# taz.de -- Rechtsextremisten in Bayern: Wenn Nazis toleriert werden | |
> Seit Jahrzehnten sind Rechtsextremisten in Bayern aktiv. Auch die | |
> Zwickauer Terrorzelle hat hier gemordet. Für die Behörden kein Grund, | |
> genauer hinzusehen. | |
Bild: Von der Polizei geschützt: Neonazi-Aufmarsch in München 2009. | |
MÜNCHEN taz | Die zierliche Frau mit dem Kopftuch will nicht, dass man sie | |
erkennt. Ein bisschen plaudern, ja, das gehe, sagt sie. Aber keine Namen | |
und keine Bilder. "Ich habe Kinder", schiebt sie besorgt hinterher. Frau | |
Yilmaz, wie sie hier heißen soll, betreibt einen türkischen | |
Gemischtwarenladen im Osten von München. Vor gut zehn Jahren ist hier ein | |
Mord geschehen. Kunden fanden den Gemüsehändler Habil Kilic tot hinter | |
seiner Ladentheke. | |
Seit November 2011 deutet alles darauf hin: Er wurde von Beate Zschäpe, Uwe | |
Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordet, den Mitgliedern der sogenannten | |
Zwickauer Terrorzelle, einer rechtsradikalen Vereinigung, die im Untergrund | |
agierte. Einige Kunden, die Kilic damals fanden, kaufen noch heute bei Frau | |
Yilmaz ein. | |
"Vor drei Jahren, als wir den Laden übernommen haben, erzählten mir die | |
Kunden sehr viel über den Mord", erinnert sich die 36-Jährige. Das | |
gemusterte Kopftuch hat sie fest um das zarte Gesicht gebunden, die Füße | |
sind fast vollständig vom Saum ihres langen, schwarzen Rocks bedeckt. | |
"Irgendwann habe ich sie gebeten, damit aufzuhören", sagt sie mit sanfter | |
Stimme. Ständig darüber nachzudenken habe keinen Sinn. "Meine Kinder sollen | |
ihre Mutter doch lachen sehen." Immer wieder betreten Kunden das Geschäft, | |
kaufen Obst und Gemüse, Ayran, türkische Süßigkeiten und frisches | |
Fladenbrot. | |
Frau Yilmaz hält mit jedem ein freundliches Schwätzen, mal auf Türkisch, | |
mal auf Deutsch. Erst als der Laden wieder leer ist, fährt sie fort zu | |
sprechen. Seit sie wisse, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach Neonazis | |
waren, die den Gemüsehändler erschossen, habe sie Angst. "Weil das nicht | |
nur ein Mörder war, sondern weil viele Menschen dahinterstecken", erklärt | |
sie. "Das ist noch nicht zu Ende." Sie wolle nicht die Nächste sein. | |
"Deswegen ist es besser, wenn mich und meine Familie keiner kennt." | |
## Alle Vermutungen waren falsch | |
Am 13. Februar werden drei Monate vergangen sein, seit bekannt wurde, dass | |
die insgesamt zehn Morde, verübt zwischen 2000 und 2007 an acht | |
türkischstämmigen, einem griechischen Kleinunternehmer und einer | |
Polizisten, offenbar auf das Konto von rechtsradikalen Terroristen gehen | |
und dass sich all die Vermutungen, die Opfer könnten in mafiöse Strukturen | |
und Drogenhandel verstrickt sein, als falsch erwiesen. Anlass, auch in | |
Bayern einmal genauer hinzusehen, was sich am rechten Rand so tut, gab das | |
den bayerischen Behörden nicht. | |
Anderntags, auf einem freien Platz vor einem neu gebauten Einkaufszentrum | |
im Hasenbergl, einem von zwei Münchner Unterschichtsvierteln, wenn man so | |
will, steht ein gutes Dutzend schwarz gekleideter Männer mit Kapuzen und | |
versteinerten Mienen im kalten Winterwind. Sie halten ein Banner mit der | |
Aufschrift "Kriminelle Ausländer raus!!!". Angemeldet hat die Demo ein | |
Münchner Stadtrat. Karl Richter wurde 2008 als einziger Vertreter der | |
"Bürgerinitiative Ausländerstopp" in das kommunale Gremium gewählt. Bei der | |
Kundgebung im Hasenbergl wird er von rechten Kameradschaftlern aus dem | |
Freien Netzwerk Süd unterstützt. | |
Aktionen wie diese gibt es in München häufiger. Immer wieder melden rechte | |
Gruppierungen Demonstrationen an. Ihre Zahl ist meist gering, ebenso wie | |
die der linken Gegendemonstranten, die die Parolen der Neonazis mit ihren | |
Trillerpfeifen zu übertönen suchen. Nach knapp zwei Stunden ist der braune | |
Spuk auf dem zugigen Platz vor dem Einkaufszentrum vorbei. Wie die | |
allermeisten MünchnerInnen bekommt auch Frau Yilmaz aus dem Gemüsegeschäft | |
von solchen Aktionen nichts mit. Für Sigi Benker, den Vorsitzenden der | |
Grünen-Stadtratsfraktion, gehört die Auseinandersetzung mit Richter, dem | |
rechten Stadtrat, und dessen Verstrickung in die bayerische Neonaziszene | |
zum täglichen Geschäft. | |
"Karl Richter ist ganz eindeutig Teil des rechtsextremen Netzwerks in | |
