# taz.de -- Montagsinterview mit Jörg Schönbohm: "Ich war ein richtiger Dorfl… | |
> Jörg Schönbohm (CDU) hat als Soldat die NVA aufgelöst, als Berliner | |
> Innensenator besetzte Häuser geräumt, als Brandenburger Innenminister | |
> Rechtsextremen auf die Füße getreten. Jetzt geht er in den Ruhestand. | |
Bild: "Wenn Sie die Heimat wiedergewinnen, wissen Sie erst, was Sie verloren ha… | |
taz: Herr Schönbohm, erinnern Sie sich, was Sie am 26. September 2003 | |
gemacht haben? | |
Jörg Schönbohm: War ich da bei Ihnen? | |
So ist es. Sie waren in der taz als einer unserer Lieblingsfeinde, denen | |
wir an diesem Tag unsere Zeitung überlassen haben. | |
Richtig. Zusammen mit Kai Dieckmann. Der war unser Chef, und wir mussten | |
zuarbeiten. | |
Welches Ressort haben Sie übernommen? | |
Weiß ich nicht mehr. Innenpolitik oder Ausländerpolitik? | |
Falsch. Ihr Beitrag war ein Kommentar zur Regierungsfähigkeit der | |
Bundes-SPD und endete mit dem Satz: Wie mein Vorbild, der preußische | |
General von der Marwitz, zu Recht sagt: Wähle Ungnade, wo Gehorsam keine | |
Ehre bringt. Redet so ein Exgeneral? | |
Von der Marwitz bekam von Friedrich dem Großen den Auftrag, in Dresden die | |
Bibliothek zu plündern. Da hat er gesagt: Das mach ich nicht. Mit diesem | |
Thema habe ich mich intensiv beschäftigt, es ist ja auch ein Thema über den | |
Widerstand, Stichwort: 20. Juli. Ich habe von der Marwitz dann noch einmal | |
im Bundesrat zitiert … | |
… als Sie 2002 als Innenminister gegen den Willen Ihres damaligen | |
Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) gegen das Zuwanderungsgesetz | |
stimmten. | |
Das war eine schwere Entscheidung, weil damit auch die Koalition mit der | |
SPD in Brandenburg auf der Kippe stand. Ich wäre dann derjenige gewesen, | |
der womöglich den Weg für Rot-Rot geebnet hätte. | |
Die Koalition hielt. Ungnade drohte Ihnen nicht. | |
Wissen Sie, die Zeiten, in denen Ungnade droht, sind vorbei. Ich hänge ja | |
nicht von der Gnade von irgendjemand ab. Ich selbst muss in den Spiegel | |
gucken können. Meine Frau muss zu mir halten, meine Familie, meine Freunde. | |
Was sind Sie: ein Überzeugungstäter, der auf andere keine Rücksicht nimmt? | |
Als ich in die Politik ging, war Volker Rühe mein Minister, ich war sein | |
Staatssekretär. Ich sagte, ich ginge nach Berlin als Innensenator, da sagte | |
er zu mir: Haben Sie einen Vogel? Sie passen gar nicht in die Politik. Sie | |
sind zu ehrlich und zu direkt. | |
Sie haben Rühes Erwartung nicht enttäuscht. Die Liste Ihrer Direktheiten | |
ist lang. In Berlin eckten Sie mit der deutschen Leitkultur an, in | |
Brandenburg waren es die neun toten Babys von Brieskow-Finkenheerd. Mit | |
Ihrer Diagnose, dies sei das Erbe der Proletarisierung in der DDR, haben | |
Sie einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. | |
Ich wollte nie ein abgeschliffener, kieselsteinartiger Politiker werden. Wo | |
ich der Überzeugung bin, dass ich recht habe, stehe ich dazu. Das ist bei | |
der Leitkultur der Fall. Etwas anderes ist es mit der Proletarisierung. | |
Da mussten Sie sich sogar entschuldigen. | |
Die Situation an diesem Tag war die: Ich hatte morgens in Potsdam mit | |
jungen Mädchen gesprochen, die alle Mütter waren. Diese jungen Frauen haben | |
mich unglaublich beeindruckt. Am Nachmittag war ich auf einem | |
Wahlkampftermin in der Uckermark, da rief der Tagesspiegel an und fragte | |
nach den neun toten Babys. Ich habe gesagt, ich habe keine Erklärung. Dann | |
habe ich den Satz mit der Zwangskollektivierung und der Proletarisierung im | |
ländlichen Raum formuliert. | |
