# taz.de -- Olympia-Debatten in Japan: Weltoffen kommt später | |
> Am Freitag sollten in Tokio die Olympischen Sommerspiele eröffnet werden. | |
> Stattdessen gibt es Debatten über eine Absage. Und die Stadt ist derzeit | |
> zu. | |
Bild: Auf kleiner Flamme: Vor dem Olympiastadion wurde zu Probezwecken das Feue… | |
Eigentlich sollte die riesige Countdownuhr zwischen dem Kaiserpalast und | |
dem größten Fernbahnhof jetzt eine einstellige Zahl anzeigen. Auf dem | |
großen Platz, auf dem sie über Jahre und Monate zuverlässig die Sekunden | |
heruntergezählt hat, stünden nun uniformierte Helfer bereit. In ganz Tokio, | |
der größten Metropolregion der Welt, würde das Olympiafieber grassieren. | |
Denn in Japans Hauptstadt wäre an diesem Freitag im eigens dafür umgebauten | |
Olympiastadion [1][nach 1964] zum zweiten Mal die größte Sportveranstaltung | |
der Welt eröffnet worden. | |
Die Realität sieht jetzt anders aus. Spätestens seit die Spiele am 24. März | |
nach großem internationalen Druck seitens Athleten und Öffentlichkeit um | |
ein Jahr verschoben wurden, hat sich auch in Japan ein deutliches | |
Krisenbewusstsein ausgebreitet. Die anfängliche Unterschätzung der Pandemie | |
durch die Regierung ist größerer Vorsicht gewichen. Vom Olympiafieber, das | |
auch der Politik gut gefiel und dessen Temperatur sie bis zum Entschluss | |
zur Verschiebung so hoch wie möglich halten wollte, ist derzeit nichts zu | |
spüren. | |
Sorgen macht man sich über die nächste Welle von Sars-Cov-2. Am vergangenen | |
Samstag wurden mehr als 660 Neuinfektionen gemeldet, nach drei Monaten ein | |
Höchstwert, als angesichts der damals vielen Ansteckungen der nationale | |
Ausnahmezustand über das Land verhängt wurde. Knapp die Hälfte der bisher | |
rund 25.000 Infektionsfälle kommt aus Tokio, wo nun eigentlich die | |
internationalste Party des Weltsports steigen sollte. | |
Stattdessen hat die Regierung dieser Tage die Hauptstadt von einer Liste | |
genommen, mit der sie japanische Orte inmitten der Pandemie durch | |
inlandstouristische Aktionen unterstützen will. Das Reisen aus und nach | |
Tokio, dem größten Infektionsherd des Landes, scheint derzeit zu | |
gefährlich. Ausländer aus den meisten Ländern der Welt dürfen schon seit | |
Monaten nicht mehr nach Japan reisen. | |
Die Pandemie hat im Land an mehreren Stellen zu einer Ungleichbehandlung | |
geführt, die durch die Olympischen Spiele eigentlich überwunden werden | |
sollte. Mit Olympia wollte sich das bisher eher verschlossene Japan als | |
weltoffenes Land präsentieren, der Slogan „unity in diversity“ (Einheit in | |
Vielfalt) sollte symbolisieren, dass im ostasiatischen Land alle Farben der | |
Welt willkommen sind. Von dieser Idee eines weltgewandten Japans ist aber | |
nicht mehr viel zu spüren, seit die olympischen Slogans der Parolen der | |
Krisenbekämpfung gewichen sind. | |
## Die Spiele heißen immer noch „Tokyo 2020“ | |
So bleibt in der aktuellen Krise die Einreise in der Regel auch solchen | |
Ausländern verwehrt, die zwar ein japanisches Arbeitsvisum besitzen, das | |
Land aber einmal verlassen haben. Japaner, die sich im Ausland aufgehalten | |
haben, können dagegen wieder einreisen. | |
Und für Studenten aufgelegte Liquiditätshilfen gelten derzeit für alle | |
Inländer, aber für ausländische Studenten nur dann, wenn diese besonders | |
