# taz.de -- Komiker-Klassiker Loriot wird 85: Wahnsinn im Anzug | |
> Seit über einem halben Jahrhundert bringt Loriot die ordnungsliebenden | |
> Deutschen mit Sketchen, Filmen und Karikaturen zum Lachen. Am Mitwoch | |
> wird er 85 Jahre alt. | |
Bild: "Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann": Lo… | |
Vicco von Bülows 85. Geburtstag ist eine gute Gelegenheit, ihn um | |
Verzeihung zu bitten. Ich muss neun oder zehn Jahre alt gewesen sein, als | |
ich auf einer Familienfeier "Der Lottogewinner" zum Besten gegeben habe, | |
den Loriot-Sketch, in dem ein Rentner namens "Erwin Lottemann … äh … | |
Lindemann" daran scheitert, einem Fernsehteam der Abendschau zu erzählen, | |
was er mit seinen gewonnenen 500.000 D-Mark so alles vorhat. | |
Den Text hatte ich gut drauf, schließlich hörte ich die Kassette mit den | |
Loriot-Sketchen rauf und runter, doch mein Timing muss grauenvoll gewesen | |
sein - erst recht für einen preußischen Perfektionisten wie von Bülow, der | |
für seine manische Detailversessenheit berüchtigt ist. "Viel schlimmer noch | |
als mein Ruf" sei seine Pingeligkeit, sagt er in einem der | |
Talkshowinterviews, aus denen - selbstverständlich kombiniert mit Sketch- | |
und Filmausschnitten - der WDR-Redakteur Klaus Michael Heinz eine äußerst | |
sehenswerte 90-minütige Porträtcollage montiert hat, die morgen im Ersten | |
läuft (22.45 Uhr). | |
Loriot kann also froh sein, dass ihm dieser Auftritt (und die Familienfeier | |
sowieso) erspart geblieben ist - darf sich andererseits aber auch | |
geschmeichelt fühlen. Denn die Tatsache, dass ein Grundschüler einen seiner | |
Texte vorträgt - sogar freiwillig -, zeigt sehr schön, dass Loriot schon zu | |
Lebzeiten ein Klassiker geworden ist, Eingang gefunden hat in den | |
bürgerlichen Bildungskanon. Wer Gedichte rezitieren kann, kennt garantiert | |
auch die eine oder andere Zeile Loriot auswendig - etwa diese hier: "Es | |
saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann." Oder die: | |
"Mit einem Jodeldiplom, da hab ich was in der Hand, und ich habe als Frau | |
das Gefühl, dass ich auf eigenen Füßen stehe, da hab ich was Eigenes, da | |
hab ich mein Jodeldiplom." Sowie natürlich die zeitlose Wahrheit: "Männer | |
und Frauen passen einfach nicht zusammen." Was vergessen? Ganz bestimmt! | |
Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen - so reichhaltig und | |
vielfältig ist Loriots Werk aus Karikaturen, Sketchen, Gedichten und den | |
beiden späten Spielfilmen "Ödipussi" (1988) und "Pappa ante Portas" (1991). | |
Womit en passant schon die zentralen Themen des Loriot-Kosmos, dieser | |
seltsamen, nur haarscharf neben dem, was wir für die Realität halten, | |
angesiedelten Parallelwelt, eingeführt wären: das Verhältnis der | |
Geschlechter zueinander, die Familie als alltägliche Wahnsinnsmaschine und | |
das (groß)bürgerliche Leben mit all seinen Konventionen und Widrigkeiten. | |
"Das wirklich Absurde hat mich nie interessiert", gibt Loriot in der | |
ARD-Porträtcollage Auskunft. "Mich hat immer das interessiert, was wirklich | |
ist und was jedem täglich passiert." | |
Dass Loriot von den Deutschen so verehrt wird, liegt nicht nur an der | |
Alltagsnähe seiner Komik (die in ihrer feinen Komposition allerdings immer | |
mehr ist als ein bloßes Abbild), sondern daran, dass sein Hochhumor stets | |
so adrett und wohlerzogen daherkommt wie der Künstler selbst. Alles | |
Anarchische ist ihm fremd. Selbst wenn Loriot Kleinholz produziert wie in | |
"Zimmerverwüstung", ist dies ein akkurat choreografierter Kommentar zum | |
deutschen Ordnungswahn, dem der Protagonist des Sketches zum Opfer fällt, | |
der doch nur ein schief an der Wand hängendes Bild geraderücken wollte. Die | |
Ordnung, die Loriot in seinen Sketchen immer wieder zerstört, ist eine, in | |
der man es sich in der Bundesrepublik der 60er- und 70er-Jahre so richtig | |
schön gemütlich gemacht hat. Dass er immer auch Stachel im Sitzfleisch der | |
Deutschen war, hebt Loriot von den harmlosen Kalauern des biederen | |
Nachkriegshumoristen Heinz Erhardt ab. | |
Auch von Bülow würde wohl jederzeit dem Reflex nachgeben, ein schiefes Bild | |
geradezurücken. Dass er zeigt, wohin das führen kann, ändert nichts daran, | |
