# taz.de -- Machtmissbrauch in der Modebranche: Jenseits des Glamours | |
> Das Model Nadine Leopold verklagt das Modemagazin „Madame“ wegen | |
> Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte. Ein Einzelfall ist es nicht. | |
Bild: Das Model Nadine Leopold 2019 auf dem roten Teppich beim Filmfestival in … | |
„Keine Nacktfotos und keine nackten Brüste, so war es vereinbart.“ Wenn | |
Nadine Leopold von ihrem Fotoshooting mit der Madame erzählt, hört man die | |
Wut aus ihrer Stimme. Im Februar 2019 war das österreichische Topmodel für | |
eine Fotostrecke der neuen Sommerkollektionen nach Ibiza geflogen. Da es am | |
Strand-Set windig war, betonte sie mehrmals gegenüber der anwesenden | |
Redakteurin und dem Fotografen, dass sie ihre nackten Brüste nicht im | |
Magazin sehen möchte. | |
Beide sicherten es ihr zu, doch als Leopold wenige Monate später die | |
Ausgabe in den Händen hält, ist das Gegenteil der Fall. Schon der | |
doppelseitige Aufmacher der Fotostrecke zeigt Leopolds Nippel (die | |
Fotostrecke liegt der taz vor). „Meine Eltern riefen mich an, nachdem das | |
Heft veröffentlicht wurde. Nachdem ich die Fotos selbst gesehen hatte, war | |
ich einfach nur schockiert, dass meine Wünsche so ignoriert wurden“, sagt | |
Leopold der taz. | |
Mittlerweile klagt das Model gegen die Madame wegen | |
Persönlichkeitsrechtsverletzung. Ein Vertrag wurde vor dem Shooting nicht | |
abgeschlossen, was in der Branche nicht unüblich ist, häufig finden die | |
Abmachungen mündlich zwischen der Auftraggeber:in und der Agentur, die das | |
Model vertritt, statt. | |
Auf Anfrage der taz bestätigt die Bauer Media Group, die das Frauenmagazin | |
herausgibt, die Klage. Die Chefredakteurin Petra Winter spricht auf | |
Instagram von einem Missverständnis. Der Verlag kommentiert gegenüber der | |
taz: „Nadine Leopold hat beim Shooting nicht ‚Nein‘ gesagt. Die Aufnahmen, | |
um die es in dem Verfahren geht, wurden einvernehmlich gemacht.“ Und | |
weiter: „Selbstverständlich respektieren wir jeden Wunsch weiblicher | |
Selbstbestimmung.“ Es steht also Aussage gegen Aussage, die | |
Gerichtsverhandlungen sollen coronabedingt im Herbst stattfinden. | |
100-mal hat sie Nein gesagt | |
Gerade in ihrer Selbstbestimmung fühlt Leopold sich jedoch verletzt: „Ich | |
weiß nicht, was ich noch mehr hätte tun können, als 100-mal Nein zu sagen.“ | |
Sie beschreibt die Vorkommnisse am Set und die Veröffentlichung der Fotos | |
als Missbrauch. Aus diesem Grund hat sie mithilfe ihrer Familie einen | |
Anwalt engagiert, Klage eingereicht und nun Monate später auch ihre | |
Erfahrungen im Detail bei Instagram geteilt. „Ich wollte sichergehen, dass | |
das Magazin versteht, dass mir unrecht getan wurde. Weil es für mich so | |
verletzend war“, sagt sie am Telefon. | |
Fotos bei Instagram oder in Magazinen zeigen das Leben von Models als ein | |
glamouröses. Doch die Branche steht auch für Missbrauch, Ausbeutung und | |
sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz. Die bestehenden Hierarchien zwischen | |
den jungen Frauen, die häufig als Minderjährige ihre Karriere starten, und | |
den etablierten Fotograf:innen, Moderedakteur:innen oder Designer:innen | |
begünstigen Machtmissbrauch. | |
Die US-amerikanische Interessenvertretung „Model Alliance“ kommt nach einer | |
Umfrage zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass 85 Prozent aller weiblichen | |
Befragten ohne vorherige Absprachen gefragt wurden, nackt für einen Job | |
oder ein Casting zu posieren. Fast jedes dritte befragte Model gab an, bei | |
der Arbeit unangemessen berührt worden zu sein. | |
Kurz nach dem Aufkommen der [1][#MeToo-Bewegung] im Oktober 2017 wurden | |
erste Fälle aus der Modebranche öffentlich bekannt. [2][Im Februar 2018 | |
kamen 50 Betroffene im Boston Globe zu Wort,] die von ihre negativen | |
Erfahrungen am Arbeitsplatz erzählten: von ungewollten Berührungen über | |
anzügliche Kommentare oder ungewollte Fotografien bis hin zu schweren | |
sexuellen Übergriffen. Die Beschuldigten gehören zu den ganz Großen, wie | |
Starfotograf Patrick Demarchelier, Terry Richardson oder Greg Kadel. Knapp | |
30 männliche Models und Assistenten haben Vorwürfe gegen Mario Testino und | |
Bruce Weber erhoben. Die Beschuldigten weisen alle Vorwürfe von sich. | |
Wer sich wehrt, wird gefeuert | |
[3][Anfang dieses Jahres veröffentlichte die New York Times dann einen | |
investigativen Bericht], in dem 30 Models und (ehemalige) Mitarbeiter:innen | |
schwere Vorwürfe gegen Ed Razek und Leslie Wexner erhoben. Unter den beiden | |
Männern, Besitzer und Casting-Chef des Dessous-Labels Victoria’s Secret, | |
soll es jahrelang zu Missbrauch und Mobbing gekommen sein. Wer von | |
Victoria’s Secret gebucht wurde, hatte es als Model international | |
