# taz.de -- Lust auf Aggression: Lässt sich Gewalt abschaffen? | |
> Lust an Gewalt zu empfinden, ist nicht krank, sagt der Neuropsychologe | |
> Thomas Elbert. Ist Aggression etwas Normales, das wir akzeptieren müssen? | |
Bild: Nach einem Gefecht zwischen separatistischen und ukrainischen Truppen in … | |
Schon in der Schule schlägt Cáglar Budakli andere Kinder. Er bleibt | |
mehrfach sitzen. Sechsmal muss er die Schule wechseln, dann will ihn in | |
Berlin-Kreuzberg kein Schulleiter mehr haben. Mit 14 Jahren bricht er die | |
Hauptschule ab, dealt mit Drogen und muss später für drei Monate ins | |
Gefängnis. Er prügelt und dealt weiter. Mit 18 Jahren zieht er einem Mann | |
eine abgebrochene Bierflasche über die Augen, weil der ihn als „Kanacke“ | |
beschimpft. Der Mann überlebt, Budakli muss für zweieinhalb Jahre ins | |
Gefängnis. | |
Warum werden Jugendliche gewalttätig? Der Kriminologe Gerhard Spiess von | |
der Universität Konstanz macht gewisse Risikofaktoren für Jugendgewalt aus. | |
Mangelnder Erfolg in unserem Bildungssystem, Armut und gewalttätige | |
Erziehungspraktiken in der Familie gehören dazu. Treten diese Faktoren | |
gemeinsam auf, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Jugendlichen | |
gewalttätig werden. Unabhängig von der Herkunft. | |
„Mein Vater hat oft mit meiner Mutter gestritten, er hat getrunken und | |
wurde gewalttätig. Das hat mich kaputt gemacht. Ich war noch klein und | |
konnte meine Mutter nicht beschützen.“ [1][In mehreren Gesprächen] mit der | |
taz hat Cáglar Budakli zwischen 2008 und 2012 seine Geschichte erzählt, er | |
kann zumindest einige Gründe für seine Aggressivität benennen. Von seinen | |
Lehrern fühlte er sich gedemütigt. Wenn seine Mitschüler bessere Noten | |
schrieben, wollte er sich körperlich überlegen fühlen. Und schlug zu. | |
Nicht immer sind die Motive für Gewalttätigkeit so einfach offen zu legen. | |
Und entsprechend schwer fällt es, darauf zu reagieren. „Wir sind biologisch | |
darauf vorbereitet, dass Gewaltausübung Spaß macht“, sagt Thomas Elbert. | |
Schon unsere Vorfahren hätten die großen Strapazen der Jagd ohne die Lust | |
am Töten nicht überstanden. Die Freude an der Aggression sei uns vererbt | |
und etwas ganz Normales. | |
## Die Verwandlung begann im Gefängnis | |
Lässt sich Gewalt dann überhaupt noch kontrollieren, in konstruktive Bahnen | |
lenken oder sogar ganz verbannen? Wie wirkt man auf Menschen ein, wenn es | |
ihnen Spaß macht, Gewalt auszuüben? | |
Bei Caglar Budakli beginnt die Veränderung im Gefängnis. Er liest viel. Vor | |
allem Psychologiebücher interessieren ihn. Er will sich selbst und seine | |
Stärken erkennen. Kriminell ist er heute nicht mehr und zu den Freunden von | |
früher hat er den Kontakt abgebrochen. Nach der Zeit im Knast arbeitet | |
Budakli präventiv mit Kindern und Jugendlichen. Er macht sozialkritische | |
Rap-Musik. In Schulen und Jugendclubs erzählt er von seinem Werdegang, gibt | |
Breakdance- und Rapkurse. Er möchte über Gewalt und Drogen aufklären, damit | |
es den Jugendlichen von heute nicht so ergeht wie ihm. | |
Manche Angebote setzen darauf dass die Jugendlichen sich nicht auf der | |
Straße austoben, sondern im Sportverein. Dort sollen sie ihre überschüssige | |
Energie loswerden, sich mit Gleichaltrigen treffen, zusammen spielen und | |
trainieren. Die Jugendlichen erleben die Erfolgserlebnisse, die ihnen in | |
der Schule verwehrt bleiben. | |
## Yoga gegen Boxen | |
Andere Ansätze zielen mehr auf die Sprache der Heranwachsenden ab. Sie | |
lernen, sich lösungsorientiert auszudrücken, ihre Gefühle zu äußern. So | |
können sie vermeiden, dass sich ein Konflikt immer weiter aufschaukelt und | |
irgendwann zu einer Schlägerei wird. | |
Für die taz.am wochenende vom 13./14. Februar hat unsere Autorin Maria | |
Rossbauer einen Berliner Boxclub und einen Yoga-Kindergarten in Hamburg | |
besucht. In Berlin lassen die Jugendlichen ihre Aggressionen an Sandsäcken | |
aus. Alles hört auf Trainer Izzet Mafratoglu. Seine Trillerpfeife bedeutet | |
Disziplin wie in der Armee. In Hamburg-Altona riecht es nach | |
Johanniskrauttee statt nach Schweiß. Muktiar Dettmann und Karolin Hoffmann | |
zeigen den Kindern, wie man Gewalt schon beim Sprechen vermeidet. Die | |
beiden Erzieherinnen wollen verhindern, dass sich immer das aggressivste | |
Kind durchsetzt. Das große Ziel ist eine gewaltfreie Welt. | |
Können Menschen tatsächlich eine Welt schaffen, in der sie sich nicht mehr | |
prügeln, quälen, töten? Oder kann man wie Izzet Mafratoglu nur versuchen, | |
Gewalt in geordnete Bahnen zu lenken? Glauben Sie, dass es so etwas wie | |
eine Lust an der Aggression gibt? Oder ist das bloß eine wissenschaftlich | |
klingende Entschuldigung für mangelnde Selbstbeherrschung? | |
Diskutieren Sie mit! | |
Die Titelgeschichte „Omm gegen Bamm“ lesen Sie in der [2][taz.am wochenende | |
vom 13./14. Februar 2016] | |
13 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Montagsinterview:-Der-Rapper/!5080788/ | |
[2] /!p4662/ | |
## AUTOREN | |
Philipp Saul | |
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