dass er letztlich keine Alternative sieht. Gleiches gilt für die | |
Familienfeiern, auf die Loriot sein Publikum immer wieder führt - sei es | |
"Weihnachten bei Hoppenstedts" oder der 80. Geburtstag der Schwiegermutter | |
in "Pappa ante Portas". Niemand amüsiert sich, alle ergeben sich in ihr | |
Schicksal und wahren die schmucke Fassade. Das ist das allgegenwärtige | |
Drama der Bürgerlichkeit bei Loriot - aus dem der Künstler keinen Ausweg | |
sieht. Ein anderes Leben ist nicht möglich. Im Zeitalter von | |
Patchworkfamilien und Singlemüttern ist Loriot, verheiratet seit 59 Jahren, | |
nie angekommen. Das ist nicht mehr seine Welt. | |
Auch das Humorgewerbe hat sich in den letzten Jahren so stark gewandelt, | |
dass Loriots endgültiger Rückzug 2006 überfällig erschien: Manufakturen wie | |
die von Loriot gibt es kaum noch, Olli Dittrich, als dessen Fan sich Vicco | |
von Bülow bei einem seiner letzten Talkshowauftritte 2007 outete, ist einer | |
der wenigen, der ähnlich präzise und liebevoll arbeitet und daher schon als | |
"Loriot Next Generation" geadelt wurde. Der wesentliche Unterschied jedoch | |
ist: Dittrich ist ein Nischenliebling und wird das auch bleiben. Die Massen | |
jubeln heute anderen zu - Mario Barth etwa, der im Juli mit seinem Programm | |
"Männer sind primitiv, aber glücklich!" das Berliner Olympiastadion füllte. | |
"Sein immenser Erfolg kommt aus der Stimmung", sagte von Bülow jüngst in | |
einem Zeit-Interview über den Kollegen, mit dem ihn, abgesehen vom | |
Geschlechterthema, nichts verbindet. "Er beruht auf dem nicht abreißenden | |
Kontakt zum Publikum und der Waghalsigkeit, mühsam konstruierte Pointen | |
durch Tempo und Rhythmus zu ersetzen. Die Methode hat sich geändert." Wie | |
sehr ihn dieser Industriehumor befremdet, ist trotz der ausgesucht | |
höflichen Formulierung nicht zu überhören. "Zwischen acht Tagen und acht | |
Jahren" schreibe er an einem Sketch, hat Loriot einmal gesagt. | |
Die Schnelligkeit im heutigen Fernsehen ist von Bülow generell zuwider. Das | |
hört man von alten Menschen häufig - nur selten jedoch von solchen, die | |
dieses Medium so stark geprägt und seine Entwicklung so kritisch begleitet | |
haben wie Loriot. Ein Jahrzehnt vor dem Siegeszug des Privatfernsehens | |
beschwerte sich im Cartoon "Fernsehabend" ein Knollennasenehepaar zunächst | |
über das kaputte Gerät und schließlich über das Medium an sich: "Es ist | |
schon eine Unverschämtheit, was einem so Abend für Abend im Fernsehen | |
geboten wird. Ich weiß gar nicht, warum man sich das überhaupt noch | |
ansieht." Und obwohl sie alternative Möglichkeiten des Zeitvertreibs | |
formulieren, bleiben die beiden wie festgetackert vor der dunklen | |
Mattscheibe sitzen: "Ich lasse mir von einem kaputten Fernseher nicht | |
vorschreiben, wann ich ins Bett zu gehen habe." | |
Die Macht des Fernsehens, der sich erwachsene Menschen klaglos zu | |
unterwerfen bereit sind, hat niemand schöner auf den Punkt gebracht als | |
Loriot mit diesem Cartoon. "Fernsehabend" ist ein gutes Beispiel für die | |
Zeitlosigkeit seines Werks. Die Moden, denen sich Frisuren, Klamotten und | |
Einrichtungen fügen, mögen sich geändert haben, weswegen der Blick auf die | |
in Erdtönen gehaltenen Loriot-Sketche immer auch ein nostalgischer ist, | |
doch der Mensch ist immer noch so, wie er es in Loriots Hochzeit war. Und | |
zu Lebzeiten Richard Wagners. Von Bülow verehrt den Komponisten dafür, dass | |
der in seinen Opern die Essenz des Menschlichen herausdestilliert. Nichts | |
anderes tut Loriot in seinen Arbeiten - auch wenn der Vergleich ihm | |
sicherlich nicht behagt. | |
Alt werden ist kein Spaß - das sieht man von Bülow in den letzten Jahren | |
deutlich an. Doch auch wenn die Kräfte schwinden, auf eines ist Verlass: | |
auf seinen Humor und die ihm eigene Selbstironie. | |
Als die Zeit-Interviewer ihn fragten, was er denn nach dem Interview mache, | |
antwortete von Bülow, dieser Inbegriff der Selbstbeherrschung: "Dann lasse | |
ich mich auf meinem Sofa erst mal nach links fallen." Hoffentlich ist es | |
keines dieser Biedermeiermöbel aus seinen Sketchen. Die sind ja | |
ungemütlich. | |
11 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
David Denk | |
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