| # taz.de -- Lars Eidinger im Interview: "Der eitelste Beruf, den es gibt" | |
| > Viele halten Lars Eidinger für den besten deutschen Schauspieler seiner | |
| > Generation. Ein Gespräch über Minderwertigkeitskomplexe, Klassenclowns | |
| > und unreflektierte Kollegen. | |
| Bild: "Ich habe noch keine Rolle gespielt, in der ich mich nicht wiederfinden k… | |
| taz: Herr Eidinger, Ihre alten „Bibi-Blocksberg“-Kassetten, hört die heute | |
| Ihre Tochter? | |
| Lars Eidinger: Zum Glück nicht. Wie kommen Sie denn darauf? | |
| Sie sollen Ihre ersten Schauspielerfahrungen beim Nachspielen von „Bibi | |
| Blocksberg“-Hörspielen gesammelt haben. | |
| Ach so. Stimmt. Aber ich persönlich habe niemals „Bibi | |
| Blocksberg“-Kassetten besessen. Die Mädchen aus meiner Klasse in der | |
| Grundschule wollten Theater spielen, und aus Mangel an anderen Stoffen | |
| wurde eben „Bibi Blocksberg“ inszeniert. | |
| Ihre Tochter ist fünf, was hört sie stattdessen? | |
| Das werden Sie jetzt nicht glauben: Momentan hört sie vor allem die | |
| „Dreigroschenoper“. | |
| Wirklich kaum zu glauben. | |
| Aber wahr. Ich bin darüber auch froh, schließlich muss ich das im Auto ja | |
| mit anhören. Und wenn meine Tochter laut die „Ballade von der sexuellen | |
| Hörigkeit“ singt, ist das schon sehr lustig. | |
| Also gut: Wenn Bibi es nicht war, wer dann? | |
| Niemand. Mein erster Berufswunsch war auch Robbenpfleger. Nicht weil ich | |
| die Tiere so mag, sondern wegen der öffentlichen Fütterungen im Zoo. Da | |
| kommt dann der Pfleger mit dem Eimer, die Robben machen Tricks, die Leute | |
| klatschen. Und ich wollte auf diesem Felsen stehen und die Fische | |
| reinwerfen. Dann wollte ich Tennisprofi werden, habe siebenmal die Woche | |
| trainiert und war zum Trainingscamp in Florida. Ich hatte immer einen Hang | |
| zu Berufen, die vor Publikum ausgeübt werden. Ich wollte auch eine Band | |
| gründen. Mein Zimmer war mit Postern tapeziert, und ich wollte auf so ein | |
| Poster drauf. | |
| Wer hing denn da an der Wand? | |
| Ich würde gern Iggy Pop oder David Bowie sagen, aber das stimmt leider | |
| nicht. Ehrlich gesagt hingen da vor allem a-ha. | |
| Und wann haben Sie Ihr Talent zur Schauspielerei entdeckt? | |
| Mit zehn habe ich Kinderfernsehen beim SFB gemacht. Die Sendung hieß | |
| „Moskito – Nichts sticht besser!“. Die Liebe zum Theater habe ich | |
| allerdings erst auf der Oberschule im Fach Darstellendes Spiel entdeckt. | |
| Jetzt, da Sie Schauspieler sind, sind Sie vom vermeintlichen Traumberuf | |
| enttäuscht? | |
| Nein, er ist noch schöner, als ich es mir als Kind vorgestellt habe. | |
| Noch schöner? Geht das? | |
| Ja. Man macht sich ja nur sehr oberflächliche Vorstellungen als Kind. Der | |
| Beruf ist natürlich viel komplexer. Es gibt die Vorstellung, der Beruf habe | |
| etwas mit Verstellung und Verkleiden zu tun. Aber je länger ich es mache, | |
| merke ich, wie viel das mit mir zu tun hat und was für ein Privileg es ist, | |
| mich immer wieder mit mir beschäftigen und auseinandersetzen zu dürfen. | |
| Schauspielerei als Therapie? | |
| Absolut. Ich bin mir vollkommen bewusst, dass ich aus einem Defizit heraus | |
| Schauspieler geworden bin, aus einem Minderwertigkeitskomplex. Weil ich mir | |
| selbst nicht genüge, weil ich Bestätigung von außen brauche. Leute, die | |
| mehr in sich ruhen, haben das nicht nötig. Aber da darf man sich nichts | |
| vormachen: Mir geht es in erster Linie um mich und darum, mich aufzuwerten | |
| durch andere. Wenn Kollegen sagen, es geht ihnen nicht um sich, sondern um | |
| die Sache, dann sage ich immer: Geh nach Afrika, bau einen Brunnen, da | |
| dienst du einer Sache. Mit dem Theater dient man in erster Linie sich | |
| selbst. | |
| Mehr nicht? | |
| Klar, wenn die Zuschauer etwas mitnehmen, hat man was erreicht. Aber das | |
| Theater sollte keinen pädagogischen Anspruch haben. Wenn man den Mut hat, | |
| sich auf einer Bühne öffentlich zu hinterfragen, liefert man genug | |
