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# taz.de -- Minderheitsregierung in Thüringen: Konfrontation und Kooperation
> Die rot-rot-grüne Koalition bringt ihren Haushalt durch – mithilfe der
> oppositionellen CDU. Bestandsaufnahme einer besonderen Konstellation.
Bild: Heike Taubert (SPD), Finanzministerin von Thüringen, umringt von Mitglie…
Dresden taz | Vier Stimmen fehlen der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen
seit den Landtagswahlen vom Herbst 2019 für eine parlamentarischen
Mehrheit. Dennoch hat der Landtag in Erfurt am Freitag einen Landeshaushalt
für das laufende Jahr in Höhe von 11,9 Milliarden Euro verabschiedet.
Schon am 20. Januar hatten sich Linke, SPD, Grüne und die eigentlich
oppositionelle CDU in 22 Verhandlungsstunden auf einen Kompromiss geeinigt.
Die Konstellation punktueller Zusammenarbeit zwischen einer
Minderheitsregierung und einer Oppositionspartei gilt in der politischen
Geschichte der Bundesrepublik als beispiellos.
Vor ziemlich genau zwei Jahren, am 5. Februar 2020, stand die
[1][Regierungsfähigkeit Thüringens] allerdings auf der Kippe. In zwei
Wahlgängen war der seit 2014 amtierende Bodo Ramelow (Linke) daran
gescheitert, sich erneut zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen.
Stattdessen gelangte FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich im dritten Wahlgang
ins Amt – mit den Stimmen der AfD, die ihren Kandidaten plötzlich fallen
ließ, und nach gedankenlosem Stimmverhalten der CDU. Das heftige Echo über
Thüringen und die Bundesrepublik hinaus zwang ihn schnell zum Rückzug und
führte letztlich zur [2][“Stabilitätsmechanismus“] genannten Vereinbarung
zwischen Rot-Rot-Grün und CDU.
## Weiter ohne Vereinbarung
Diese diente Ende 2020 schon einmal der Verabschiedung eines Haushalts und
lief dann aus. Die [3][geplante Selbstauflösung des Landtages] mit
Zweidrittelmehrheit und Neuwahlen parallel zur Bundestagswahl 2021 aber
scheiterten an vier Verweigerern in der CDU-Fraktion.
Doch [4][auch ohne formale Vereinbarung] wirkte die CDU nun erneut am
Haushaltkompromiss mit. „Das ist ein Haushalt für Thüringen, nicht für
Rot-Rot-Grün“, wahrte Fraktionschef Mario Voigt in der Debatte das Gesicht.
Womöglich erhofft die CDU sich damit schon Profilierungschancen mit Blick
auf die 2024 anstehenden Landtagswahl. Eine INSA-Umfrage vom Dezember des
Vorjahres sieht die Partei nur noch bei 15 Prozent. Auf entsprechende
Nachfrage reagierte Voigt ausweichend. Nach den „Häutungsprozessen“ von
2021 formuliere man nun selbstbewusster, was sich nach Meinung der Union im
Lande ändern müsse, sagte er der taz. „Opposition der Mitbestimmung“ nennt
das die Landes-CDU.
Und tatsächlich nutzt die Union die Abhängigkeit der Minderheitsregierung
von CDU- oder FDP-Stimmen. So setzte sie eine pauschale Ausgabenkürzung –
die sogenannte Globale Minderausgabe – von 330 Millionen Euro durch und
punktete auf ihren Lieblingsfeldern kommunale Finanzausstattung, ländliche
Räume, innere Sicherheit, Familien- und Wirtschaftspolitik. Auch bremste
sie das geplante Landesaufnahmeprogramm für Flüchtlinge aus.
## „Ein einziges Gewürge“
Dem Fraktionsvorsitzenden der Linken Steffen Dittes fällt auf, dass die CDU
zäh, aber konstruktiv verhandelt, nach außen aber ein „Schauspiel“
inszeniere. Gemeint sind Propagandaoffensiven wie die Website „Thüringer
Heimat“, wo die Union ähnlich wie die Neue Rechte den Eindruck eines
bevorstehenden Untergangs des Landes erweckt. Ebenso den, sie habe RRG erst
das Sparen und den Umgang mit Geld beibringen müssen. Beide Seiten werfen
sich gegenseitig vor, keine Ziele und Ideen mehr für Thüringen zu haben.
SPD-Fraktionschef Matthias Hey ist deshalb von der Konstellation nicht
begeistert: Zielgerichtete Gestaltung sei so kaum möglich, man einige sich
nur noch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. „Ein einziges Gewürge“ seien
die kurz vor dem Abbruch stehenden Haushaltverhandlungen gewesen. Das
Argument, das Ergebnis repräsentiere nun breitere Bevölkerungsschichten,
nannte er „Demokratieromantik“.
Dennoch würdigten Hey und der Linken-Fraktionsvorsitzende Steffen Dittes
die beachtliche Einigung. Der Haushaltbeschluss wird überdies flankiert von
einer Art gemeinsamer Agenda auf verschiedenen Politikgebieten in Gestalt
von Entschließungsanträgen – erstaunlich, angesichts traditioneller
Animositäten zwischen CDU und Linken oder Grünen.
Dittes sprach deshalb von einem „Zeichen der Handlungsfähigkeit“, das bei
Bürgern mehr Vertrauen wecken könnte. Als ein Zukunftsmodell für die
Bundesrepublik wollte er diese Mischung aus Konfrontation und
Vierer-Kooperation dennoch nicht empfehlen.
4 Feb 2022
## LINKS
[1] /Selbstaufloesung-des-Landtags-abgeblasen/!5787348
[2] https://www.spd-thueringen.de/wp-content/uploads/4736_001.pdf
[3] /Geplatzte-Aufloesung-des-Landtags/!5781710
[4] /Thueringen-mit-Rot-Rot-Gruen-plus-Schwarz/!5805824
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Thüringen
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Minderheitsregierung
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Thüringen
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