# taz.de -- Prozess gegen Epstein-Vertraute: Die Dame des Hauses | |
> Ghislaine Maxwell, frühere Partnerin von Jeffrey Epstein, will im Prozess | |
> keine Aussage machen. Ein Urteil könnte noch vor Weihnachten fallen. | |
Bild: Bild einer Gerichtszeichnerin von Ghislaine Maxwell beim Prozess | |
New York taz | [1][Ghislaine Maxwell] wohnt ihrem eigenen Prozess | |
schweigend bei. Von sich selbst gibt sie lediglich ein paar Gesten preis, | |
die sie mehrfach die Stunde wiederholt: Sie schiebt das dunkle Haar wie | |
einen Vorhang vor das Gesicht. Sie setzt ihre Brille auf und wieder ab. Sie | |
nimmt einen Block und schreibt oder zeichnet. Manchmal deutet sie ein | |
Winken mit den mittleren Fingern ihrer rechten Hand an. Als wäre sie die | |
Gastgeberin bei einem eleganten Empfang. Und als genieße sie weiterhin das | |
Privileg, bloß auf die Namen von Präsidenten und Prinzen, von Hollywood- | |
und Rockstars und von Anwälten und Spitzenunternehmern in ihrem Adressbuch | |
tippen zu müssen, um mit ihnen sprechen zu können. | |
Aber damit ist es vorbei. Die 59-Jährige ist allein. [2][Ihr langjähriger | |
Partner, Jeffrey Epstein], ist tot. Er starb einen Monat nach seiner | |
Verhaftung in seiner Zelle. Suizid, befand die Gerichtsmedizinerin. Die | |
Prominenten, die jahrzehntelang Maxwells Freunde waren, wollen nichts mehr | |
von ihr wissen. Und Frauen, die den Fehler gemacht haben, ihr als | |
Jugendliche zu vertrauen, beschreiben sie heute in Büchern und Interviews | |
als „Ungeheuer“. | |
Bloß die eigene Familie hält noch zu Maxwell. Zwei aus England angereiste | |
andere Kinder des 1991 bei einem mysteriösen Yachtunglück verstorbenen | |
Verlegers und Labour-Politikers Robert Maxwell sitzen in der ersten Reihe | |
des Gerichtssaals. Sie betrachten ihre jüngste Schwester als Opfer in | |
vielfacher Hinsicht: Opfer des pädophilen Epstein, der ihr Leben ruiniert | |
habe; Opfer der US-amerikanischen Justiz, die sie als Sündenbock nehme; und | |
Opfer des New Yorker Gefängnisses, das sie „foltere“, weshalb sie Gewicht | |
und Haare verliere. Die Familie hat vergeblich versucht, Maxwell [3][gegen | |
Kaution freizubekommen]. Geld ist nicht das Problem. Vielmehr will die | |
US-Justiz, die schon den Tod von Epstein nicht verhindert hat, weitere | |
Risiken vermeiden. Sie sieht Fluchtgefahr. | |
Die Anklage gegen Maxwell wiegt schwer. Sie steht unter anderem wegen | |
Zuhälterei und Sexhandel mit minderjährigen Mädchen vor Gericht. Sie soll | |
für den Investmentbanker und Multimillionär Epstein, mit dem sie eine lange | |
Beziehung hatte, die zumindest am Anfang auch eine Zweierbeziehung war, | |
nach Mädchen gesucht haben. Die jüngsten waren erst 14. Epstein hat die | |
Mädchen sexuell missbraucht sowie an andere Männer weitergereicht. Er | |
transportierte die Mädchen in seiner Boeing 727 zwischen seinen Wohnsitzen | |
in New York, New Mexico und Florida sowie Paris und auf einer Privatinsel | |
in der Karibik hin und her. | |
## Mindestens 100 Opfer | |
„Sie war die Dame des Hauses“, sagt Juan Alessi dem Gericht über seine | |
Ex-Chefin, „sie bestimmte.“ Der 71-Jährige hat mehrere Häuser für Epstein | |
und Maxwell gemanagt. Die Dame des Hauses verlangte von ihren Beschäftigten | |
absolute Diskretion, dass sie den Mund halten und dass sie Augenkontakt mit | |
Epstein vermeiden. „Ich sollte blind, taub und dumm sein“, sagt Alessi dem | |
Gericht. David Rodgers, einer der Piloten der Boeing 727, bestätigt dem | |
Gericht, dass Maxwell die „Nummer zwei“ in Epsteins Imperium war. | |
Mindestens 100, meist minderjährige, junge Frauen sind Opfer von Epstein | |
geworden. Aber bei dem Prozess in dem Gerichtssaal in Manhattan sind nur | |
vier von ihnen als Zeuginnen geladen. Sie nennen sich zu ihrem eigenen | |
Schutz Jane, Kate und Carolyn. Ihre Wege in Epsteins Falle ähneln sich. | |
Maxwell sprach sie an – mehrfach direkt vor Schulen. Und vermittelte ihnen | |
das Gefühl, bei Leuten zu sein, die sich für ihre Ziele im Leben und ihre | |