Haben Sie das Interview autorisiert? | |
Ja. Abends kam ich dann nach Hause und habe meiner Frau das Interview | |
gegeben. Die hat gesagt: Jörg, bist du wahnsinnig? Da kriegst du eine auf | |
die Nase. Sie hat Recht behalten. | |
Da war sie wieder, die Spaltung der Republik in Ost und West. | |
Es war von Anfang an mein Ziel, dass Brandenburg nicht die kleine DDR | |
bleibt, wie es Stolpe gesagt hat. Ich wollte, dass Brandenburg weiß, wie | |
die Bundesrepublik Deutschland funktioniert. Was heißt Freiheit? Was heißt | |
Verantwortung? Was heißt Solidarität? | |
Mit dem Satz mit der Proletarisierung haben Sie dieses Anliegen um Monate, | |
wenn nicht um Jahre zurückgeworfen. | |
Mag sein. | |
In diesem Jahr feiern wir 20 Jahre Fall der Mauer. Was ist schiefgegangen. | |
Entscheidend ist für mich der Satz: Wir sind ein Volk. Aber noch immer | |
reden wir zumeist nicht mit-, sondern übereinander. Der brandenburgische | |
Ministerpräsident sagt: Die Westdeutschen machen nach 13 Jahren Abitur, | |
weil sie ein Jahr Schauspielunterricht haben. Müsste da nicht ein Sturm des | |
Aufschreis durch das Land gehen? | |
Nicht Jörg Schönbohm ist der Spalter und Polarisierer, sondern Matthias | |
Platzeck? | |
Ich wehre mich gegen die Aufteilung in Ost und West. Die macht mich krank, | |
solange ich hier bin. Mit welcher Leichtfertigkeit über die DDR oder die | |
BRD zum Teil gesprochen wird. Dabei gilt doch: Wir sind ein Volk, heißt, | |
wir haben eine gemeinsame Zukunft. | |
Mit der gleichen Leichtfertigkeit wird im Westen über den Osten gesprochen. | |
Natürlich. Aber jetzt bin ich hier in Brandenburg. Als ich hier zum ersten | |
Mal Wahlkampf gemacht habe, habe ich als Wessi schweren Gegenwind bekommen. | |
Dabei bin ich hier geboren. Meine Mutter ist hier geboren. In einer Kirche | |
in Neu Golm läutet eine Glocke, die mein Großvater 1923 gestiftet hat. Ich | |
habe hier wirklich meine Wurzeln, ich bin voller Begeisterung | |
hierhergekommen. | |
Das klingt nach enttäuschter Liebe. | |
Meine Frau hat gesagt: Du bist viel zu optimistisch, das ist alles viel | |
komplizierter. | |
Wo hat sich denn Ihr Optimismus als falsch herausgestellt? | |
Ich dachte, es geht schneller. | |
Wenn Sie auf zehn Jahre als Innenminister in Brandenburg zurückblicken: Wo | |
haben Sie die meisten Spuren hinterlassen? | |
In der Förderung der Eigeninitiative, Leistung stärker betonen, den Geist | |
ändern. Als Stolpe gesagt hat, er sei stolz auf Brandenburg als kleine DDR, | |
habe ich gesagt: Ich bin stolz darauf, dass die Bürger die DDR abgeschafft | |
haben, und den Rest in Brandenburg schaffen wir in der Legislaturperiode. | |
In meinem Fachgebiet als Innenminister habe ich zum Beispiel zwei Dinge | |
gemacht, die die SPD nicht geschafft hat: die Kommunalreform und die | |
Polizeireform. | |
Ihnen wird attestiert, dass Sie im Gegensatz zu Ihrem SPD-Vorgänger Alwin | |
Ziel das Thema Rechtsextremismus in Brandenburg nicht geleugnet, sondern | |
angepackt haben. Sind Sie stolz darauf? | |
Ja, auch deswegen, weil man mir als General manchmal eine gewisse Nähe dazu | |
unterstellt hat. Kurz nachdem ich 1999 Innenminister wurde, war ich in | |
Cottbus in einem Jugendclub. Das war ein Schlüsselerlebnis. Ich habe | |
gefragt, was habt ihr gegen Ausländer? Die Antwort war: Wenn wir die | |
Fidschis sehen, gibt es Fidschisklatschen. Arbeitslos war übrigens nur | |
einer von denen. Danach habe ich mit den Linken gesprochen. Gleich dumpf, | |
nur das andere Strickmuster. Da wusste ich, die müssen ins Gespräch kommen. | |
Das ist ein Thema der Zivilgesellschaft. | |