| Antworten. Dazu muss Theater sich nicht als Moralanstalt aufspielen. | |
| Haben alle Schauspieler diesen Minderwertigkeitskomplex? | |
| Ich glaube, jeder hat den, aber bei Schauspielern ist er besonders | |
| ausgeprägt. Schauspieler haben aber auch einen Weg gefunden, diesen Komplex | |
| zu kompensieren. Die Schauspieler, die ich kenne, sind alle | |
| Selbstdarsteller, die haben alle als Schulsprecher oder Pausenclowns | |
| angefangen. | |
| Sie auch? | |
| Ich hatte immer sehr gute Noten und war Schulsprecher, aber ich habe immer | |
| gestört und Witze gerissen. Einmal hat der Lehrer früher Schluss gemacht | |
| und gesagt: So, jetzt hat Lars noch fünf Minuten Zeit, um witzig zu sein. | |
| Da fiel mir dann aber nichts ein. | |
| Hat Sie das geheilt? | |
| Natürlich nicht. Der Schauer, der einem über den Rücken läuft, wenn die | |
| Klasse lacht über einen guten Spruch, das ist derselbe Kitzel, den der | |
| Schauspielberuf einem verschaffen kann. | |
| Schauspieler sind also nur verlängerte Klassenclowns? | |
| Absolut. Das ist ja auch nichts Schlechtes. Ich war ja auch ein richtig | |
| guter Klassenclown. Der Narr hat ja auch eine Funktion: Er ist der | |
| Querdenker, hat eine andere Sicht auf die Dinge. | |
| Trügt der Eindruck, dass Schauspieler zwar an die Öffentlichkeit drängen, | |
| aber oft nicht viel mitzuteilen haben? | |
| Nein. Die meisten sind ziemlich unreflektiert. Aber man soll sich als | |
| Schauspieler auch ständig zu allem äußern. Ich könnte jeden Tag mit | |
| irgendeiner Frauenzeitschrift über mein Familienleben reden. Aber was habe | |
| ich Qualifizierteres zum Thema Erziehung zu sagen als jeder andere Vater? | |
| Ihr Gesicht kennen die Leute. | |
| Ja, klar. Ein bekanntes Gesicht hält den zappenden Zuschauer auf dem Kanal. | |
| Ich bin da ja nicht anders. Wenn ich ein Interview mit Isabelle Huppert | |
| lese, interessieren mich auch am meisten die Stellen, in denen sie aus | |
| ihrem Privatleben erzählt. | |
| Der Schauspieler spielt zwar eine Rolle, aber der Zuschauer will eigentlich | |
| nur wissen, wie er wirklich ist? | |
| Ja. Früher habe ich großen Wert darauf gelegt, mich zu verwandeln und von | |
| mir zu entfernen. Natürlich kann ich das. Ich kann den Hamlet so spielen, | |
| dass der mit Lars Eidinger nichts mehr zu tun hat. Aber irgendwann habe ich | |
| gemerkt, dass das nicht interessant ist. | |
| Ist das nicht gerade das Spannende an dem Beruf: Jemand anderes werden zu | |
| können? | |
| Ja. Aber ich behaupte ja: Jeder ist alles. Ich habe noch keine Rolle | |
| gespielt, in der ich mich nicht wiederfinden konnte. Allerdings hab ich | |
| auch noch keinen Außerirdischen gespielt. | |
| Aber unlängst im „Tatort“ einen mordenden Stalker. | |
| Was es an Abgründen in der Welt gibt, trage ich in mir. Das Spannende ist, | |
| den Zugang dazu zu finden. Ich will nichts vorführen und von mir weghalten: | |
| Guck, wie böse das ist. Ich kann nur zeigen, wie böse ich bin – immer mit | |
| dem Anspruch, dass sich der Zuschauer darin wiedererkennt. | |
| Erschrickt man, wenn man in sich den Mörder entdeckt? | |
| Nein, das weiß ich doch, dass der Mörder in mir ist. Das ist doch gut, wenn | |
| man das weiß. Die Sachen, die man reflektiert, kann man viel besser steuern | |
| als die, derer man sich nicht bewusst ist. Noch fataler finde ich aber, | |
| wenn Schauspieler sich in ironische Distanz zu dem begeben, was sie | |
| spielen. Aber genau das passiert überall. Selbst die Tagesthemen werden ja | |
| inzwischen mit einem ironischen Unterton präsentiert. Christoph | |
| Schlingensief hat vor ungefähr 15 Jahren gesagt: Ironie ist | |
| systembestätigend. Das war für mich wegweisend. | |
| Inwiefern? | |
| Schlingensief war auch so ein verlängerter Klassenclown, ein Narr. Der hat | |
| noch was bewegt, indem er in eine komplett andere Richtung dachte und die | |
| Leute dadurch verstörte. Das war nicht nur Provokation um der Provokation | |
| willen, sondern mit einer ganz eindeutigen Stoßrichtung. | |