Berufsausbildung interessieren. Nachdem sie bei den Mädchen Vertrauen | |
erzeugt hatte, stellte sie ihnen Epstein vor und nannte ihn einen | |
„Philanthropen“. Manchen Mädchen riet sie, ihm zu geben, was er wolle. | |
Andere Mädchen massierte sie für ihn, bevor sie sich zurückzog. Epstein gab | |
den Mädchen anschließend ein paar Hundert Dollar und drohte ihnen mit | |
Konsequenzen, falls sie über das Geschehen sprächen. | |
Fast alle Mädchen schwiegen. Bloß von zwei Schwestern, Maria und Annie | |
Farmer, ist bekannt, dass sie schon 1996 in New York zur Polizei gingen. | |
Als Annie Farmer in dieser Woche als Zeugin vor dem Gericht ist, sagt sie, | |
dass die Ermittler damals nichts zum Schutz der beiden Teenager unternommen | |
haben. | |
## Namen, die nicht auftauchen | |
Im Jahr 2008 verpassten die US-Behörden eine weitere Gelegenheit, Epstein | |
und Maxwell zu stoppen. Damals wurden mehrere Dutzend neue Fälle von | |
sexueller Gewalt gegen Mädchen in Florida bekannt. Aber dem | |
Investmentbanker gelang es erneut, sich herauszumogeln. In einer | |
außergerichtlichen Einigung gab er Prostitution mit einer Minderjährigen | |
zu. Dafür bekam er eine Strafe von 18 Monaten. Und das Gericht verzichtete | |
auf weitere Ermittlungen. Wegen guter Führung kam er nach 13 Monaten wieder | |
frei. Schon zuvor musste er nur seine Nächte im Gefängnis verbringen. | |
Tagsüber durfte er die Investmentberatung seiner Kunden in Freiheit | |
fortsetzen. | |
Bei dem New Yorker Prozess beschränkt sich die US-Justiz erneut auf einen | |
kleinen Teil der Vorwürfe. Richterin Alison Nathan lässt keine Beweisstücke | |
zu, die Namen von potenziellen weiteren Mitwissern, Komplizen oder | |
Nutznießern enthalten. Die Flugprotokolle des „Lolita Express“ oder das | |
„Black Book“ von Maxwell müssen dem Gericht mit weitgehend geschwärzten | |
Seiten vorgelegt werden. Die Namen Bill Clinton und Donald Trump, die der | |
Investmentbanker ebenfalls auf seine Privatinsel in der Karibik und zu | |
Terminen in Übersee geflogen hat, tauchen nicht in dem Prozess auf. Das | |
Gericht befasst sich auch nicht mit einer jungen Frau, die verlangt, dass | |
neben Maxwell auch [4][Prinz Andrew angeklagt wird]. Die heute 38-jährige | |
Virginia Roberts Giuffre behauptet, dass Maxwell und Epstein sie unter | |
anderem zum Sex mit dem Sohn der britischen Königin genötigt haben. | |
Stattdessen liefert der Prozess in New York die Gelegenheit, die Opfer | |
erneut zu beschimpfen. Die Verteidiger von Maxwell suggerieren täglich, | |
dass es den Frauen „um das Geld“ gehe. Sie laden zusätzlich eine | |
Psychologieprofessorin in den Zeugenstand, die erklärt, wie wenig Verlass | |
es auf das menschliche Gedächtnis – und damit auf die Erinnerungen der | |
Opfer – gibt. Professorin Elizabeth Loftus ist schon bei Prozessen gegen | |
Vergewaltiger, darunter Harvey Weinstein und Bill Cosby, als Zeugin der | |
Verteidigung aufgetreten. Ihr Honorar von 600 Dollar pro Stunde zahlt die | |
Angeklagte. | |
## Aussage verweigert | |
Die Hoffnung, dass Maxwell Einblicke in ihr Leben erlauben oder Geheimnisse | |
über die New Yorker High Society preisgeben würde, hat sich nicht erfüllt. | |
Die Angeklagte spricht vier Sprachen, sie hat Eliteschulen besucht und sie | |
ist bekannt als schnelle und spritzige Person. Aber im Gerichtssaal sagt | |
sie nichts. Ihre Stimme und ihr elitärer Oxford-Akzent ertönen nur ein | |
einziges Mal. Am Freitag, dem letzten Tag der Zeugenaussagen, begründet sie | |
ihr Schweigen. „Euer Ehren“, sagt sie zu der Richterin, „die Regierung hat | |
ihren Fall nicht über einen vernünftigen Zweifel hinaus bewiesen, und daher | |
ist es nicht nötig, dass ich aussage.“ | |
Am Montag sollen die Schlussargumente im Prozess beginnen. Danach werden | |
sich die Geschworenen zur Beratung zurückziehen. Zu ihrem 60. Geburtstag, | |
am 25. Dezember, könnte Maxwell ihr Urteil kennen. | |
19 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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