# taz.de -- Nachruf Katharina Rutschky: Ironisch, intellektuell und lebensfroh | |
> Katharina Rutschky hat 1977 den Begriff "Schwarze Pädagogik" geprägt. Im | |
> Alter von 68 Jahren ist die Essayistin gestorben: Nachrufe von Jan | |
> Feddersen, Dirk Knipphals und Heide Oestreich. | |
Bild: "Kinder sind ein guter Hundeersatz" - Katharina Rutschky. | |
## Die pädagogische Dramaturgin | |
Man erschreckte sie oft ein bisschen, wenn man sie zufällig auf der Straße | |
traf, und man traf sie häufiger am frühen Abend in der Nähe des | |
Mehringdamms in Berlin-Kreuzberg, wo sie wohnte. Der Hund musste ja noch | |
einmal raus. "Kinder sind ein guter Hundeersatz", lautete einer ihrer | |
Bonmots, aber sie selbst hat sich an Hunde gehalten, denen sie auch ein | |
Buch widmete: "Der Stadthund". | |
Getragen wird es von einem Einspruch gegen die Mainstreammeinung, dass | |
Hunde "eigentlich" aufs Land gehören, der sich nicht einfach aus | |
Widerspruchsgeist speist, sondern aus der Erfahrung eines gelingenden | |
Lebens mit Hund mitten in ihrem Kreuzberger Soziotop. | |
Die polemische Energie, die Katharina Rutschky entwickeln konnte, ist | |
bekannt; sie speist sich aber, glaube ich, aus etwas Positivem: Im Zweifel | |
schlug sich Katharina Rutschky auf die Seite der wuseligen Konkretheit des | |
gelebten Lebens, um sie gegen abstrakte Ordnungen zu verteidigen; innerhalb | |
der 68er-Generation machte sie das schon zu etwas Besonderem. | |
Das kleine Erschrecken bei den Begegnungen rührte daher, dass sie zu den | |
Menschen gehörte, die einen erst erkennen, wenn man direkt vor ihnen steht. | |
Aber dann gab es sofort ein ruckartiges Wahrnehmen, dem ein leicht kehliges | |
Lachen folgte, und meistens sah man sich dann mit einem freundlichen Tadel | |
konfrontiert, gelegentlich auch mit einem ironisch abgefederten Lob: Was | |
Sie da wieder geschrieben haben, also, ich muss Ihnen sagen … Man war | |
gleich in ein pädagogisches Minidrama verstrickt. | |
Ich mochte diese Begegnungen. Ein bisschen hatten sie etwas von einem | |
Woody-Allen-Film. Vor allem aber vermittelten sie den Eindruck, Zeuge einer | |
unaufgesetzten urbanen Intellektualität zu sein. | |
Es ist sehr traurig, dass sie nie wieder stattfinden werden. DIRK KNIPPHALS | |
## Der weibliche Souverän | |
Es ist kein Wunder, dass Katharina Rutschky auf Distanz zur Frauenbewegung | |
ging. Als gut gelaunte Souveränin ihrer selbst war es ihr schlicht | |
unmöglich, sich mit Leuten zu identifizieren, die Frauen vor allem als | |
notwendig unglückliches Produkt patriarchaler Zwänge begreifen. Dass eine | |
Frau in dieser Gesellschaft als etwas Minderwertiges angesehen wird, war | |
für sie eine nur noch wohlfeile Analyse, viel mehr aber eine permanente | |
Selbstbeleidigung des weiblichen Geschlechts. | |
Sie selbst hat sich als freie, kinderlose Publizistin die Position der | |
privilegierten Kommentatorin geschaffen: Statler und Waldorf des Feminismus | |
in einer Person. Der weibliche Souverän war ihr gedanklicher Fluchtpunkt. | |
Von diesem royalen Ausguck her diagnostizierte sie feministischen | |
Opferdiskursen eine "paranoide Erwartungshaltung" und dem Ruf nach | |
Gleichheit eine ungesunde Verleugnung der Weiblichkeit: "Ich rufe lieber um | |
Hilfe in der Not und lerne keinesfalls Karate!", so endet einer ihrer | |
taz-Polemiken gegen die Abschaffung der Geschlechterdifferenz. | |
