Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Montagsinterview: Der Rapper: "Ich war ein Gangster wie aus dem Fil…
> Mit 14 saß der Kreuzberger Challa das erste Mal im Knast. Heute
> unterrichtet er Rap und Breakdance - und holt dabei selbst Kinder von der
> Straße.
Bild: Challa vor dem Kreuzberger Wasserturm.
taz: Challa, am Alexanderplatz ist ein junger Mann zu Tode getreten worden.
Was löst das in Ihnen aus?
Challa: Ich war schockiert. Am selben Abend war ich ganz in der Nähe. Am
nächsten Tag habe ich dann davon erfahren.
Hat der Vorfall etwas mit Ihrem Leben zu tun?
Ja. Ich war selbst ein typischer Intensivtäter. Ich habe richtig
zugeschlagen – bis hin dazu, dass ich einem Typen eine abgebrochene
Bierflasche ins Auge gerammt habe. Heute bereue ich das zutiefst. Aber ich
kann es nicht rückgängig machen. Ich kann nur versuchen, es jetzt besser zu
machen und andere Kids davor zu warnen, den Gangsterweg zu gehen, den ich
damals gegangen bin.
Können Sie sagen, warum Sie gewalttätig wurden?
Weil ich wie ein Fremder behandelt wurde. Ich habe mich zwar wie ein
richtiger Berliner gefühlt, ich bin im Bergmannkiez aufgewachsen und fest
in meinem Kiez verwurzelt. Aber ich sehe eben nicht so aus. Ich habe einen
dunkleren Teint, meine Eltern kommen beide aus der Türkei. Ich wurde nie
als Berliner anerkannt, und das hat mich so wütend gemacht. Das ging schon
in der Grundschule los.
Was ist da passiert?
Wir haben mal einen Ausflug gemacht, ich war sieben oder acht Jahre alt. Da
hat mich ein kleiner Junge angeguckt und seine Mutter gefragt: Mama, ist
das ein Ausländer? Das war, als würde eine Mutter mit ihrem Kind in den Zoo
gehen und das Kind fragt: Mama, ist das ein Affe? So kam ich mir vor. Und
das als Kind, das Fantasien und Träume hat.
Wovon haben Sie damals geträumt?
Ich wäre gern Anwalt geworden. Aber ich hatte nie Vorbilder, die fest im
Leben standen und etwas aus sich gemacht haben. Die Leute in meinem Umfeld
standen immer auf der Kippe. Zum Beispiel mein Vater, der war
Gabelstaplerfahrer. Ich wollte nie so werden wie er, ich wollte mehr
erreichen. Er hat zwar gutes Geld verdient, aber er hat kaum Deutsch
gesprochen und konnte mir in Mathe oder Geschichte nichts beibringen. Wir
hatten ständig Probleme.
Wie hat sich das geäußert?
Mein Vater hat oft mit meiner Mutter gestritten, er hat getrunken und wurde
gewalttätig. Das hat mich kaputt gemacht. Ich war noch klein und konnte
meine Mutter nicht beschützen. Wenn ich morgens zur Schule ging, war ich
mit den Gedanken ganz woanders. Die anderen Kinder wurden zur Schule
gebracht und wieder abgeholt, die hatten ein Pausenbrot und einen Saft
dabei und haben Geschichten erzählt von der Zahnfee. Ich hatte keine
farbenfrohe, geschichtenreiche Jugend, sondern habe mich gefragt, warum
gerade ich in so einer Situation bin.
Und deshalb sind Sie selbst aggressiv geworden?
Genau. Wenn einer in der Schule bessere Noten hatte, dann konnte ich
zumindest körperlich gegen ihn gewinnen. So wie mir ging es auch anderen
Jungs im Kiez. Wir haben uns dann gesagt, dass uns sowieso niemand will,
dass uns alles egal sein kann, und haben Ende der 1990er Jahre eine Gang
gegründet: die Crazy Kickbrothers. Unser Revier hieß Kreuzberg 61, unsere
Vorbilder waren die Helden der amerikanischen Bandenfilme. Wenn Leute aus
den anderen Revieren schlecht über uns geredet oder unsere Graffiti
übersprüht haben, haben wir Massenschlägereien im Park organisiert, mit 14,
15 Mann. Die Polizei hatte davon keine Ahnung.
Wie alt waren Sie da?
Ich war elf oder zwölf Jahre alt und ziemlich mutig. Ich war ein
Draufgänger, deshalb habe ich mir auch schnell einen Namen gemacht. So
richtig aufgegangen in der Gangsterrolle bin ich dann, nachdem ich zum
ersten Mal im Knast war.
Warum wurden Sie eingesperrt?
Wegen Erpressung und Körperverletzung, einen Tag nach meinem 14.
Geburtstag. Ich glaube, der Richter wollte mir mal zeigen, wie es aussehen
würde, wenn ich weiter Scheiße baue.
Hat das was genützt?
