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# taz.de -- Ode an die Falte: Glätte weiß nicht, wie man feiert
> Dauernd cremen wir gegen das Alter an. Dabei erzählen Furchen von den
> besten Partys – und von unseren Geheimnissen.
Bild: Jede Linie zeugt vom Leben
Das, was sich da tief durch dein welkes Gesicht zieht, auf deiner
runzeligen Stirn prangt, sich von den Augen im Zickzack in alle Richtungen
frisst und Furchen in deinen labbrigen Hals gräbt, das lässt dich so
richtig alt aussehen. Zerknittert, gezeichnet vom Leben. Überholt. Hämisch
zischt die Falte: „Bist wohl nicht mehr das jüngste Modell, hm? Hast wohl
dem Alter nichts entgegenzusetzen, du Schabracke.“
Ungefragt und unerwünscht taucht sie auf, macht es sich gemütlich, wo man’s
am besten sieht. Sie denkt nicht daran wieder zu gehen, und das Schlimmste:
Die Falte ist kein Kind von Traurigkeit. Munter lädt sie Freunde und
Freundesfreunde zum netten Beisammensein. Die unfreiwilligen Gastgeber
dieser Runzel-Party stürzt das in tiefe Krisen.
Verzweifelt diskutieren Leidtragende im Internet Strategien, der Fete ein
Ende zu bereiten. Gesichtsgymnastik, Massagetechniken, Weintrauben, auf dem
Rücken schlafen oder gleich komplett „die Sonne zu meiden“ sollen helfen.
Wir cremen, glätten, reiben also, platzieren Gurkenscheiben auf unseren
Augen, ziehen die Lider nach oben, nach hinten, zur Seite und vergoogeln
unsere Lebenszeit auf der Suche nach ewiger Jugend.
Zeit, in der die Party im Gesicht richtig spaßig wird. Denn, liebe langsam
Welkenden, wir wissen es alle: Die werden wir nicht wieder los. Warum also
quälen wir uns? Warum kein guter, entspannter Gastgeber sein? Ist denn
nicht jede Falte eine Erinnerung? Jede Linie zeugt vom Leben, jede Furche
von Erfahrungen, Erlebnissen, Erlittenem. Erst sie macht ein Gesicht zu
deinem.
## Heißen wir sie willkommen
Heißen wir die Gäste doch willkommen, die Zornesfurche, die zwischen den
Augenbrauen abhängt. Die Nasolabialfalte, dieser Nerd im Mundwinkel, die
Krähenfüße, die nie alleine auftauchen, die Denkerstirn, die bei Rotwein
mitphilosophiert, und die süßen Hasenfältchen auf der Nase – immer die
ersten auf der Tanzfläche. Je später der Abend, desto wilder das Fest und
kurz bevor Erdbeerkinn und Truthahnhals überhaupt da sind, ist sie
eskaliert. Kannste nichts machen, ist wie im echten Leben.
Die Tage, an denen Falten entstehen, sind die, von denen man lange erzählt.
Sie stehen für das, was nicht nur im Herzen, sondern auch auf der Haut
Spuren hinterlässt: durchfeierte Wochenenden, Streitereien, die schweren
Jahre, für Lachen, Küssen, Schreien, Schmollen. Diese kleine Linie oben
links könnte doch von der wilden Nacht letzten Sommer stammen. Die zwei
Furchen auf der Stirn, kamen die nicht mit der Geburt des Kindes?
Wer will überhaupt glatt sein? Glätte ist charakterlos. Glätte ist
Mainstream. Glätte weiß nicht, wie man feiert. Lassen wir die Falte doch
ihre Kumpels einladen, alle bis auf einen – das graue Haar. Kotzt doch eh
wieder auf den Teppich.
20 Apr 2015
## AUTOREN
Hannah Weiner
## TAGS
Altern
Ehe
Alten- und Pflegeheime
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