Als auf einem taz-Kongress im Namen der Gleichheit Bordelle für Frauen | |
gefordert wurden, war dies für sie eine "grausliche Vorstellung": "Also | |
nein!", rief sie und man ahnte den Hintergrund: dass eine echte Lady diese | |
Dinge bitte nicht herausposaunt, sondern mit der gebotenen Diskretion | |
behandelt. | |
Die Rolle der kritisch-maliziösen Begleiterin der Frauenbewegung hielt für | |
eine begnadete Polemikerin wie sie die Verlockung bereit, auch den | |
antifeministischen Zerrspiegel zu zücken und sich mit beleidigten | |
konservativen Männern über das angeblich herrschende Feminat zu mokieren. | |
Unterschieden haben sie von den beleidigten Herren Eigenschaften, die sie | |
auch bei vielen Feministinnen vermisste: intelligenter Humor und | |
Selbstironie. HEIDE OESTREICH | |
## Die bezaubernde Intellektuelle | |
Vor zwei Jahren war es, als das Erinnerungsjahr zum Thema Achtundsechzig so | |
langsam in Fahrt kam. Wir hatten zwei zum Streit eingeladen, Götz Aly, der | |
mit seinem Buch "Unser Kampf" das Seine zur Debatte beizutragen begann - | |
und Katharina Rutschky. Im taz-Café hatten sie sich noch freundlich mit | |
Handschlag begrüßt; sie sah grandios aus. Wahnsinnig akkurat rotlackierte | |
Fingernägel, ihre graue Kurzhaarfrisur delikat anzusehen, ihr Aussehen | |
überhaupt eine Dame, die, wenn ich recht erinnere, über all die Jahre, die | |
ich sie schon kannte, immer weiblicher zu werden begann. | |
Als im Bibliotheksraum des taz-Archivs schließlich das Gespräch begann, | |
fand mehr als ein Interview statt, viel mehr als ein Streit unter | |
gebildeten Menschen - was stattfand, war eine Schlacht, unerbittlich, und | |
die Person, die keinen Frieden gab, die nicht falsch jovial dem männlichen | |
Kontrahenten Einvernehmen signalisieren mochte, war die Essayistin, | |
Publizistin und Erfinderin der Chiffre von der "Schwarzen Pädagogik", | |
Katharina Rutschky. | |
Sie wurde laut, sie wurde eisern und eisig zugleich, sie hielt allen | |
Formeln Alys, denen zufolge, vergröbernd gesagt, Achtundsechzig nur eine | |
Wiedergängerbewegung des völkischen Aufstands am Ende der Weimarer Republik | |
war, das Ihre entgegen. Achtundsechzig, so Rutschky, war eine Bewegung, in | |
der man sich in der Bundesrepublik freier zu fühlen begann, ein Aufbruch | |
der dringend nötigen Durchlüftung, des Freisinns und der Ermöglichung eines | |
besseren Lebens. | |
Rutschky ließ sich nicht für dumm verkaufen. Sie beharrte, Jahrgang 1941, | |
Kind eines Schlossers und einer Hausfrau, darauf, dass lange vor den | |
studentischen Ausflügen in die totalitären Welten von kommunistischen | |
Zirkeln oder der RAF die Bundesrepublik freier zu werden begann - und sie | |
hatte an diesem Aufstand gegen die sklerotische Nachkriegsrepublik unter | |
Unionskanzler Konrad Adenauer so sehr Anteil wie das Gros ihrer Generation | |
überhaupt. | |
"Mir war damals jede Untergangsstimmung fremd, trotz eines kritischen | |
Bewusstseins, das nie schlafen durfte", schrieb sie in den Frankfurter | |
Heften ausführlich. Achtundsechzig zähle zu den "großen und glücklichen | |
Erfahrungen meines Lebens". Darf man sich in eine Frau verlieben, die man | |
zum Disput bittet? Ist das nicht die Verletzung journalistischer Regeln, | |
gerade die Verve ihrer Beiträge mehr als nur zu wertschätzen, vielmehr ihre | |
