| # taz.de -- Mordprozess im Fall Lübcke: „Es hat uns innerlich zerrissen“ | |
| > Im Prozess um den Lübcke-Mord schildert dessen Sohn am Dienstag den | |
| > tiefen Schmerz der Familie. Indes entpflichtet das Gericht einen | |
| > Verteidiger. | |
| Bild: Die Söhne von Walter Lübcke am ersten Prozesstag | |
| Frankfurt am Main taz | Jan-Hendrik Lübcke lehnt sich auf dem Zeugenstuhl | |
| nach hinten, zeigt dem Richter, wie er seinen Vater Walter damals fand, in | |
| der Nacht zum 2. Juni 2019. Er legt den Kopf nach hinten, öffnet den Mund, | |
| breitet die Arme aus. So habe er sein Vater damals auf dem Terrassenstuhl | |
| gesessen, in der linken Hand noch eine Zigarette haltend. Der Sohn | |
| schildert es gefasst, spricht ruhig. Ganz still ist es da im Gerichtssaal. | |
| „Ich dachte, er hat geschlafen.“ | |
| Aber [1][Walter Lübcke] war nicht eingeschlafen. Er war erschossen worden. | |
| Es war wohl der erste Mord an einem Politiker durch einen Rechtsextremisten | |
| in der Nachkriegszeit. An Walter Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten | |
| und CDU-Politiker. | |
| Am Dienstag sagte dazu Jan-Hendrik Lübcke, sein Sohn, im Prozess vor dem | |
| Frankfurter Oberlandesgericht aus. Es wird ein emotionaler Moment dieser | |
| Verhandlung. Seit Juni läuft der Prozess, Jan-Hendrik Lübcke besucht diesen | |
| mit seinem älteren Bruder und seiner Mutter seit Beginn als Nebenkläger. Am | |
| Dienstag nun spricht er selbst, als Zeuge, im grauen Anzug und schwarzem | |
| Hemd. | |
| Denn Jan-Hendrik Lübcke war der Erste, der am 2. Juni 2019 den sterbenden | |
| Walter Lübcke fand. Im Wohnort, dem kleinen Istha bei Kassel, wurde damals | |
| die Weizenkirmes gefeiert, ein Dorffest. Walter Lübcke war zu Hause | |
| geblieben, er setzte sich noch für eine Zigarette und mit einem Tablet nach | |
| draußen. Dann traf ihn gegen 23.20 Uhr ein Kopfschuss. | |
| Rettungskräfte erkannten Mord zunächst nicht | |
| Vor Gericht schildert Jan-Hendrik Lübcke nun, wie sein Vater damals | |
| tagsüber noch im Garten des gemeinsamen Hauses Unkraut gejätet hatte, mit | |
| Latzhose, Karohemd und Sandalen. Der 30-Jährige erzählt dies mit akkurater | |
| Erinnerung, gesetzt. Am Abend sollten die Großeltern dann auf den Enkel | |
| aufpassen, den Sohn von Jan-Hendrik Lübckes Bruder. Er selbst sei mit | |
| Freunden auf die Weizenkirmes gegangen, erzählt der Sohn. | |
| Schon bei seiner Rückkehr, gegen 0.30 Uhr, aber habe er gestutzt. In der | |
| Küche brannte Licht, die Terrassentür stand offen. Dann habe er seinen | |
| Vater auf dem Terrassenstuhl gesehen. Er habe ihn am Arm gerüttelt, | |
| bemerkt, dass er sich kühl anfühlte. Dann sei Panik aufgestiegen. „Ich | |
| dachte an einen Herzinfarkt.“ Der Sohn rief Sanitäter, wollte den Vater auf | |
| den Boden hieven, ihn reanimieren. Jan-Hendrik Lübcke schildert, wie | |
| überfordert er war, wie allein und angsterfüllt. Nun zittern seine Hände am | |
| Zeugenpult, er atmet schwer. | |
| Dass sein Vater erschossen wurde, erkannten auch die herbeigerufenen | |
| Rettungskräfte zunächst nicht. Aber plötzlich war Blut auf der Terrasse, | |
| floss dem Vater aus Mund und Nase. „Die Sanitäter konnten sich das auch | |
| nicht erklären“, sagt Jan-Hendrik Lübcke. | |
| Mit Familienmitgliedern sei man dann ins Krankenhaus gefahren, wo | |
| schließlich der Tod des Vaters festgestellt wurde. Erst hinzugekommene | |
| Polizisten hätten ihnen dort am frühen Morgen mitgeteilt, dass bei Walter | |
| Lübcke „ein Gegenstand“ im Kopf gefunden wurde. Die Revolverkugel. | |
| Walter Lübcke vermisste Rückendeckung | |
| So gefasst der Sohn den Tatabend zunächst schildert, so emotional wird er, | |
| als Richter Thomas Sagebiel ihn nach den Folgen des Mordes fragt. „Es hat | |
| uns innerlich zerrissen. Wir werden niemals damit fertig werden, was | |
| unserem Vater angetan wurde. Es bleibt unbegreiflich.“ Jan-Hendrik Lübcke | |
| schildert, wie er bis heute nicht wieder voll arbeiten könne. „Von Alltag | |
| bin ich noch ganz weit entfernt.“ Auch seine Mutter leide, sie war vierzig | |
| Jahre mit Walter Lübcke verheiratet. „Sie hat es noch schwerer getroffen.“ | |
