist | |
es? Stimmung: kippt. Warum macht mein Körper nicht mehr weiter? Was stimmt | |
nicht mit mir, warum sind meine Wehen nicht stark genug? Ich lasse mir | |
einen Zugang legen, das Mittel wird in meinen Körper gepumpt. Wir warten. | |
Sieben Wochen vor der Geburt saßen wir mit anderen Paaren im Schneidersitz | |
auf einer Matte, ein ganzes Wochenende lang. Geburtsvorbereitungskurs. Die | |
leitende Hebamme schraubte ein Plastikbaby durch ein Plastikbecken und | |
sagte etwas von Eröffnungsphase, Übergangsphase, Austreibungsphase. | |
## Sogar die WHO empfiehlt die natürliche Geburt | |
Wir lernten, was unbedingt in den sogenannten Klinikkoffer muss. | |
Bademantel, Duschgel, Lotion, bequeme Kleidung für nach der Geburt, | |
Kleidung fürs Baby, Wasser, Schorle, Nüsse, Müsliriegel, Lieblingsmusik. | |
Dann sollten wir uns hinstellen, die Arme seitlich ausstrecken und ganz | |
kleine Kreise machen. Eine Minute. Zwei Minuten. Bis der Arm schwer wurde, | |
bis es anfing zu ziehen. „So in etwa wird es wehtun“, sagte die Hebamme. | |
„Na ja, vielleicht etwas mehr.“ Sie lachte. Wir lachten mit. | |
Habe etwas geschlafen. Immer noch alles ruhig, nur ganz leichte Wehen. | |
Heißt das, wir gehen wieder nach Hause? Stimmung: verzweifelt. Will nicht | |
nach Hause! Will das Kind nicht mehr im Bauch haben! Es soll da … | |
… raus! O Gott. Das sind keine Periodenschmerzen. Es ist, als hätte ich | |
plötzlich kein weiches Baby, sondern einen Ziegelstein im Bauch. Muss | |
stöhnen. Denke: Aha, du stöhnst jetzt also. Es ist der letzte Moment für | |
einen Witz. Schmerz: Als würde jemand den Ziegelstein mit aller Kraft nach | |
unten drücken. Freund massiert meinen unteren Rücken. Stehe vor dem Bett | |
und stütze mich ab. Stöhne, atme, stöhne, atme. | |
Vor dreißig Jahren noch, als ich selbst geboren wurde, lagen die Frauen | |
flach auf Klinikbetten, umzingelt von kalten Kacheln, vor sich Ärzte, die | |
kritisch zwischen ihre Beine blickten. | |
Dann erkämpften sich die Hebammen ihren Platz im Kreißsaal zurück. Ihren | |
Beruf hatte es schon lange vor dem der Ärzte gegeben. Frauen sollten sich | |
unter der Geburt wieder bewegen – und möglichst nicht von außen gestört | |
werden, auch nicht durch Medikamente. Das gilt bis heute. Sogar die WHO | |
empfiehlt die natürliche Geburt. | |
Es drückt wahnsinnig. Immer wieder. Als wäre der Ziegelstein noch schwerer | |
geworden. Die Pausen dazwischen: zu kurz. Mir ist schlecht. Die Knie | |
wackeln. Mein Freund reicht die Colaflasche. Trinke in großen Schlucken. | |
Die nächste Wehe. Kotze die Cola wieder aus. Das Bett ist nass, das | |
Krankenhausleibchen auch. Ziehe es aus. Ob ich was anderes anziehen will, | |
fragt die Hebamme. Höre im Kreißsaal nebenan eine Frau wie am Spieß | |
schreien. Bleibe nackt. | |
Die Soziologin Isabelle Azoulay sagt, die Geburt sei das letzte | |
Animalische, was der Mensch noch nicht kultiviert habe. Sie hat ein Buch | |
geschrieben, „Die Gewalt des Gebärens“. Ende der 1990er war das, man kann | |
es nur noch antiquarisch kaufen. | |
Wir haben gelernt, beim Essen nicht mehr zu schmatzen und zu rülpsen, wir | |
weinen kaum in der Öffentlichkeit, urinieren, koten und erbrechen nicht | |