gute Noten haben. International könnte all dies zu einem nachhaltigen | |
Imageschaden führen. | |
Trotzdem: Die Olympiaorganisatoren beteuern, dass in einem Jahr, wenn dann | |
am 23. Juli 2021 die offiziell weiterhin als „[2][Tokyo 2020]“ bezeichneten | |
Spiele starten sollen, alles wieder gut aussehen werde. So betonte Yoshiro | |
Mori, ehemaliger japanischer Premierminister und heute Präsident des | |
Organisationskomitees, dass der Wettkampfplan mitsamt den Wettkampfstätten | |
grundsätzlich unverändert bleiben werde – eben nur um ein Jahr verschoben. | |
Dies ist nicht selbstverständlich, da durch die Verschiebung Zusatzkosten | |
in Milliardenhöhe entstehen. So hatten Betreiber von Messegeländen und | |
Stadien entweder bereits alternative Pläne für das kommende Jahr oder | |
kämpfen nun mit entgangenen Einnahmen, sodass sie angesichts der | |
Verschiebung zusätzliche Kosten erwarten. | |
Vor einem großen Problem stehen die Veranstalter grundsätzlich bei der | |
Frage, wer all die Zusatzkosten tragen soll. Es ist auch diese Frage, die | |
in der öffentlichen Diskussion an die Stelle der einstigen Vorfreude | |
getreten ist. Zwar sehen olympische Ausrichterverträge vor, dass die | |
Gastgeberstadt alle jenseits des Budgetplans anfallenden Kosten | |
verantwortet. | |
Doch eine pandemiebedingte Verschiebung ist eine völlig neue Situation, die | |
für viel Unklarheit sorgt. So ist auch noch strittig, wie die Käufer der | |
Wohnungen, die nach dem Sportevent im olympischen Dorf entstehen sollen, | |
entschädigt werden. Diese können nun erst ein Jahr später bezogen werden. | |
## Immerhin: Tickets bleiben gültig | |
Angesichts der vielen unangenehmen Fragen bemühen sich die Organisatoren um | |
die guten Botschaften. So wurde schon vor einer guten Woche gerne | |
bestätigt, was eigentlich selbstverständlich ist: Wer bereits Tickets für | |
2020 gekauft hat und diese im Sommer 2021 nicht wahrnehmen kann, soll sein | |
Geld erstattet bekommen. | |
Eine weitere vermeintlich gute Nachricht wiederholte Chef-Organisator | |
Yoshiro Mori vergangenen Freitag: „Wir werden diese Spiele völlig anders | |
machen als in der Vergangenheit, sie werden sicher und vereinfacht sein.“ | |
Es sollen Kosten eingespart und Zuschauerzahlen reduziert werden. Details | |
werden bisher allerdings nicht genannt, sodass auch unklar bleibt, was | |
genau den Sparplänen zum Opfer fallen wird. | |
Weiterhin wird aber betont, dass ein Olympia völlig ohne Zuschauer keine | |
Option sei. Einen Plan B zum jetzigen Vorhaben gebe es auch grundsätzlich | |
nicht, hat es wiederholt geheißen. Dabei ist offensichtlich, dass solche | |
Aussagen nicht in Stein gemeißelt sind. Bis zum Entschluss zur | |
Olympiaverschiebung hatten Organisatoren und Regierung immerzu behauptet, | |
die Spiele würden „wie geplant“ stattfinden. | |
So fragen Japans Medien zuletzt auch kaum noch danach, was wäre, sollte die | |
Pandemie eine neue Wendung nehmen. Derzeit sind ohnehin die wieder | |
steigenden Infektionszahlen die größte Sorge. Auch die propagierte | |
Weltoffenheit der größten Metropole der Welt scheint derzeit nicht mehr so | |
wichtig. | |
20 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=WHt0eAdCCns | |
[2] https://tokyo2020.org/en/ | |
## AUTOREN | |
Felix Lill | |
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