| Stephan E., der Angeklagte, verfolgt all dies ohne Regung. Er starrt wie | |
| versteinert in den Saal. Dort lässt Jan-Hendrik Lübcke seinen Vater noch | |
| einmal aufleben. Er schildert ihn als guten Vater, lebensfroh, weltoffenen, | |
| gesprächsbereit. „Das Amt des Regierungspräsidenten war seine Berufung.“ … | |
| Herbst 2019 wäre er in Rente gegangen. „Er wollte Zeit für die Familie, er | |
| hat sich so darauf gefreut.“ | |
| Jan-Hendrik Lübcke schildert aber auch den Moment, in dem die Sache kippte: | |
| eine Bürgerversammlung in Kassel-Lohfelden, im Oktober 2015. Lübcke | |
| informiert dort über eine geplante Erstaufnahmestelle für Geflüchtete – und | |
| kritisierte anwesende Pöbler scharf. Der in Frankfurt Mitangeklagte Markus | |
| H. verbreitete eine Videoszene davon im Internet, auch Stephan E. war vor | |
| Ort. | |
| In einem Geständnis nannte dieser Lübckes Kritik später als Tatmotiv. | |
| Jan-Hendrik Lübcke berichtet, wie er nach der Versammlung von Morddrohungen | |
| gegen den Vater erfuhr. Wie dieser damals erstmals beunruhigt war und | |
| politische Rückendeckung vermisste. Aber der Vater habe den Geflüchteten in | |
| jedem Fall helfen wollen. „Werte hat er hochgehalten.“ | |
| Verteidiger wegen zerrüttetem Vertrauen entpflichtet | |
| Weder die Bundesanwaltschaft noch die Verteidiger von Stephan E. stellen | |
| Fragen an Jan-Hendrik Lübcke. Der Anwalt des Mitangeklagten Markus H. nur | |
| eine. Es hätte anders kommen können. Denn im Vorfeld hatte einer der | |
| Verteidiger von Stephan E. angekündigt, er habe „viele Fragen“ an den Sohn: | |
| der Dresdner Frank Hannig, der als Pegida-nah gilt. Aber Hannig wird am | |
| Morgen vom Gericht als Verteidiger entpflichtet. Ein kleiner Paukenschlag. | |
| Am Vortag hatte Hannig unabgesprochen mehrere Beweisanträge gestellt: für | |
| Vernehmungen weiterer möglicher Mittäter oder zu einem Einbruch im Kasseler | |
| Regierungspräsidium im Juli 2019, bei dem Akten verschwunden waren. Hannig | |
| legte nahe, dass diese mit der Solarenergie-Firma der Lübcke-Söhne zu tun | |
| haben könnten, womöglich gebe es krumme Geschäfte – und damit vielleicht | |
| auch ein anderes Motiv für den Mord an Walter Lübcke. Richter Sagebiel | |
| nannte die Anträge „gequirlten Unsinn“. | |
| Tatsächlich hatte Stephan E. in Vernehmungen nie ein anderes als ein | |
| rechtsextremes Motiv erwähnt. Auch Hannigs Mitverteidiger Mustafa Kaplan, | |
| einst NSU-Opferanwalt, distanzierte sich von Hannig, auch im Namen von | |
| Stephan E.: Man wolle die Lübckes nicht mit Dreck bewerfen. Stephan E. | |
| beantragte die Entpflichtung von Hannig. | |
| Am Dienstagmorgen erscheint Hannig dennoch im Gerichtssaal, redet | |
| minutenlang auf Stephan E. ein – bevor er von Kaplan verscheucht wird. | |
| Wenig später kommt Richter Sagebiel E.s Gesuch nach: Dessen | |
| Vertrauensverhältnis zu Hannig sei „endgültig zerstört“. Der Angeklagte | |
| müsse befürchten, dass ihm sein eigener Anwalt schade. | |
| Lübcke-Sohn fordert mehr Engagement gegen den Hass | |
| Nachdem Hannig sich am Vortrag noch zu erklären versuchte, er sei dem | |
| Gericht wohl mit seinen Anträgen zu unbequem, zieht er nun seine Robe aus | |
| und verlässt wortlos den Saal. Für ihn rückt Jörg Hardies als neuer | |
| Verteidiger nach, Kaplans Kölner Kanzleikollege. Und Kaplan verkündet: Am | |
| Mittwoch in einer Woche wolle Stephan E. nun im Prozess aussagen. | |
| Jan-Hendrik Lübcke äußert sich zu der Rochade nicht. Er wolle eine | |
| vollständige Aufklärung des Mordes an seinem Vater und eine Bestrafung der | |
| Täter, erklärte er mit seiner Familie zum Prozessbeginn. | |
| Sein Kampf aber weist inzwischen über den Gerichtssaal hinaus. Auf einer | |
| Gedenkverstaltung für seinen Vater forderte Jan-Hendrik Lübcke zuletzt, im | |
| Sinne seines Vater mehr Engagement gegen den Hass ein. Es sei der Auftrag | |
| aller, [2][„diesem schrecklichen Ungeist“] entgegenzuwirken. „Die Unkultur | |
| der Hetze und Diffamierung darf sich nicht verfestigen.“ | |
| 28 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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