# taz.de -- Nachruf Loriot: "Bitte sagen Sie jetzt nichts!" | |
> In Loriot floss alles zusammen, was jemals komisch war in Deutschland. | |
> Deshalb konnte er so auf die Deutschen abstrahlen und kanonisch werden. | |
Bild: Herr Dr. Klöbner und Herr Dr. Müller-Lüdenscheidt beim Gespräch in de… | |
Worüber lachten eigentlich die Deutschen, bevor Loriot kam? Gar nicht. Sie | |
schüttelten vielleicht lächelnd den Kopf über die blamablen Stilblüten | |
eines Heinrich Lübke. Sie schmunzelten womöglich gepflegt über die | |
großäugigen Kalauer eines Heinz Ehrhardt, der sie ihrer eigenen | |
Harmlosigkeit versicherte. Und sie klopften sich sicher privat sehr gerne | |
auf die Schenkel über die üblichen, oft auf Kosten anderer gehenden derben | |
Witze vom Schwarzmarkt der Scherze. Aber gelacht? Nein, wirklich gelacht | |
wurde nicht. | |
Nun kam Vicco von Bülow nicht plötzlich als "Loriot" über die Deutschen. | |
Sondern schleichend. Sie hatten Zeit, sich an ihn zu gewöhnen. Zunächst | |
trat der gelernte Werbegrafiker als Cartoonist in Erscheinung. Von 1950 bis | |
1967 waren die "Knollennasenmänchen", die er an Zeitschriften wie den | |
Stern, Quick oder Pardon verkaufte, seine einzige Einnahmequelle. Studiert | |
man diese "Witzbildchen" heute, ist in diesen Auftragsarbeiten schon viel | |
angelegt, was sich später zu voller Pracht entfalten sollte. | |
Ab dem Jahr 1967 schrieb, moderierte und inszenierte Loriot die ARD-Sendung | |
"Cartoon" - und brachte seinen Comicfiguren das Laufen bei. Während Wum und | |
Wendelin beispielsweise bei Wim Thoelkes "Der Große Preis" Karriere machen | |
sollten, dem "Wetten, dass..?!" der Siebzigerjahre, drängte es ihren | |
Schöpfer nun selbst vor die Kamera. | |
Für das, was er zusammen mit seiner kongenialen Partnerin Evelyn Hamann ab | |
1976 in "Loriot" veranstaltete, gibt es heute völlig zurecht nur noch den | |
kümmerlichen Importbegriff "Comedian". | |
## "Seit 66 Jahren Rentner" | |
Loriot hingegen sollte sich mit seinen gezeichneten oder gespielten | |
Sketchen tief ins kulturelle Gedächtnis der Deutschen einschreiben. Man | |
denke nur an Erwin Lindemann, "seit 66 Jahren Rentner", die Akademiker | |
Kloebner und Müller-Lüdenscheid in ihrer Badewanne ("Herr Doktor Kloebner, | |
ich leite eines der bedeutendsten Unternehmen der Schwerindustrie und bin | |
Ihnen in meiner Badewanne keine Rechenschaft schuldig"), man denke an | |
Zitate wie "Ja, wo laufen sie denn?", "Früher war mehr Lametta", "Morgen | |
bringe ich sie um!" oder Hamanns konsterniertes "Ach was!" | |
In Erinnerung wird auch dieses kultivierte feine Lächeln bleiben, mit dem | |
er, auf dem roten Sofa die Sketche anmoderierend, seinem Publikum | |
vorsichtshalber bedeutete, das Folgende sei nun wieder nicht ganz ernst | |
gemeint. | |
## Der Popsong unter den satirischen Ausdrucksmitteln | |
Zugleich verstand er wie kein zweiter, dass der Sketch sozusagen der | |
Popsong unter den satirischen Ausdrucksmitteln ist - und es in der Kürze | |
auf Präzision und Timing ankommt. Nie schreib er auf eine bemühte Pointe | |
hin. Ein Loriot-Sketch ist lustig, sobald Loriot ins Bild kommt, und | |
steigert sich danach bis zur Unerträglichkeit. | |
