| # taz.de -- Neues Album von James Blake: Barfuß im Park | |
| > Adieu Dunkelheit, die Sonne scheint: Der britische Elektronikpopstar | |
| > James Blake veröffentlicht das glückselige Album „Assume Form“. | |
| Bild: Licht und Schatten: James Blake | |
| Nur um Kunst zu erschaffen, wolle er sich nicht mehr in einen Kreislauf aus | |
| Ängsten und Depression versenken, sagte James Blake schon über sein letztes | |
| Album „Overgrown“. Eine Therapie war es für den britischen Künstler, seine | |
| Londoner Heimat hinter sich zu lassen, nach Kalifornien zu ziehen und in | |
| Los Angeles mit dem Who’s who des US-HipHop und diversen Produzentengrößen | |
| zusammenzuarbeiten: Zuletzt war der 30-Jährige dort als Kollaborateur von | |
| Travis Scott, Anderson .Paak und Kendrick Lamar zu hören. Blakes | |
| Produktions- und Arrangementideen waren wiederum auf Alben von Beyoncé, | |
| Kanye West oder Frank Ocean gefragt. | |
| Anfang der Zehnerjahre galt James Blake als Pop-Wunderkind. Mit einer | |
| Interpretation von Feists „Limit to Your Love“ brachte er Klavierklänge mit | |
| tiefen Bässen und tieftraurigem Gesang zusammen. Wie eine Einstiegsdroge in | |
| britische Bassmusik fungierte diese minimalistische Coverversion, dafür | |
| wurde damals eigens die Bezeichnung Post-Dubstep erfunden – ein | |
| Sammelbegriff, der diverse elektronische Musikrichtungen unscharf | |
| zusammenfasst und daher von fast allen KünstlerInnen, die unter diesem | |
| vermeintlichen Genre subsumiert werden, abgelehnt wird. | |
| Acht Jahre und drei Alben später soll der Plan des neuen James Blake jetzt | |
| endgültig Form annehmen. Mehr noch: Der Künstler selbst will Form annehmen. | |
| Das singt Blake jedenfalls im titelgebenden Auftaktsong seines neuen Werks | |
| „Assume Form“, das heute veröffentlicht wird. | |
| Und der erste Eindruck seines neuen Albums ist tatsächlich ungewohnt. Da | |
| passiert plötzlich so viel, man glaubt zunächst, dass versehentlich zwei | |
| Musiken gleichzeitig abgespielt werden: eine flott intonierte Pianomelodie, | |
| die nicht nur von den Pausen zwischen den Tönen lebt, dazu Gesang über | |
| mehrere Oktaven, zu dem sich comichaft hochgepitchte Backgroundvocals und | |
| ein Sprachsample gesellen sowie Streicher und zittrige HiHats. | |
| ## Gesicht zeigen | |
| Außerdem blickt uns James Blake vom Cover seines Albums direkt an. Zuletzt | |
| hatte er sich für sein Album „Overgrown“ wie eine Kinderbuchfigur aus der | |
| Ferne zeichnen lassen, eine Illustration, die geisterhaft verwischt wirkte. | |
| Jetzt versteckt er sich erstmals nicht hinter seinem dunklen Haar, sondern | |
| streicht es sich ostentativ aus dem Gesicht. Warmes Licht löst die | |
| verhuscht-kühlen Coverentwürfe der Vorgänger ab. Bis zur Veröffentlichung | |
| gab sich Blake so mysteriös wie eh und je. | |
| Eigentlich hatte „Assume Form“ auch überraschend erscheinen sollen, dann | |
| wurde das Veröffentlichungsdatum jedoch in einem Reddit-Forum geleakt. | |
| Ansonsten legte Blake seine Vermarktungsstrategie generalstabsmäßig fest: | |
| Seine letzte Single, „Don’t Miss It“, entstanden mit Dominic Maker von | |
| Mount Kimbie, deutete im Mai 2018 bereits die musikalische Richtung an, die | |
| „Assume Form“ nun nimmt. | |
| Anders als bei der ebenfalls vorab veröffentlichten Single „If The Car | |
| Beside You Moves Ahead“ wirkt Blakes Stimme auf „Don’t Miss It“ nicht | |
| zerhackt, sondern nur sanft verfremdet. Diesmal legt er mehr Wert darauf, | |
| den Gesang durch seinen Stimmumfang zu variieren: mal bassig-tief, mal | |
| nasal-gnatschig, mal flirrend-hoch klingt seine Stimme. Dazu summen | |
| verfremdete Chöre im Hintergrund, die Blakes Selbsterkundungen ein | |
| kuschliges Bett bereiteten. „I could avoid going outside“, heißt es darin, | |
