# taz.de -- Rehabilitation post mortem: Parteienstreit um NS-Kriegsverräter | |
> Haben Soldaten, von Nazis als Kriegsverräter verurteilt, ihren Kameraden | |
> geschadet oder sind sie Widerstandskämpfer? Grüne und Linkspartei wollen | |
> sie rehabilitieren, die Koalition nicht. | |
Bild: Auch der einstige Wehrmachtssoldat und "Kriegsverräter" Ludwig Baumann w… | |
Der Soldat Robert Albrecht versuchte 1942 der Schweizer Regierung | |
Informationen über die Lage russischer Kriegsgefangener zukommen zu lassen, | |
die zu Hunderttausenden in Wehrmachtslagern verhungerten. Albrecht wurde | |
denunziert und wegen Kriegsverrat zum Tode verurteilt. Bei dem Gefreiten | |
Josef Salz genügten 1944 Nazi-kritische Tagebucheintragungen, um wegen | |
Kriegsverrats hingerichtet zu werden. Der Soldat Adolf Pogede sagte 1944 zu | |
sowjetischen Kriegsgefangenen, dass die Rote Armee bald Berlin erobern | |
werde. Auch Pogede wurde als Kriegsverräter verurteilt. | |
Diese drei Fälle, die der Militärhistoriker Wolfram Wette recheriert hat, | |
sind typisch für die Willkürjustiz im Dritten Reich. Bis heute ist unklar, | |
wie viele damals als Kriegsverräter ermordet wurden. Klar ist aber: Die | |
Urteile gegen viele gelten noch immer. Denn Rot-Grün rehabilitierte 2002 | |
nach langen Auseinandersetzungen zwar Deserteure und | |
Kriegsdienstverweigerer der NS-Zeit. Doch die meist einfachen Soldaten, die | |
als Kriegsverräter hingerichtet wurden, gelten noch immer als suspekt. Vor | |
allem der Union. CSU-Politiker Norbert Geis befand 2007 im Bundestag, dass | |
"wer Kriegsverrat beging, oft in verbrecherischer Weise den eigenen | |
Kameraden geschadet hat". Viele hätten sich, so der CSU-Mann empört, bloß | |
beim "Feind lieb Kind" machen wollen. Diese Vorbehalte reichen weit über | |
den rechten Rand der Union hinaus bis in die FDP. Auch SPD-Justizministerin | |
Brigitte Zypries sah lange "keinen Anlass" für eine Anullierung der | |
NS-Urteile. Man könne, so Zypries 2006, niemand rehabilitieren, der | |
vielleicht das Leben "einer Vielzahl von Soldaten" gefährdete. Will sagen: | |
von deutschen Soldaten. Die gängige Rechtspraxis ist daher: Angehörige von | |
verurteilten Kriegsverrätern können im Einzelfall eine Löschung des Urteils | |
beantragen. Doch eine generelle Rehabilitierung gibt es nicht. | |
"Haarsträubend" findet dies der grüne Rechtspolitiker Wolfgang Wieland. | |
Denn in der Tat ist kein Fall nachgewiesen, in dem die NS-Justiz einen | |
Soldaten zu Recht als Kriegsverräter hinrichtete. Der Historiker Wette | |
zeigt in der Studie "Das letzte Tabu" im Gegenteil, dass Kriegsverrat eine | |
Widerstandsform einfacher Soldaten war. Die Grünen wollten daher 2002 neben | |
den - ebenfalls jahrzehntelang als Verräter verleumdeten Deserteuren - auch | |
Kriegsverräter rehabilitieren. Doch sie scheiterten an Vorbehalten der SPD. | |
Danach wurde es still um das Thema. Dass es nicht völlig in der Versenkung | |
verschwand, geht auch auf das Konto der Linkspartei. Vor allem der | |
Nachwuchspolitiker Jan Korte engagierte sich seit 2006 dafür. Heute wird | |
das Thema im Innen- und Rechtsausschuss verhandelt. Im März soll der | |
Bundestag entscheiden. | |
CSU-Politiker Geis gibt sich konziliant. Die Union, so Geis zur taz, sei | |
bei dem Thema durchaus "offen" - aber nur wenn es neue, gesicherte Fakten | |
gebe, was unwahrscheinlich sei. Offenbar will die Union den Fall aussitzen. | |
Dass sie keinen überfraktionellen Antrag mit der Linkspartei akzeptiert, | |
ist im Wahljahr 2009 wohl klar. Immerhin scheint sie die rhetorischen | |
Attacken auf die Kameradenverräter erst mal einzustellen. Korte hofft, dass | |
sich die SPD doch noch bewegt, und kündigt an: "Wir machen kein | |
Parteiengeplänkel." | |
Unterstützung bekommt er von unverhoffter Seite. Joachim Gauck, Ex-Chef der | |
Stasiaufarbeitungsbehörde und nun Leiter der Vereinigung "Gegen das | |
Vergessen", plädiert auch für die Rehabilitierung. "Wir sind es den als | |
Kriegsverrätern hingerichteten Opfern der Wehrmachtsjustiz schuldig, dass | |
wir den Makel des Kriminellen von ihnen nehmen", so Gauck. | |
28 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Stefan Reinecke | |
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NS-Widerstand | |
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