Lust am Streit nachgerade zu ersehnen? | |
Katharina Rutschky, Tochter aus dem "Kohlenkeller", wie sie selbst sagte, | |
ein Kind, das die Bildungsreformen nutzen konnte, um selbst den Aufstieg in | |
Angriff nehmen zu können, gehörte zu den wichtigsten Essayistinnen unserer | |
Kultur; 1999 verlieh man ihr den Heinrich-Mann-Preis für eine Fülle | |
denkwürdiger Interventionen im intellektuellen Feld. | |
Sie hat, als gelernte Pädagogin und Germanistin, 1977 den Begriff "Schwarze | |
Pädagogik" geprägt; sie hat mehr als ein halbes Dutzend pädagogischer | |
Grundlagenwerke ediert und verfasst - und sie ist die einzige linke | |
Intellektuelle, deretwegen Veranstaltungen abgesagt werden mussten, und | |
zwar weil man Katharina Rutschky mit Gewalt bedrohte, ihr bei einem Abend | |
in Hamburg sogar den Weg zum Podium versperrte. Das war die Zeit, als sie | |
einen längeren Text über den Missbrauch des sexuellen Missbrauchs | |
verfasste. | |
Kurz gesagt: Sie warf feministischen Initiativen vor, dass sie mit | |
Dunkelziffern operierten, dass sie Frauen nur allzu gern im Opferdasein | |
weiter geborgen sähen und dass in der Chiffre vom sexuellen Missbrauch eine | |
Alarmstimmung gegen den Mann als solchen läge. "Täterschützerin" schimpfte | |
man sie - sie selbst sagte, ihr kamen die Anwürfe vor, als sei sie eine | |
Holocaustleugnerin, nur schlimmer. Ihr Buch über den Feminismus und Alice | |
Schwarzer mündete in der lakonischen Bemerkung: "Was heißt - sie hat | |
Verdienste gehabt? Welche denn?" | |
Es fällt schwer, diese Zeilen im Imperfekt zu schreiben. Viel schöner wäre, | |
würde man sie für ihre wahnsinnig gute Kochkunst weiter loben, für ihre | |
bezaubernde Gabe der Gastgeberin, für ihre absolute Nichtspießigkeit, ihr | |
Herz und ihre Großzügigkeit, könnte man ihr Lachen einmal noch hören und | |
ihren Spott. | |
Dass sie den Applaus noch hören könnte für ihre Texte über den Stadthund - | |
Hunde gehören in die Stadt, nicht in irgend imaginierte Natur! -, über die | |
blind bleibende Wahrnehmung von weiblicher Potenz am Beispiel kindstötender | |
Mütter, über im Grunde alles, was einem selbst nicht passte, über Beiträge, | |
die einen womöglich auch ärgern konnten - aber das mit fantastisch | |
anmutendem Gewinn. | |
Sie war liebenswürdig - als man ihr das einmal sagte, meinte sie, es | |
bräuchte ein Benimmbuch, das dem Spuk vom Gerede über die neue | |
Bürgerlichkeit und angeblich fehlende Sitten beim Pöbel ein Ende setze. Und | |
setzte nach: Eigentlich sei Anstand und Benimm eine Umgangsform, die das | |
Proletariat sich zuerst zu eigen machte. Die Vergangenheitsform ist, in | |
Trauer, nötig. | |
Vor zwei Jahren erkrankte Katharina Rutschky schwer. Sie erholte sich gut; | |
noch kurz vor Weihnachten war sie bester Form, kochte, trank Wein, | |
disputierte und rauchte bei dieser Gelegenheit, aber das mit Genuss. Ein | |
Rückfall am Jahresende brachte sie ins Krankenhaus. Am Donnerstag teilte | |
ihr geliebter Mann Michael Freunden mit, dass seine Frau, elf Tage vor | |
ihrem 69. Geburtstag in Berlin gestorben ist. | |
Achtundsechzig zählte zu den großen und glücklichen Erfahrungen ihres | |
Lebens. JAN FEDDERSEN | |
15 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
Heide Oestreich | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Psychiatrie | |
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