geschafft. Doch wer sich gegen den Missbrauch wehrte oder dies ansprach, | |
wurde gefeuert, so erzählen es die Betroffenen. Razek und Wexner streiten | |
alle Vorwürfe ab. | |
Das Bekanntwerden der vielzähligen Vorwürfe hat in der Branche etwas | |
verändert. So beendete Condé Nast die Zusammenarbeit mit Bellemere und | |
Kadel, die US-amerikanische Vogue kündigte an, künftig nicht mehr mit Terry | |
Richardson zu arbeiten. | |
Nadine Leopold kann aus ihrer eignen Wahrnehmung Veränderungen bestätigen. | |
„Seit #MeToo hat sich die Stimmung am Set extrem verändert. Es gibt jetzt | |
meistens richtige Umkleidekabinen, in denen wir uns geschützt umziehen | |
können.“ Zwischen Models und Fotografen sei ein großer Abstand entstanden. | |
„Früher hat ein Fotograf beispielsweise geholfen, den Arm eines Models in | |
die richtige Position zu legen. Heute passiert es nur noch extrem selten, | |
dass man angefasst wird bei der Arbeit“, sagt sie. | |
Doch Machtmissbrauch und Belästigung haben in der Modebranche – wie auch in | |
jeder anderen – nicht aufgehört. Die Geschichte von Nadine Leopold ist | |
keine Einzelerfahrung. Leopold ist seit zehn Jahren im Geschäft, sie ist | |
zweimal für Victoria’s Secret gelaufen, war mehrmals auf dem Cover der | |
Vogue, bei Instagram folgen ihr über 800.000 Menschen. Nachdem sie ihre | |
Missbrauchserfahrungen öffentlich gemacht hat, erfährt sie viel Zuspruch, | |
internationale Topmodels teilen ihre Story, deutschsprachige und | |
ausländische Medien berichten darüber. | |
Die eigene Reichweite nutzen | |
Dutzende, vor allem junge Frauen meldeten sich nach der Veröffentlichung | |
bei Leopold. Mit der Presse möchten sie, meist aus Angst, nicht über ihre | |
Erfahrungen sprechen. Auch die ehemalige „Germany’s next | |
Topmodel“-Gewinnerin Stefanie Giesinger teilt mit ihren 3,5 Millionen | |
Follower:innen Leopolds Geschichte, versehen mit der Aussage, dass auch | |
ihr so etwas Ähnliches neulich passiert sei. Auf mehrmalige Anfrage der taz | |
reagiert Giesinger nicht. | |
Leopold ist nicht die Einzige, die ihre Reichweite nutzt, um auf | |
Missbrauchserfahrungen aufmerksam zu machen. Das Schweizer Model Anja | |
Leuenberger schrieb Anfang Juni dieses Jahres, dass sie als 18-Jährige | |
vergewaltigt wurde: Es „war jemand aus der Modeindustrie“. | |
Wenige Stunden später werden unter einem anonyem Account dem Besitzer einer | |
Zürcher Männermodelagentur massive Belästigung und Machtmissbrauch | |
vorgeworfen. Belegt werden die Vorwürfe mit Chatprotokollen, | |
Sprachnachrichten und Fotos. Der Instagram-Account ist mittlerweile | |
gelöscht, doch ein Betroffener hat Anzeige erstattet, die Zürcher | |
Oberstaatsanwaltschaft hat nun die Ermittlungen aufgenommen. | |
In Deutschland fehlt eine Vertrauensstelle für Models | |
Seine Erfahrungen mit Missbrauch öffentlich zu teilen, ist noch immer | |
schambesetzt und kann gefährlich für die Karriere sein. Auch Leopold wurde | |
von Kolleg:innen gesagt: Mach es nicht öffentlich, sonst verlierst du viele | |
Arbeitgeber. „Doch wer danach nicht mehr mit mir arbeiten will, mit dem | |
möchte ich auch nicht arbeiten.“ Eine wichtige Haltung, die sich jedoch | |
nicht alle Betroffenen zutrauen. Gerade den Newcomer:innen im Business | |
fehlt die Reichweite und der Einfluss, um öffentlichkeitswirksam gegen | |
Missbrauch vorzugehen. | |
Während es in den USA mit der Model Alliance eine Vertrauens- und | |
Beschwerdestelle für Models, die von sexueller Belästigung und Missbrauch | |
betroffen sind, gibt, fehlt solch eine Institution in Deutschland. Velma, | |
der Verband lizenzierter Modelagenturen, setzt sich in Deutschland für | |
faire Arbeitsbedingungen von Models ein und versteht sich als Vermittler | |
zwischen Models und Agenturen, jedoch nicht als Beschwerde- und | |
Vertrauensstelle. Der Geschäftsführer verweist auf Nachfrage der taz auf | |
die Staatsanwaltschaft. | |
Doch Vertrauensstellen sind im Kampf gegen Missbrauch unerlässlich. Bisher | |
werden Models in Deutschland in diesem Kampf größtenteils alleingelassen. | |
Nadine Leopold hat nun Mitte April einen Podcast veröffentlicht. Ob das | |
helfen kann? „Ich möchte jungen Mädchen und Models zumindest das Gefühl | |
geben, dass sie nicht alleine sind, dass wir über diese Dinge öffentlich | |
sprechen müssen. Und ich will ihnen dabei helfen, sich zu wehren“, sagt | |
Leopold. | |
22 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Zwei-Jahre-MeToo/!5627998 | |
[2] https://www.bostonglobe.com/metro/2018/02/16/beauty-and-ugly-truth/c7r0WVsF… | |
[3] https://www.nytimes.com/2020/02/01/business/victorias-secret-razek-harassme… | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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