| als würde er mit sich selbst verhandeln, ob er sich der Außenwelt nun | |
| hingibt oder dies unterlässt. | |
| ## Warme Klangfarben | |
| „Don’t Miss It“ hat es aufs Album geschafft und damit sind unerwartet war… | |
| Klangfarben zu hören: Immer wieder setzt Blake Streicherarrangements ein, | |
| sogar Flötensamples und Cembalo sind zu hören, dazu ein Rauschen, das | |
| wirkt, als würde permanent eine Schellackplatte im Hintergrund laufen. Für | |
| „Assume Form“ stand weniger moderne Bass-Musik Pate, Blake sortiert | |
| vielmehr vorsichtig holprige Trap-Beats um seine Stimmexperimente, wobei | |
| ihn US-Produzent Metro Boomin unterstützt. Dazu gibt es verspulte Samples, | |
| die klingen wie aus HipHop-Tracks der Jahrtausendwende. | |
| Blakes gute Beziehungen zur US-Rapszene machen sich auch in seiner Auswahl | |
| der Gäste bezahlt. Der britische Künstler war zuletzt sowohl auf Travis | |
| Scotts Album „Astroworld“ als auch auf André 3000s Mini-EP „Look Ma No | |
| Hands“ zu hören. Beide revanchieren sich jetzt, was „Assume Form“ guttut, | |
| denn die lässige Attitüde der beiden Rapper erden Blakes | |
| Sängerknaben-Höhenflüge auf angenehme Weise. | |
| In „Barefoot in the Park“, in dem es allen Ernstes um einen Spaziergang in | |
| einem sonnigen Park geht, wagt Blake ein Duett mit der gerade gehypten | |
| spanischen New-Flamenco-Sängerin Rosalía. Wenige Synths und zaghaft hallige | |
| Drums umspielen elfenhafte Vocalsamples. Mit „I’ll Come Too“ und „Power… | |
| gesteht uns Blake sogar noch so etwas wie Ohrwürmer zu. Die Songs haben | |
| einen regelrecht mitreißenden Flow, hier soll man wohl mitwippen. | |
| ## Reduktion als Credo | |
| Blakes Credo, sämtliche Elemente zum Minimum zu reduzieren und damit | |
| jegliche Anknüpfungspunkte an gewohnte Popsongstrukturen auszudehnen, so | |
| dass sie kaum mehr wiedererkennbar sind, ist zum Glück verschwunden. Damit | |
| verschwindet auch der nölige, fast gefühlige Gesang, der die bisherigen | |
| Alben bestimmt hat. Auf „Assume Form“ lässt Blake den Gesang natürlicher | |
| klingen, ohne auf Stimmeffekte zu verzichten. Dazu hat er tragende Synths, | |
| in die er sein Piano immer wieder übersetzt, Wechsel in der | |
| Instrumentierung und Crescendi gesetzt. | |
| James Blake hat sich also gegen die Düsternis entschieden. Verantwortlich | |
| dafür soll übrigens die Schauspielerin und Radio-Moderatorin Jameela Jamil | |
| sein, mit der Blake seit einiger Zeit zusammen ist. Mit Stücken wie | |
| „Barefoot in the Park“ und dem verträumten „Can’t Believe the Way We F… | |
| scheint er ihr zu huldigen. „Are You In Love?“, fragt er an anderer Stelle, | |
| kräftig unterstützt von einer Synthesizer-Melodie. | |
| Auf „Assume Form“ bringt Blake mehr Elemente in Einklang als je zuvor. Und | |
| dennoch croont er „Less is always more“, als sei er sich all dessen nicht | |
| so sicher. James Blake sollte auf sich vertrauen, denn seine Stärke bleibt, | |
| dass er seine Kompositionen nicht überlädt: das warme Rauschen, die | |
| verspielten Background-Chöre, die wie beiläufig eingestreuten Gast-Vocals, | |
| die zurückhaltenden Beats. | |
| „Assume Form“ endet mit Streicher-unterlegten Chören im Stück „Lullaby … | |
| My Insomniac“, einem Schlaflied für die Schlaflosen. So ganz kann Blake | |
| schließlich auch die dunklen Farben nicht abschütteln. Dass hohe | |
| Erwartungen auch an einem Pop-Wunderkind nicht spurlos vorübergehen, ist | |
| doch beruhigend. Und dass er trotzdem seinen Sound zu öffnen wagt, tut | |
| nicht nur ihm selbst gut. | |
| 19 Jan 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Diviam Hoffmann | |
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| Man will dem Briten James Blake ja das Singen nicht verbieten. Weniger wäre | |
| aber auf seinem neuen Album eindeutig mehr gewesen. |