Und die Polizei? | |
Die habe ich gefragt: Was können wir machen? Die Antwort: gar nichts. Das | |
kann doch nicht wahr sein, habe ich gesagt. Da haben wir die | |
Pingpongstrategie entwickelt. Die, die wir kennen, sprechen wir an. Wenn | |
was passiert, wissen wir, ihr wart dabei. Sie müssen die aus der Anonymität | |
herausziehen. | |
Warum passierte das nicht früher? | |
Der damalige SPD-Bildungsminister Steffen Reiche war strikt gegen die | |
Gespräche mit Eltern und Lehrern. Heute würde keiner mehr sagen, dass diese | |
Bündelung von Polizeiaufgaben und Zivilgesellschaft falsch ist. Da bin ich | |
froh, dass sich meine Sturheit ausgezahlt hat. | |
Auch was den Verfassungsschutz betrifft? | |
Als ich anfing, hatte ich einen Verfassungsschutz, aber der | |
Verfassungsschutz hat zu wenig gewusst. Wir haben also den | |
Verfassungsschutz ertüchtigt, und der hat dann etwas gemacht, was bis dahin | |
keiner gemacht hat, nämlich Verbindung aufzunehmen mit den Landkreisen, den | |
Landräten, den Bürgermeistern. Das Ergebnis: Wir machen jetzt Schulungen, | |
zum Beispiel dazu, was ein Bürgermeister machen soll, wenn die NPD in | |
seinen Gemeindesaal will. | |
Was wollen Sie machen, wenn die Gerichte sagen: Die NPD bekommt den | |
Gemeindesaal. Wie wichtig ist Ihnen Rechtsstaatlichkeit? | |
Bei den verbotenen Konzerten muss die Polizei sofort da sein. Da haben wir | |
ganz konsequent durchgegriffen. Wenn die NPD eine Demonstration macht und | |
diese Demonstration genehmigt ist, kann ich sie nicht nach Gutsherrenart | |
verbieten. Wichtig ist deshalb, dass die Bürger zeigen, dass sie mit denen | |
nicht einverstanden sind. In Cottbus haben wir einmal gesagt: Ignoriert | |
sie, macht die Fenster und Türen zu und lasst sie laufen. | |
Es ging aber auch anders, zum Beispiel in Halbe. | |
In Halbe hatten wir die Situation, dass ein Demonstrationszug mit dem | |
SPD-Fraktionsvorsitzenden an der Spitze die NPD nicht durchlassen wollte. | |
Der Polizeipräsident stand vor der Entscheidung, ob er das zulässt oder | |
nicht. Er hat es zugelassen, der Zug der NPD wurde gestoppt. Danach haben | |
wir ein Urteil bekommen, das uns dieses Handeln bestätigt hat, aber nur, | |
weil es zu wenig Beamte gab, um das Demonstrationsrecht durchzusetzen. Beim | |
nächsten Mal sei sicherzustellen, dass ausreichend Polizeikräfte da sind. | |
Sie sagen immer wieder, Rechtsstaatlichkeit sei ein hohes Gut. Ihre erste | |
Amtshandlung 1996 als Innensenator in Berlin bestand darin, bis dahin | |
jahrelang geduldete besetzte Häuser zu räumen. Hinterher hat Ihnen sogar | |
das Gericht attestiert, dass das nicht rechtsstaatlich war. | |
In einem Fall. | |
Laut der damals geltenden Berliner Linie hätten nur Neubesetzungen geräumt | |
werden dürfen. | |
Die Berliner Linie war eine politische Linie. Die Frage ist: Was bedeutet | |
Eigentum? Und gibt es das Recht, willkürlich ein Haus zu besetzen und zu | |
behaupten, das ist jetzt unseres? Was ich da gemacht habe, habe ich ja | |
nicht gemacht, weil ich morgens aufgestanden bin und gesagt habe: So, jetzt | |
räume ich die Häuser. Es ging mir darum, das Vertrauen in den Rechtsstaat | |
wiederherzustellen. | |
Ihr Nachfolger Ehrhart Körting macht das Gegenteil. Er hat mit seiner | |
Politik der ausgestreckten Hand Erfolg. Neidisch? | |
Neid ist mir grundsätzlich fremd. Das mit der ausgestreckten Hand haben wir | |
auch versucht. An einem Punkt aber habe ich mich verweigert. Ich kann nicht | |
nachvollziehen, wenn man sagt: Wenn die Polizei da ist, ist das Eskalation. | |
Als ich Innensenator wurde, war die Gewaltbereitschaft sehr hoch. Meine | |
