# taz.de -- Baaders Stammheimer Plattensammlung: Black Magic Gudrun | |
> RAF-Chef und Staatsfeind Nr. 1: Andreas Baaders Musikgeschmack war der | |
> von Millionen. In Stammheim hörte er Santana, Jethro Tull und, ähem, Iron | |
> Butterfly. | |
Bild: Die Kopfhörer waren noch größer als die Sonnenbrille. | |
Drei Tage nachdem der zu "lebenslänglich" verurteilte RAF-Chef Andreas | |
Baader seinen Schallplattenspieler geöffnet, eine dort versteckte | |
7,65-mm-Pistole herausgenommen und seinem Leben mit einem Nackenschuss ein | |
Ende gesetzt hatte, stellte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg am 21. | |
Oktober 1977 ein Verzeichnis der in Baaders Zelle 719 gefundenen | |
Gegenstände auf. Die Liste beginnt mit vier Bücherregalen, 974 Büchern, 75 | |
Langspielplatten und endet nach weiteren 54 Positionen mit 1 Schachtel | |
Abfall. | |
Im darauf folgenden Sommer wurden die verzeichneten Gegenstände von einem | |
Wasserschaden im zweiten Untergeschoss der JVA Stammheim zerstört und | |
anschließend entsorgt. Einzelne Buch- und Plattentitel wurde zuvor nie | |
offiziell dokumentiert. Im Rahmen der Recherchearbeit für seine viel | |
beachtete Biografie "Andreas Baader" kopierte Jörg Hermann im Hamburger | |
Institut für Sozialforschung neben vielen anderen Dokumenten den | |
unscheinbaren Durchschlag einer schreibmaschinengetippten Bestellung an den | |
Frankfurter Verlag Zweitausendeins, dem er zunächst keine besondere | |
Beachtung schenkte. Das akkurate Schreiben wurde am 8. Juli 1974 von Anwalt | |
Klaus Croissant oder von Baader selbst aufgesetzt. | |
Text: 18 Bandnamen mit Titelbestellnummern. Zu senden an Herrn Andreas | |
Baader, 3579 Schwalmstadt 2, Justizvollzugsanstalt. | |
Ortswechsel, zweieinhalb Jahre früher, Anfang 1972: Berlin-Schöneberg, Club | |
international. Beim Bier: Rio Reiser, Sänger der Ton Steine Scherben, | |
Bruder und Manager Gert Moebius und Freunde aus der | |
Rauch-Haus-Besetzerszene. Der von farbigen GIs besuchte Club war auch für | |
einige Berliner Spontis, Linke und Freaks Treffpunkt und Anlaufstelle - | |
nicht um zu politisieren, hier hörte man Motown-Soul und tanzte stundenlang | |
unter der Spiegelkugel im Blaulicht. Warum sich Reisers Bruder so genau an | |
diesen Abend erinnert, hängt mit dem Gast zusammen, der gegen 23 Uhr das | |
Lokal betrat und zielstrebig die Bar ansteuerte. Zigarre, blankrasierter | |
Kopf, knielanger, weißer Pelzmantel. Moebius erkannte ihn sofort: Ende der | |
60er-Jahre war man sich im Windschatten einiger Berliner Theaterprojekte | |
begegnet. Der Mann im weißen Pelz hieß Andreas Baader. Flüchtiger Bekannter | |
aus Berliner Tagen und seit Sommer 1971 Staatsfeind Nr. 1. "Ich bin die | |
paar Meter rüber zu ihm und habe ,Hallo Andreas' gesagt. Der hat mich nur | |
kurz angeschaut und so was geantwortet wie: ,Na komm, lass mal sein. Ich | |
trinke nur mein Bier aus und verschwinde gleich wieder.' Mitten in unser | |
Erstaunen über diesen dreisten Auftritt stürmte eine Hundertschaft Bullen | |
den Club International. Sie verpassten Baader nur um wenige Minuten." | |
Diese alle gängigen "Porschefahrer-, Samthosen-, Edelgangster"-Klischees | |
bedienende Begegnung zwischen dem musikalischen Sprachrohr der damals neuen | |
linken Protestbewegung namens Ton Steine Scherben und Baader, der Monate | |
zuvor dem bundesdeutschen Staat den Krieg erklärt hat, ist wirklich | |
passiert, war aber rein zufällig. Baader kam nicht, um zu tanzen, und auch | |
