| # taz.de -- Gedenken an Jonny K.: Ein Zeichen gegen die Gewalt | |
| > Mehrere hundert Menschen erweisen dem vor 2 Wochen zu Tode geprügelten | |
| > 20-jährigen Jonny K. die letze Ehre. Das Thema Herkunft spielt dabei kaum | |
| > eine Rolle. | |
| Bild: T-Shirt mit dem Gesicht des getöteten Jonny K. | |
| Es ist, als würde man die 5th Avenue in New York herunterschlendern: Keines | |
| der Gesichter hier ist eindeutig einer bestimmten Herkunft zuzuordnen. Eine | |
| sympathische Gesellschaft aus Jungen und Alten, aus Menschen mit Kindern, | |
| Menschen in coolen Basecaps, Menschen, bei denen man gar keine Lust mehr | |
| hat, darüber nachzudenken, ob die eine vielleicht eine Oma hat, die aus dem | |
| Senegal kam – und ob der andere seit zehn, zwanzig oder dreißig Jahren in | |
| diesem Land lebt. | |
| Hunderte BerlinerInnen haben sich an diesem kalten Sonntagnachmittag des | |
| Gedenkens an Jonny K. vorm „Haus der Begegnung“ eines Bestattungsinstituts | |
| in Charlottenburg versammelt. Sie sind gekommen, um sich von einem ganz | |
| normalen 20-jährigen Jungen zu verabschieden, der vor zwei Wochen wahllos, | |
| grundlos und brutal auf dem Alexanderplatz zu Tode geprügelt wurde. Und wen | |
| man auch anspricht, immer bekommt man dasselbe zu hören: Hier, an diesem | |
| Ort und an diesem Tag, soll es keine Rolle spielen, woher die Menschen | |
| kommen. | |
| Zwei Freundinnen aus Charlottenburg – beide sind um die sechzig und beide | |
| tragen bunten Strick – sind hier, weil sie nicht fassen können, dass Dinge | |
| wie diese immer wieder passieren, selbst hier, in ihrem Berlin, auf ihrem | |
| Alexanderplatz. Ihre Empörung ist so echt, dass man sie fast anfassen kann. | |
| „Es hätte jeden treffen können“, sagen sie. „Es hätten auch unsere Sö… | |
| sein können.“ | |
| Weiter hinten sprechen drei Frauen um die dreißig auf Türkisch miteinander. | |
| Da tritt ein Mann mit Mikro auf sie zu. Die drei beklagen, dass zwei der | |
| mutmaßlichen Täter wieder auf freiem Fuß sind. „Das ist das falsche | |
| Zeichen“, sagen sie. Daneben steht ein Mann um die fünfzig, grau meliertes | |
| Haar, schwarze Hornbrille und feines Wollsakko, Sozialarbeiter, wie er | |
| sagt. „Ich sehe das anders“, meint er gleich. Ihm missfalle die Debatte um | |
| die Freilassung, die die Berliner seit der Haftverschonung der beiden | |
| umtreibt. | |
| Ebenso furchtbar findet er, dass er rassistische Anspielungen in der | |
| Berichterstattung gefunden hat. „Hier wird wieder mal zwischen guten und | |
| schlechten Ausländern unterschieden, das treibt den Keil nur noch tiefer in | |
| unsere Gesellschaft.“ Er erklärt, dass alle Jugendlichen, die hier | |
| aufwachsen, „unsere Jugendlichen“ sind. „Wir müssen uns um sie kümmern. | |
| Antigewaltkurse reichen nicht.“ Er selbst sei vor Jahrzehnten aus der | |
| Türkei gekommen – aber das ist überhaupt nicht das Thema, sagt er. | |
| Wie dieser Mann will an diesem Tag niemand darüber sprechen, dass die | |
| Schläger vom Alex türkische Wurzeln haben, dass der mutmaßliche Haupttäter | |
| vermutlich verhinderter Profiboxer war, dass ihn, wie es heißt, sein Vater | |
| gängelte und dann doch mit dem Mercedes in die Türkei gefahren haben soll. | |
| An diesem Tag ist es auch völlig egal, dass Jonny K.s Mutter aus Thailand | |
| kam. Hier geht es einzig und allein um den Jungen Jonny K. Und darum, ein | |
| Zeichen zu setzen. Zu zeigen, dass es nie und unter keinen Umständen Gründe | |
| gibt für eine Gewalt wie diese. | |
| Gegen vier Uhr wird es ganz still in der Menschentraube vorm Haus der | |
| Begegnung, auch die meisten Journalisten packen gedankenverloren ihre | |
| Mikros und Notizblöcke weg. Jetzt geht es auf den schweren Weg ins Haus. | |
| Drinnen ist ein weißer Sarg aufgebahrt. Ein Teil der Familie von Jonny K. | |
| ist nach der privaten Gedenkfeier am Mittag einfach sitzen geblieben, | |
| darunter die kleine Schwester. Sie scheint ihre Trauer teilen zu wollen. | |
| Eine große Geste, die keiner weiteren Worte bedarf. | |
| 28 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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