Im Jugendknast in Lichtenrade habe ich erst gelernt, wie man die richtig
krummen Dinger dreht, Überfälle macht, Drogen verkauft und streckt. Vor dem
Knast hatte ich mal an einem Joint gezogen, aber im Knast war dann richtig
viel in Umlauf. Das war eine dreckige Zeit. Und als ich nach drei Monaten
rauskam, war ich ein Gangster wie aus dem Film. Die Rolle gefiel mir.
Was zeichnet so einen Gangster aus?
Ich dachte mir: Ich habe nichts zu verlieren, nichts von diesem Leben zu
erwarten. Das Adrenalin gab mir das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Manchmal
war mir auch der Tod egal. Ein Dealer hat mal versucht, mir mit einem
Hammer den Kopf einzuschlagen. 15 Mal hat er von hinten draufgehauen, bis
der Stil abgebrochen war. Ich war schon nach dem ersten Schlag bewusstlos.
Danach saß ich drei Monate im Rollstuhl, ich habe noch heute eine
Stahlplatte im Kopf. In so einer Situation wird dir klar, dass du eine
Seele hast. Erst wenn du die verlierst, verlierst du dein Leben.
Sie selbst haben allerdings auch häufig zugeschlagen.
Ich selbst habe sogar dann zugeschlagen, wenn sich die anderen nicht mehr
getraut haben. So dachte ich, ich würde Respekt gewinnen. Aber eigentlich
hatten die Typen keinen Respekt, sondern Angst vor mir. Das ging so bis zu
der Sache mit der Bierflasche.
Haben Sie realisiert, was Sie getan haben?
Einen Tag später. Als ich wieder nüchtern war, habe ich gemerkt: Ich habe
die Grenze überschritten.
Wie fühlt sich das an?
Ich habe mich als Mensch nicht mehr respektiert. Ich konnte die Tat vor
niemandem entschuldigen. Zum Glück hat der Typ sein Augenlicht nicht
verloren, sonst würde ich das mein Leben lang mit mir rumtragen. Im Knast
habe ich dann ein Zitat von Hermann Hesse gelesen, das meine Situation sehr
gut beschrieb: Wenn man am Nullpunkt angekommen ist, dann hat man die Kraft
aufzustehen.
Ein Gangster liest Hesse im Knast?
Ich habe sehr viel gelesen im Knast. Ich saß da ja dann drei Jahre wegen
schwerer Körperverletzung. Vor allem für Psychologiebücher habe ich mich
interessiert: Erkenne dich selbst, schau, wo deine Stärken liegen. Und ich
habe angefangen zu rappen. Die Texte hatte ich eigentlich schon lange im
Kopf. Aber aufgeschrieben habe ich sie erst in der Zelle.
Erinnern Sie sich, wie Sie Ihren ersten Text gerappt haben?
Im Knast gab es keine Beats, also habe ich das Radio laufen lassen und
aufgedreht, wenn mal kein Sprecher geredet hat. Bei Werbejingles zum
Beispiel. Dann habe ich versucht, Reime hinzukriegen, die auf diese Beats
passten. Dabei habe ich mein Leben erzählt. Also zum Beispiel, dass ich
eigentlich kaum Chancen hatte, etwas anderes als Gangster zu werden.
Was macht der Beat mit Ihnen?
Der Beat ist etwas Zauberhaftes. Jeder Beat hat eine andere Atmosphäre. Es
gibt einen Beat, der gute Laune macht, andere Beats ziehen dich runter. Ich
mag die melancholischen. Die bringen mich in eine andere Welt, in eine Art
Trance.
Wie ging es dann weiter mit der Musik?
Nach dem Knast habe ich vor ungefähr fünf Jahren in einem Hinterhofstudio
in Kreuzberg meinen ersten Song aufgenommen. Dort hab ich Kenan
kennengelernt, der unter dem Namen Kane rappt und etwa zur gleichen Zeit
angefangen hat wie ich. Er fand meine Songs richtig gut und ist mit
eingestiegen. Seitdem rappen wir zusammen. Wir treten regelmäßig in
Kreuzberg auf, zum Beispiel beim Myfest. Wir waren aber auch schon im
türkischen Fernsehen auf Sendung. Bisher haben wir zwei Alben
herausgebracht, aber wir veröffentlichen vor allem im Internet. Wir wollen
nicht von einer Plattenfirma instrumentalisiert werden.
Welche Art Rap machen Sie?
Wir machen Conscious Rap. Unser Rap ist sozialkritisch, wir greifen die
Politik an, weil die keine Präventionsarbeit leistet. Wir erzählen unser
Leben und arbeiten die Vergangenheit auf. Das ist eigentlich das Ziel von
Rap. Aber Gangsterrap hat den Conscious Rap fast ausgerottet.
Und gerade Sie machen keinen Gangsterrap?