Wie er etwa im fast wortlosen Sketch "Das Bild hängt schief!" bei dem | |
Versuch, ein schief hängendes Bild zu begradigen ein komplettes Wartezimmer | |
in Schutt und Asche legt, das hat Weltklasse, da spielt Loriot in einer | |
Liga mit begnadeten Situationskomikern wie Peter Sellers, dessen bizarren | |
Verkleidungslust und Wandlungsfähigkeit er sich auch zum Vorbild genommen | |
hat. | |
Als er in den späten Achtzigerjahren mit Filmen wie "Ödipussi" oder "Pappa | |
ante portas" den Schritt vom Fernsehen ins Kino wagte, war das ein | |
Experiment, das auch hätte schiefgehen und, vom Ende her, ein trübes Licht | |
auf seine Karriere hätte werfen können. Aber auch hier triumphierte Loriot, | |
persönlich herrlich untriumphal. Es war der Beweis, dass sein Witz und | |
seine linkische Lakonie auch auf der Langstrecke ans Ziel kam, seine | |
Melodien auch für ein größeres Orchester und abendfüllend taugten. | |
## "Lachen sollen die Zuschauer" | |
In der Zeit wies Loriot einmal darauf hin, es werde "in keinem meiner Filme | |
irgendwo gelacht, nirgendwo. Lachen sollen die Zuschauer". Diese Tatsache | |
rückt ihn nicht nur technisch in die Nähe von Buster Keaton, einem anderen | |
großen Ernsthaften des Genres. Sie ist zugleich das offene | |
Betriebsgeheimnis seines Humors: Bei Loriot wird in den besten Momenten | |
darüber gelacht, wie alle Beteiligten trotz widrigster Umstände versuchen, | |
so etwas wie Würde zu bewahren - und sie gerade deshalb auf umso komischere | |
Weise verlieren. | |
Seine Tableaus entlehnte der Sproß einer mecklenburgischen Offiziersfamilie | |
nicht ohne Grund fast ausnahmslos dem groß- oder wenigsten gutbürgerlichen | |
Milieu. Ein Milieu, in dem er sich auskannte, weil er, der tendenziell | |
wertkonservative Freund klassischer Musik und korrekter Rechtschreibung, | |
ihm zeitlebens angehörte. | |
## Das Leben selbst | |
Auch wenn er in eine Rolle schlüpfte, haftete er immer höchstpersönlich für | |
ihre jeweilige Fallhöhe. Charakter, Haltung, Disziplin, Selbstkritik und | |
andere Sekundärtugenden waren ihm nicht fremd; alles Hämische, Ordinäre, | |
Schlüpfrige dagegen schon. | |
Loriot war einer der letzten informierten Humoristen, einer, der, von | |
Morgenstern bis Valentin, in sich alles zusammenfließen ließ, was die lange | |
Tradition des wirklich Komischen in Deutschland jemals hervorgebracht hat – | |
und deshalb mit seinem Witz umgekehrt auf die Deutschen so abstrahlen, | |
kanonisch werden konnte. Und vielleicht lachten die Deutschen, wenn sie | |
über Loriot lachten, immer auch ein wenig erlöst darüber, dass sie es mit | |
einem geradezu widersinnig sympathischen Preußen zu tun hatten. | |
Ganz sicher aber ist Loriot einer der wenigen Künstler seines Fachs | |
gewesen, der begriffen hat, dass Tragik und Komik nicht nur "benachbart" | |
oder "verwandt", sondern zwei Seiten einer Sache sind. Und dass diese Sache | |
das Leben ist. | |
Und worüber werden die Deutschen nun lachen, da Loriot gegangen ist? | |
Natürlich über Loriot, einen Unsterblichen. | |
23 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
## TAGS | |
Tierschutz | |
Zitate | |
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