Devise war also: Gegen Gewalt hilft nur die Bereitschaft, stärker zu sein | |
als die anderen. Sie dürfen mit der Gewalt keinen Erfolg haben. Aber wenn | |
Sie mal die Zahl der verletzten Beamten an diesem 1. Mai mit der vor zehn | |
Jahren vergleichen, werden Sie feststellen, dass der Unterschied gar nicht | |
so groß ist. | |
Berlin blieb eine Episode. Schon nach wenigen Jahren sind Sie nach | |
Brandenburg gewechselt. Sind Sie in Berlin gescheitert? | |
Nein. Ich stamme aus Brandenburg, und die CDU hat dort 1998 wirklich das | |
schlechteste Ergebnis dort gehabt. Sie war total zerstritten. Ich bin da | |
gerne hin, es war ein Zurück in meine Heimat. | |
Was bedeutet das für Sie, Heimat? | |
Ich habe vier Geschwister. Wir haben zu Hause viel über Brandenburg | |
gesprochen. Dabei habe ich etwas festgestellt, was ich vorher gar nicht | |
wusste. Wenn Sie die Heimat verloren haben und sie dann wiedergewinnen, | |
dann wissen Sie erst, was Sie an der Heimat haben. Ich habe dem immer | |
nachgetrauert. Ich kann das rational gar nicht erklären, es war eine | |
Entscheidung ganz aus dem Bauch. | |
Wenn Ihnen Heimat so wichtig ist, warum können Sie dann diejenigen nicht | |
verstehen, die in der DDR groß wurden und im Westen noch keine neue Heimat | |
gefunden haben? | |
Warum? Die Landschaft ist doch da, sie ist sogar schöner. Aber das System | |
hat sich grundlegend verändert. Die Frage ist doch, ob man sich mit dem | |
eigenen Leben auseinandersetzt. Oder ob man einem unmenschlichen, | |
gescheiterten System nachtrauert. | |
Oder einer sozialer Absicherung, einem Arbeitsplatz. | |
Nachdem wir in den Westen geflüchtet sind, bin ich auf dem Dorf groß | |
geworden. Da war es kalt, im Winter haben die Wände vor Eis geglitzert. Ich | |
war sieben Jahre alt, ein richtiger Dorflümmel. Vierhundert Einwohner, | |
dreihundert Flüchtlinge, es wurde schwarz geschlachtet, schwarz gebrannt, | |
Tabak angebaut, mit Carbid geschossen. Das konnten sich meine Kinder nicht | |
mehr vorstellen. Für mich sind das Erinnerungen. Deshalb kann ich die Leute | |
auch hier gut verstehen, wenn sie beim eigenen Rückblick gern Negatives | |
ausklammern. Aber das alles ist die Vergangenheit. Heute geht es um die | |
Zukunft. Und die muss jeder für sich selber ausmachen. | |
Gut möglich, dass die Zukunft in Brandenburg Rot-Rot leuchtet. | |
Wenn der Ministerpräsident des Landes sagt, die letzte Legislaturperiode | |
sei die erfolgreichste in der Geschichte des Landes gewesen, dann ist das | |
ja mit der CDU so gewesen. Wenn aber nahe den Feierlichkeiten 20 Jahre | |
Mauerfall eine rot-rote Landesregierung vereidigt würde und IM Katrin | |
stellvertretende Ministerpräsidentin würde, ist das auch ein Signal. Ich | |
würde es in höchstem Maße bedauern. Wenn ich jünger wäre, würde ich dann | |
gerne Oppositionsführer machen. | |
Nun naht aber bald Ihr letzter Tag als Minister … | |
… sobald die neue Regierung vereidigt ist. | |
Wissen Sie schon, wie der Tag ablaufen wird? | |
Bis dahin ist alles ausgeräumt, die Dateien sind abgespeichert. Die Bilder | |
nehme ich mit und den ungarischen Säbel. | |
Sie könnten, ähnlich wie am 26. September 2003, Ihr Amt einen Tag Ihren | |
Lieblingsfeinden zur Verfügung stellen - uns, der taz. | |
Da muss natürlich der Ministerpräsident seine Zustimmung geben. | |
Werden Sie ihn fragen? | |
(Lacht) Nein, Chaoten können soviel durcheinander bringen. | |
12 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
Gereon Asmuth | |
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CDU | |
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