Nein. Die Gangsterrapper markieren die übelsten Gangster sowieso nur – das
ist alles erfunden. Die Plattenfirmen wollen Kohle machen und verderben
dadurch die Kids. Aber seit vier Jahren zeige ich den Kids, wie man
authentisch rappt: Ich unterrichte Rap und Breakdance im Jugendzentrum
DTK-Wasserturm im Bergmannkiez, sogar meine Eltern sind stolz auf mich. Der
Leiter, ein Bekannter meines Bruders, hatte mich gefragt, ob ich nicht Lust
habe, den Kids aus Migrantenfamilien etwas von der Straße zu erzählen, aus
meinem Leben. Jetzt schreiben sie mir ihre Fantasien und ihr Leben auf. Das
ist phänomenal.
Was schreiben sie?
Einer, Ali, hat immer geschrieben, er sei der größte Stecher, der coolste
Playboy. Dann habe ich ihm erklärt, dass das nur Show ist und ihn dazu
angeregt, sein richtiges Leben aufzuschreiben. Die Texte, die er zwei Jahre
später geschrieben hat, die haben mich umgehauen. Die waren total ehrlich.
Was ist aus Ali geworden?
Er hat eine Ausbildung gemacht und ist ruhiger geworden. Er ist mein ganzer
Stolz. Ich hatte ziemliche Angst, dass er auf die schiefe Bahn kommt.
Warum?
Es ist auffällig, wenn jemand viel schläft, wenn er Tag und Nacht nicht
mehr auseinanderhalten kann und wenn dann auch noch Drogen oder Alkohol
dazukommen. Wenn einem das Leben egal ist, wenn einen sein Umfeld nicht
mehr interessiert, dann kann das einfach kein gutes Ende nehmen.
Sie selbst haben die Kurve noch mal gekriegt?
Ja, ich hatte im Knast die Chance, an mir zu arbeiten. Die Zeit drinnen
macht was mit dir. Du kannst schreien, aber niemand hört dich. Auch von den
Jungs draußen kam nichts. Da habe ich bemerkt, dass ich mich jahrelang
selbst belogen habe. Also habe ich mir überlegt, wie ich ein besserer
Mensch werden kann – weil ich auch wusste, dass die Zeitspanne, in der ich
das noch rumreißen kann, begrenzt ist.
Das klingt, als seien Sie froh, im Knast gelandet zu sein.
Während ich eingesperrt war, ist ein Freund von mir in einer Schießerei
gestorben. Ich wusste: Wäre ich dabei gewesen, wäre ich auch gestorben.
Was haben Sie gemacht, als Sie wieder rauskamen?
Zu meinen alten Freunden habe ich den Kontakt abgebrochen. Stattdessen habe
ich fast ein Jahr für die Polizei gearbeitet – die hatten mich noch im
Knast gefragt, ob ich Präventionsarbeit für die Bezirkspolizei leisten
will. Ich habe dann in deren Auftrag in Schulen über meine Vergangenheit
erzählt. In der Schule lernen die Kinder nur Erdkunde und Mathe. Klar, das
ist wichtig. Aber wer zeigt ihnen und warnt sie, wie es auf der Straße
zugeht? Dafür bräuchte man auch ein Schulfach.
Arbeiten Sie immer noch mit der Polizei?
Nein, die Arbeit dort habe ich aufgegeben. Einige Polizisten fanden gut,
was ich mache. Aber andere dachten, ich würde mich nie ändern. Das hat mich
traurig gemacht. Und außerdem: Alle reden davon, dass die Hemmschwelle für
Gewalttaten unter Jugendlichen gesunken ist. Aber niemand redet über die
gesunkene Hemmschwelle der Polizei. Die haben gerade einen Jungen in
Wedding erschossen! Bei so etwas bekomme ich eine Gänsehaut.
Wo würden Sie heute Ihre Ziele sehen?
Ich will eine Familie aufbauen und unabhängig leben. Ich will kein heiliger
Mensch werden, aber mit meiner Vergangenheit im Reinen sein.
Fühlen Sie sich heute akzeptiert – als Mensch und als Berliner?
Auf jeden Fall eher als früher. Aber wenn ich eine Currywurst esse, dann
fragen mich die Leute immer noch: Challa, du isst Schwein? Aber ich will
einfach mein Leben genießen, in vollen Zügen.
29 Oct 2012
## AUTOREN
Julia Maria Amberger
Julia Amberger
## TAGS
Alexanderplatz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gedenken an Jonny K.: Ein Zeichen gegen die Gewalt
Mehrere hundert Menschen erweisen dem vor 2 Wochen zu Tode geprügelten
20-jährigen Jonny K. die letze Ehre. Das Thema Herkunft spielt dabei kaum
eine Rolle.
Kommentar Todschlagsopfer Jonny K.: Die beste Prävention
Videokameras hätten die Gewalttat am Alex nicht verhindern können. Die
erhöhte öffentliche Sensibilität und die mediale Aufmerksamkeit könnten
jedoch etwas verändern.
Trauern am Alex: Einfach nichts dazugelernt
Nach dem Tod des 20-Jährigen am Alexanderplatz trauern die Berliner am
Tatort - und verstricken sich in Diskussionen um Zuwanderung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.