Sympathiebekundungen Baaders für die Ton Steine Scherben sind nicht | |
überliefert. Jugendfreund Holm von Czettritz erzählt von intensiven langen | |
Gesprächen, an einen singenden oder tanzenden Andreas kann er sich aber | |
nicht erinnern. Musik sei damals in München kein Thema gewesen, und die | |
wenigen Besuche in Jazzkellern galten ausschließlich den anwesenden | |
Mädchen. Von Czettritz bezweifelt, dass sich daran in den Berliner Jahren | |
irgendetwas geändert haben könnte. Das scheinen zunächst auch die achtzehn | |
1974 in die JVA bestellten Platten zu bestätigen. Ton Steine Scherben | |
stehen nicht auf der Liste. Die schrabbelig-schrille, schmerzhaft lebendige | |
Protestmusik aus den Berliner Hinterhöfen interessierte Baader nicht. Seine | |
Musikauswahl bestand aus einigen Santana-Alben, Jethro Tulls "Living in the | |
Past", Pink Floyds "Ummagumma", Iron Butterflys "In a Gadda da Vida", | |
Johnny Winters "Johnny and", Leonard Cohens "Songs of Leonard Cohen" und | |
LPs von weiteren auch 1974 schon weltberühmten "Hall of Fame"-Rockern. | |
Auch Wolfgang Seidel (59), erster Schlagzeuger von Ton Steine Scherben und | |
Autor des Buches "Scherben" (Ventil-Verlag Mainz), ist beim Lesen der Liste | |
über die vielen Rock-Dinosaurier gestolpert: "Das sind doch Platten, die | |
ich heute auch bei Gerhard Schröder im Regal vermuten würde - gleich neben | |
den Scorpions. Oder zu Hause bei Joschka Fischer." Heute sei die Rockmusik | |
zwar allgegenwärtig, aber auch "längst an ihren gebrochenen Versprechen | |
versteinert". Sie symbolisiere "nur noch eines: Stillstand". Man müsse die | |
Liste im historischen Kontext sehen, sagt Seidel: "Vor über dreißig Jahren | |
war diese Musik der Soundtrack für das große Unbehagen am Alten und die | |
Verheißung einer anderen Welt fernab des grauen Nachkriegsdeutschlands mit | |
seinem verkniffenen Schweigen und den Leichenbergen im Keller." | |
Orte haben ihre ganz eigenen akustischen Fingerprints - ein Kaufhaus ebenso | |
wie eine Justizvollzugsanstalt. Der Soundtrack von Schwalmstadt, Stammheim | |
und Co. bestand zuerst einmal aus Stille. Und wieder aus Stille. | |
Außengeräusche blieben dünn. Da wurden schon die quietschenden Gummireifen | |
der Essenswagen zum Klangereignis. | |
Die 75 Langspielplatten Baaders waren auch 75 individuell ausgewählte | |
Klangwelten. Wie Horst Bubeck, damals stellvertretender | |
Vollzugsdienstleiter der Anstalt, erzählt, gab es dafür allerdings keine | |
Ohrenzeugen: Für die RAF-Gefangenen war die Betreibung der Platten nur mit | |
Kopfhörern gestattet. Bubeck erinnert sich, dass die Inhaftierten oft da | |
lagen oder saßen, Bücher lasen und ihre Kopfhörer auf hatten. | |
"Mordsapparate", wie er bezeugen kann. | |
Die jetzt bekannt gewordenen 18 von 75 Schallplatten zeigen: Andreas | |
Baaders Sammlung unterschied sich wahrscheinlich kaum von der seiner | |
damaligen Altersgenossen. Er war kein Jazzer und auch kein Motown-Fan. | |
Musik eignete sich einfach nicht als Teil seiner Selbstinszenierung, schon | |
gar nicht im Knast und über Kopfhörer. Und ob man dann "You Cant Always Get | |
What You Want" von den Rolling Stones oder "Ich hasse diesen Ort und die | |
Wände sind kahl/Vom Gewichteheben habe ich langsam Hände aus Stahl" aus | |
"Staatsfeind Nr. 1" von Bushido hört - das entscheidet die Zeit, in der man | |
aufwächst. | |
25 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Alexander Wallasch | |
## TAGS | |
Pop | |
Rock | |
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