München", sagt Benker. Wie man im Stadtrat mit ihm umgehen soll, ist | |
dennoch nicht recht klar. In der Regel werden er und seine meist | |
ausländerfeindlichen oder islamophoben Anfragen, soweit das geht, | |
ignoriert. Sich bei jeder Anfrage eindeutig gegen ihn zu positionieren wäre | |
viel Arbeit und würde den Stadtrat womöglich nur aufwerten, sagt Benker. | |
## Für Wahlkampf instrumentalisiert | |
Er hofft, dass sich das Problem bei der nächsten Wahl von selbst erledigt. | |
Dass Richter 2008 in den Stadtrat einzog, sei vor allem infolge der | |
ausländerfeindlichen Debatte über die beiden Münchner "U-Bahn-Schläger" | |
geschehen. Ein 17- und ein 20-Jähriger mit griechischen und türkischen | |
Wurzeln hatten damals in einer Münchner U-Bahn-Station einen pensionierten | |
Schulrektor fast totgetreten. Im Wahlkampf wurde der Vorfall bis über | |
Bayerns Grenzen hinaus von konservativen Politikern instrumentalisiert. | |
Gleichwohl gibt Benker zu bedenken: "In München gibt es eine relativ | |
stabile Wählerschaft mit festem rechtem Potenzial." | |
Rund 8.000 Stimmen bekam Richter 2008. Richter, der ganz offiziell auf | |
politischer Ebene agiert, ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Liste | |
rechter Gewalttaten, die bereits 1980 mit dem Oktoberfest-Attentat begann | |
und seither kein Ende gefunden hat, ist sehr lang. Einige Kritiker gehen so | |
weit, zu behaupten, der Ursprung rechter Aktivitäten in Ostdeutschland | |
ginge auf bayerische Neonazis zurück. Aber ein Grund, die rechten | |
Strukturen in Bayern aufzudecken und konsequent zu verfolgen, ist das für | |
die Behörden nicht. | |
Die Einstellung des bayerischen Verfassungsschutzes zum Thema Terrorismus | |
offenbart das Beispiel "Aida". Obwohl die ehrenamtlich arbeitende | |
Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München | |
vermutlich über die umfassendsten Informationen über die rechte Szene in | |
Bayern verfügt und seit Jahren dazu beiträgt, rechte Strukturen in Bayern | |
zu beobachten und zu dokumentieren, wird sie selbst im jährlichen | |
Verfassungsschutzbericht als linksextreme Vereinigung geführt. | |
## Lieber wegsehen | |
Markus Buschmüller, blauer Strickpulli, braune Cordhose, der 1980 als | |
16-Jähriger das Oktoberfest-Attentat hautnah miterlebte und den Verein 1990 | |
gründete, versteht nicht so recht, was das soll. "Wir haben keine | |
politische Agenda", sagt er. Stattdessen lasse man rechtskräftig | |
verurteilten Terroristen, wie Martin Wiese und Karlheinz Statzberger, die | |
2003 durch die Planung eines Sprengstoffattentats auf das Jüdische Zentrum | |
in der Münchner Innenstadt bundesweit bekannt wurden und in Bayern zu den | |
Mitorganisatoren des Freien Netzwerks Süd gehören, relativ freien Lauf. | |
Kontaktverbote, die Treffen zwischen den Planern des Anschlags verbieten, | |
würden nicht überwacht, so Buschmüller. "Immer wenn es darum geht, das | |
Kontaktverbot umzusetzen, ist die Polizei nicht vor Ort", sagt er | |
resigniert. | |
Das bis heute nur unzureichend aufgeklärte Oktoberfest-Attentat, der rechte | |
Stadtrat, die Freien Kameradschaften, all das ist Frau Yilmaz gänzlich | |
unbekannt. Vielleicht habe sie mal im Fernsehen etwas darüber gesehen, sagt | |
sie vage. Genau erinnern könne sie sich aber nicht. "Ich beschäftige mich | |
nicht mit solchen Dingen", sagt sie erklärend. "Wissen Sie, es geschieht | |
eben nicht immer das, was wir uns wünschen." Dann hält sie einen kurzen | |
Moment inne und denkt nach. Vielleicht, so sagt sie, sei es auch gar nicht | |
so gut, wenn man zu viele Nachforschungen anstelle. "Damit reizt man diese | |
Menschen nur, und wer weiß, was dann passiert." | |
Die bayerischen Behörden scheinen diese Einstellung zu teilen. Im Dezember | |
haben sich die Mitglieder des CSU-regierten Bayerischen Landtags mit einer | |
offiziellen Trauerveranstaltung bei den Hinterbliebenen der Opfer der | |
Nazimordserie aus München und Nürnberg entschuldigt und einmal mehr | |
fraktionsübergreifend gefordert, man möge die NPD nun endlich verbieten. | |
Seitdem sind die Morde der Rechtsterroristen und ihre Verbindungen nach | |
Bayern kein Thema mehr. | |
23 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
Marlene Halser | |
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