# taz.de -- Trauern am Alex: Einfach nichts dazugelernt | |
> Nach dem Tod des 20-Jährigen am Alexanderplatz trauern die Berliner am | |
> Tatort - und verstricken sich in Diskussionen um Zuwanderung. | |
Bild: Trauernde Jugendliche am Ort des Geschehens. | |
Dutzende Grabkerzen stehen vor einem schmächtigen Baum, der seine Blätter | |
an den Herbst verliert. Blumensträuße liegen auf dem Boden und | |
Abschiedsbotschaften. „Das sind ja noch mehr Kerzen geworden!“, ruft eine | |
Anwohnerin, die gerade ihre Einkäufe nach Hause trägt. Die alte Frau | |
erklärt ein paar umherstehenden Touristen, was hier, vor den | |
Rathaus-Passagen zwischen Alexanderplatz und Rotem Rathaus, am vergangenen | |
Sonntag geschehen ist. Dass Jonny K., ein 20-Jähriger aus Spandau, | |
totgeprügelt worden sei von sieben unbekannten Schlägern. Dass es nun | |
diesen Ort des Gedenkens gebe, an dem viele Berliner verharren. Und dass | |
Menschen generell Idioten seien, weil sie sich sinnlos Gewalt antun. „Wir | |
lernen einfach nichts“, sagt die Frau. Die Touristen gucken betroffen zu | |
Boden. Sie kommen aus Polen und haben die Ausführungen kaum verstanden. | |
Aber die Szenerie erschließt sich auch ohne viele Worte. | |
„Da ist er, der Jonny!“, ruft ein mittelalter Mann mit Käppi und schwarzer | |
Lederweste, als er zwischen den Kerzen das Foto des jungen Mannes entdeckt. | |
So als würde er „den Jonny“ nach vielen Jahren endlich wiedersehen. Nein, | |
sie hätten sich nicht gekannt, sagt er. „Aber was für eine Feigheit, zu | |
siebt auf einen loszugehen.“ Dann vertieft er sich in die Nachrichten, die | |
jene dort hinterlassen haben, die Jonny K. wirklich nahestanden. Kleine | |
persönliche Notizen sind es, die auf gemeinsame Geschichte verweisen: „Wer | |
läuft jetzt heimlich hinter mir her und wer kauft mir jetzt Nachos mit | |
Jalapeno, die mich zum Weinen bringen sollen?“, steht auf einem Zettel. | |
„Warte auf mich! Wir sehen uns wieder irgendwann!“, auf einer weiteren | |
Karte. Stetig kommen neue Passanten hinzu, sie lassen sich für einen Moment | |
aus ihrem hastigen Tritt bringen auf dem Weg zum S-Bahnhof, ins Kaufhaus | |
oder sonst wohin. Sie bleiben stehen und lesen. | |
Je länger man unter dem Baum steht, desto deutlicher wird, wie sehr dieser | |
temporäre Gedenkort auch ein Ort der Diskussion ist. K.s Tod nehmen die | |
Passanten als Folie, um sich über die Berliner Sicherheitspolitik | |
auszutauschen. Da kommt ein Friedrichshainer Hartz-IV-Empfänger mit einer | |
Steglitzer Beamtin ins Gespräch. „So eine brutale Straßengewalt hat es in | |
der DDR nicht gegeben“, sagt er. „In West-Berlin damals auch nicht“, | |
kontert sie. Beide sind sich sicher, dass die Stadt und vor allem der | |
Alexanderplatz zunehmend unsicherer werden, abends trauten sie sich nicht | |
mehr dorthin. „Es sollten mehr Polizisten Streife laufen“, fordert der | |
Friedrichshainer, und die Steglitzerin ist froh, dass ihr 21-jähriger Sohn | |
der Stadt den Rücken kehrt, um in Flensburg zu studieren. | |
Die Schuldigen für die Entwicklung sind auch schnell gefunden: „Die vielen | |
Ausländer, die friedliche Menschen angreifen“, sagt der Mann aus | |
Friedrichshain, ohne dass jemand groß widerspricht. Er verweist darauf, | |
dass die Täter laut Zeugenaussagen südländisch ausgesehen haben sollen. Was | |
er in seinem Bedürfnis nach einfachen Lösungen übersieht: Jonny K., dessen | |
Tod sie hier bedauern, einer dieser friedlichen Berliner – er ist in | |
Thailand geboren worden. | |
In der Marienkirche in unmittelbarer Nähe des Tatorts liegt ein | |
Kondolenzbuch für die Angehörigen von K. aus. Was dort zum Teil geschrieben | |
steht, erschüttert die Gemeinde: Bei rund zehn Prozent der Einträge komme | |
Ausländerhass zum Vorschein, sagt die Gemeindesprecherin Anna Poeschel. | |
Wenn das so weitergehen sollte, müsse das Buch wieder geschlossen werden. | |
17 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Joanna Itzek | |
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