mehr in jede Straßenecke. Die Grenzen dessen, was zumutbar ist und was | |
nicht, sind immer enger geworden. Doch die Geburt zu zähmen gelingt uns | |
nicht. Bis heute wissen wir nicht, wann und warum sie losgeht und wie sie | |
verlaufen wird. Sie bleibt eine Naturgewalt – wie sonst nur der Tod. | |
## Die Geburt als eine Art Mutterprüfung? | |
„Die Geburt passt im Grunde nicht in unsere Zeit“, sagt Azoulay. Sie | |
fordert, die Geburt dem 21. Jahrhundert anzupassen. Keine Frau müsse heute | |
auf Schmerzlinderung verzichten. | |
Ich hingegen hatte verinnerlicht: Schmerzmittel verfälschen das Erlebnis | |
einer natürlichen Geburt. Sie sei dann weniger „authentisch“. Was für ein | |
sadistischer Gedanke. Als wäre eine gute Mutter wirklich die, die stoisch | |
jeden Schmerz erträgt, die sich opfert, von Beginn an. Die Geburt als eine | |
Art Mutterprüfung? Schwachsinn. Wir brauchen unsere Kraft so dringend – für | |
danach! | |
„So langsam muss der Kopf raus“, sagt die Hebamme. So langsam? Habe das | |
Gefühl, den Kopf bestimmt schon viermal rausgepresst zu haben. Es ist, als | |
müsste ich diesen 3,8 Kilogramm schweren Ziegelstein kacken. Aber es geht | |
nicht! Glaube, ich platze. Alles ist eins, ein großes Loch, das immer | |
weiter gedehnt wird. Und noch weiter. Und noch weiter. Und ja: noch weiter. | |
Es ist nicht einfach, diese Worte aufzuschreiben. Wenn es um Geburten geht, | |
scheint es uns an ehrlicher Sprache zu mangeln. Lieber überziehen wir alles | |
mit Zuckerguss. | |
Keine Kraft mehr. Die Beine sacken weg. Muss aufs Bett. Sitze, liege, | |
irgendwas dazwischen. „Pressen, atmen, pressen, atmen“, sagt die Hebamme. | |
Presse, atme, presse, atme. Schreie jetzt genauso wie die Frau nebenan. | |
Dann sagt die Hebamme: „Das Herz wird langsamer.“ Ich weiß, sie meint nicht | |
meins. | |
In der Bibel trägt Eva die Schuld. Ihretwegen wurde die Menschheit aus dem | |
Paradies vertrieben. „Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du | |
schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären“, sagt Gott. | |
So illustrierten es auch Märchen und Sagen. Der Tod saß immer mit im Raum. | |
Die Geburt galt als die Stunde der Wahrheit. Bei den Azteken wurde die | |
Frau, die nach der Geburt starb, wie ein tapferer gefallener Soldat geehrt. | |
In den Ländern des Maghreb heißt es noch heute, die Gebärende befinde sich | |
mit einem Fuß im Leben und mit dem anderen im Jenseits. | |
Die Hebamme reißt die Tür auf und brüllt in den Flur: „Wir brauchen einen | |
Arzt!“ Arzt kommt, verstehe den Namen nicht, im Kopf rauscht es. Er stellt | |
sich an die Seite. Denke: Es geht also noch nicht um Leben und Tod. Presse, | |
atme, presse, atme. Die Fruchtblase platzt. Dann sagt die Hebamme: „Wenn | |
der Kopf bei der nächsten Wehe nicht draußen ist, muss ich einen | |
Dammschnitt machen.“ | |
Die Geburt ist ein Gewaltakt. Was, wenn wir in Zukunft nicht mehr lächeln | |
und beschwichtigen, wenn es um Geburtsschmerzen geht? Wenn wir aufklären, | |
sagen, was ist? | |
Sehe die Hebamme mit einer Schere in der Hand. Oder bilde ich es mir ein? | |
Panik. Die nächste Wehe. Presse. Noch mehr. Als es nicht mehr geht, noch | |
mehr. Als es dann nicht mehr geht, noch mehr. Die Hebamme greift mit den | |
