# taz.de -- Nachruf auf Keyboarder Keith Emerson: Er ritt die Tastatur | |
> Keith Emerson war Erfinder des Prog Rock und er machte Tasteninstrumente | |
> sexy. Mit „Emerson Lake and Palmer“ feierte er seine größten Erfolge. | |
Bild: Plötzlich bestaunten alle einen Keyboarder, der vier Hände zu haben sch… | |
Unter Musikern gibt es diesen uralten (und schwer chauvinistischen) Witz: | |
Der Sänger bekommt immer die schönen Frauen. Der Gitarrist die anderen. Für | |
die restlichen, ganz besonders den Keyboarder, interessiert sich niemand. | |
Wer in einer Band an den Tasten saß bekam von der Cool- und Sexiness | |
grundsätzlich nichts ab – so war es nun einmal im Rock. | |
Jedenfalls bis Keith Emerson kam und alles änderte. Das war 1970, Jimi | |
Hendrix und „The Who“ spielten auf der Isle of Wight, das Festival jenes | |
Jahres wurde später „Europas Woodstock“ genannt. Und zwischen „Ten Years | |
After“ und den „Doors“ spielte diese neue Band: „Emerson Lake and Palme… | |
(ELP). Plötzlich bestaunten alle einen Keyboarder, der vier Hände zu haben | |
schien. | |
Hammond, Moog-Synthesizer und Flügel stellte er zu einer Burg zusammen, in | |
der er mal hier, mal dahin griff. Die Band spielte Rock, aber auch ihre | |
Version von Modest Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“. Spätromantik | |
mit E-Gitarre und verzerrter Orgel. | |
Für die Archivare des Pop war damit der „Progressive Rock“ geboren. Aber | |
egal wie der Genre-Stempel heißt: Der Musiker an den Tasten war zum ersten | |
Mal die Rampensau der Band, vor der alle ehrfürchtig standen. Keith Emerson | |
hatte in seiner Heimat, dem Kaff Todmorden in West Yorkshire, Klavier | |
gelernt. Klassisch natürlich, anderen Unterricht gab es Mitte der 50er | |
Jahre nicht. Dann ging er, obwohl äußerst talentiert, aber nicht ans | |
Konservatorium, sondern schloss sich Bands an | |
## Ein atemberaubendes Solo | |
Es gibt ein Video von ELP, sie spielen auf einer düsteren Bühne der 70er | |
eine dramatische Version von Dave Brubecks „Rondo a la Turk“, Emerson wirft | |
die Hammond-Orgel um, legt sich drunter, spielt sie von der falschen Seite, | |
er sticht mit einem silbernen Dolch hinein, die Show ist höchst albern. Und | |
erstklassig. Emerson springt auf die Orgel, reitet sie, und schafft es | |
irgendwie trotzdem, ein atemberaubendes Solo zu spielen. Die wirren Haare | |
fliegen und die Hände auf den Manualen erst recht. | |
Dann bekamen auch andere Bands Auftrieb, „Deep Purple“, die „Genesis“ d… | |
Peter-Gabriel-Ära, die frühen „Supertramp“. Es gab fortan Keyboard-Götter | |
im Rockpop – Tony Banks von „Genesis“, Jordan Rudess von „Dream Theater… | |
Und natürlich Rick Wakeman, fünf Jahre jünger als Emerson und bald mit | |
„Yes“ erfolgreich. Emerson hatte ihnen allen den Weg aufgezeigt. Als er | |
David Bowie in einem Londoner Club zum ersten Mal traf, schrieb Emerson | |
kürzlich zum Tod seines Kollegen, sei dieser einfach auf ihn zu gegangen | |
und habe mit ihm geplaudert, als seien sie seit Jahren beste Kumpels | |
gewesen. Sie waren es wohl, im Geiste. | |
Sicher hatte Emerson auch der schwächlichen Verquirlung von Klassik und | |
Rock den Weg gewiesen, die viele Jahre lang nerven sollte. Sogar Alan | |
Wilder spielte auf der B-Seite einer „Depeche-Mode“-Single mal einen Satz | |
Beethoven. Anders als Emerson konnte er es aber, wie die meisten, einfach | |
nicht richtig gut. | |
Als der Pop der 80er kam, als Männer nicht mehr schwitzen mussten und weder | |
Gitarren verbrannten noch Keyboards mehr erstachen, war die Ära des Prog | |
Rock plötzlich vorbei. Philip Oakley von „The Human League“ sagte es einmal | |
ausdrücklich: „Früher musste man Keith Emerson sein, davon hat uns erst der | |
Punk befreit. Dann konnten Bands wie wir kommen, die einfach losmachen | |
wollten.“ Das hatte „Kraftwerk“ der Welt vorgemacht – der Sound regiert… | |
nicht mehr zwingend das Können der Finger. | |
## Immer wieder neue Bandgründungen | |
Keith Emerson versuchte immer wieder neue Bands zu gründen, spielte mit | |
Musikern von „Yes“, „Steely Dan“, den „Doobie Brothers“, den „Eag… | |
aber den Zeitgeist traf er nie wieder. Erst vor acht Jahren fand er zu | |
sich, gründete die „Keith Emerson Band“ und machte wieder das, was er | |
liebte: Emphatischen Rock, schnell und fantastisch gespielt, mit breiten | |
Keyboards. Er wirkte glücklich auf großen Bühnen mit viel zu viel | |
Equipment, gigantischen Drumsets, wie damals. | |
Eines der letzten Fotos stammt von Anfang 2015, von der Musikmesse im | |
kalifornischen Anaheim, da steht er gemeinsam mit Herbie Hancock und Jordan | |
Rudess beim Hersteller „Korg“. Tastengötter unter sich – alle lächeln | |
breit. | |
Emerson litt schon länger unter einer Nervenerkrankung, die seine rechte | |
Hand stark einschränkte, er trat seit etwa vier Jahren kaum auf. Eigentlich | |
soll er eine gute Chance auf Heilung gehabt haben, weshalb die Welt zurzeit | |
rätselt, warum der Meister der Orgel und des Synthis am Freitag in seiner | |
Wohnung in Santa Monica Suizid begangen hat. Er wurde 71 Jahre alt. | |
Seine Freundin Mari Kawaguchi sagte über ihn: „Als Rockstar sah Keith sich | |
nie. Wir hörten auch nie Rock zu Hause, Erfolg war ihm egal. Er sagte | |
immer: Alles was ich will, ist Musik machen.“ Im April hatte er in Japan | |
wieder solo auftreten wollen. | |
12 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Thomas Lindemann | |
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Pop | |
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