Händen in mich rein und zieht mit. Sterbe. Es ist aus. Der Kopf ist raus. | |
Höre ein Quaken. Die Hebamme fragt, ob ich den Kopf streicheln will, der | |
aus mir raushängt. Will nicht. | |
Ich hätte das alles gern vorher gewusst. Wer eine Zahnwurzelbehandlung ohne | |
Betäubung durchzieht, wird komisch angeschaut. Jeder Krebspatient wird | |
schmerztherapeutisch behandelt. Der Geburtsschmerz aber scheint heilig zu | |
sein. Etwas Größeres zählt. Das Kind. Du als Frau, nimm dich doch nicht so | |
wichtig! | |
Letzte Wehe. Spüre kaum noch was, so wund ist alles. Der Rest des Körpers | |
flutscht raus. Ein Schrei. Das Kind wird in ein krankenhausgelbes Handtuch | |
gewickelt und mir auf die Brust gelegt. Eine Miniwehe hinterher. Die | |
Plazenta kommt raus. Kein Glück. Nur Erschöpfung. Lasst mich alle in Ruhe! | |
Habe gerade einen Menschen aus mir rausgepresst! Verschwindet! Alle! Das | |
würde ich schreien, wenn ich die Kraft noch hätte. Siebter Himmel? Bin | |
nicht mal im ersten. | |
Wenn ich vor der Geburt an die Geburt gedacht hatte, dann daran, dass dem | |
Kind bitte nichts passieren sollte. An mich dachte ich nicht. | |
Selbstverständlich würde ich es packen. Am Ende war es genau umgekehrt. Dem | |
Kind ging es blendend. Mir nicht. Ich fühlte mich, als hätte mich jemand | |
blind ins offene Messer laufen lassen. | |
## Ich hatte eine stinknormale Geburt | |
Als wir am nächsten Tag das Krankenhaus verließen, stand auf dem | |
Entlassungspapier: Geburt normal, keine Auffälligkeiten, Kind gesund. So | |
war es. Ich hatte eine stinknormale Geburt, meine Hebamme hatte alles | |
richtig gemacht, „du warst großartig“, sagte mein Freund. | |
Es war die schlimmste Nacht meines Lebens. | |
„15.14 Uhr“, sagt die Hebamme. Schon? Tag, Nacht, hier leuchten noch immer | |
die Neonröhren. Will kurz aufstehen. Und falle aus der Welt. Als ich wieder | |
aufwache: das Gefühl, Stunden geschlafen zu haben. Es waren ein paar | |
Sekunden. Die erste Ohnmacht meines Lebens. | |
Ein paar Wochen später: Rückbildungskurs. Und, wie war es bei dir so? „So | |
schön! Ganz wunderbar, Thorben kam schnell und unkompliziert.“ „Ich soll | |
noch ganz viele Kinder kriegen, hat meine Hebamme gesagt!“ „Mein Mann war | |
so lieb, er hat mir immer das Wasser gereicht, wenn ich durstig war.“ | |
Mein Kind, mein Tragetuch, meine Biobaumwollhemdchen. | |
Als Letzte war ich an der Reihe. Ich stammelte etwas, „alles gut, Kind | |
gesund“, ich hatte keine Kraft, die Wahrheit zu sagen. Und fragte mich, ob | |
es wohl jemandem genauso ging. | |
Ein paar Monate später habe ich mir ein Tattoo stechen lassen. Es hat ein | |
bisschen geziept. | |
19 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Emilia Smechowski | |
## TAGS | |
Geburt | |
Schmerzen | |
WHO | |
Geburt | |
Geburt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Geburt & Gerechtigkeit: Randale im Kreißsaal | |
Bremer Amtsgericht verurteilt einen 25-Jährigen zu einer Geldstrafe, der | |
sich Polizei widersetzt hat, die ihm die Geburt seiner Tochter vorenthalten | |
wollte | |
Mythos oder Realität: Verklären wir die Geburt? | |
Wir feiern an Weihnachten eine Geburt. Doch bis heute reden wir nicht | |
darüber, was in diesen Stunden wirklich passiert. |