| Wie setzen Sie das um? | |
| Im „Hamlet“ geht das gut, da geht es um das Spiel im Spiel. Da genieße ich | |
| es, irgendwann nicht nur die Maske des Wahnsinns fallen zu lassen, sondern | |
| alle Masken des Theaters. Einen Moment ganz privat dazustehen – und dann | |
| zurück in die Rolle. Dieses Verwirrspiel hat viel mehr mit der Magie des | |
| Theatermoments zu tun als die Verwandlung. Das ist doch eine Lüge zu sagen: | |
| Ich bin jemand anderes. Vor allem ist es nicht interessant. Ich will mich | |
| als Schauspieler nicht über die Rolle erheben, nicht nur draufgucken, weil | |
| es dazu führt, dass der Zuschauer auch nur draufguckt. Ironische Distanz | |
| macht träge. Es ist befreiend, über etwas zu lachen, aber es nimmt auch den | |
| Impuls zum Widerstand. Wenn ich über George Bush lachen kann, verliere ich | |
| den Antrieb, gegen ihn aufzubegehren. Ich will auch nicht über Hitler | |
| lachen. Ich finde, man muss Angst haben vor Hitler. | |
| Was unterscheidet einen guten Schauspieler von einem, der die Menschen | |
| fasziniert? | |
| Man kann Schauspielerei nicht in diesen Kategorien beurteilen. Das ist ja | |
| kein Sport. Aber es gibt glaubwürdige und unglaubwürdige Schauspieler. Ich | |
| glaube, mein Reiz besteht darin, dass ich mich persönlich stark einbringe. | |
| Im Theater heißt es ja oft, dein Privatscheiß interessiert nicht. Ich | |
| glaube: Gerade der ist interessant. Dadurch, dass ich bereit bin, viel von | |
| mir selbst preiszugeben, habe ich eine andere Wirkung. Ich schließe nichts | |
| aus auf der Bühne, ich sage nie: Das geht mir zu weit, das ist mir zu | |
| intim. Das ist auch der Grund, warum ich so exhibitionistisch wirke. | |
| Wird man so zum Sexsymbol? | |
| Da muss ich immer lachen. Ich bin mir zwar meiner Wirkung auf Frauen | |
| bewusst. Schon in der Schule waren alle Mädchen in mich verknallt, ich | |
| hatte säckeweise Liebesbriefe zu Hause. Aber ich stehe jetzt 15 Jahre auf | |
| der Bühne und kann mir das immer noch nicht erklären. Ich neige echt nicht | |
| zur Koketterie, aber wenn ich mich im Spiegel angucke, denke ich nicht | |
| gerade: Ey, was für ein geiler Typ. | |
| Ist nicht auch faszinierend, dass man nie weiß, ob Sie nicht plötzlich aus | |
| der Rolle fallen? | |
| Klar. Der schönste Satz, der je über mich geschrieben wurde, ist: „Eidinger | |
| kann Unberechenbarkeit.“ Ich würde sagen, ich nutze die Unmittelbarkeit, | |
| die nur das Theater bietet. Für mich gibt es die vierte Wand nicht. Wenn | |
| ich die Leute von der Bühne aus anspreche, weil sie rausgehen, tu ich das | |
| nicht nur, weil es lustig ist, sondern um ihnen klarzumachen, dass es die | |
| vierte Wand nicht gibt. Wenn da einer rausgeht, will ich wissen, wo der | |
| hingeht. Die Leute spielen ja gern mit. Vor Kurzem bei „Hamlet“ sage ich | |
| meinen Text: „Hat Hamlet Laertes Unrecht getan?“ Und eine Frau in der | |
| ersten Reihe sagt: „Ja.“ Da kann man mit der spielen. Das ist doch toll. | |
| Das hat Theater dem Film voraus, und es wird viel zu selten genutzt. | |
| So viel Spontaneität dürfte die Kollegen weniger freuen. | |
| Natürlich gibt es Ärger mit Kollegen, wenn ich aus der Rolle falle oder sie | |
| provoziere. Aber manche sind schon sauer, wenn man ihnen am Ende der | |
| Vorstellung einen Becher Blut über den Kopf kippt, weil sie dann duschen | |
| müssen. Da prallen extrem unterschiedliche Berufsethiken aufeinander. Aber | |
| ich bilde mir ein, dass das etwas ist, wonach sie auch eine Sehnsucht | |
| haben. Die gehen nach Hause und sagen sich: Das passiert mir nicht noch | |
| mal. Und sind beim nächsten Mal fitter und schlagfertiger. | |
| Warum machen Sie das? | |
| Mir gefällt es, mich querzustellen und die Konvention zu brechen. Das ist | |
| auch eine Methode die Gesellschaft zu hinterfragen und die Welt zu | |
| verändern. | |
| Wäre es da nicht sinnvoller, den Brunnen in Afrika zu bauen? | |
| Erwischt. Ich gebe zu: Am Ende interessiert mich die Sache doch zu wenig. | |
| Es geht mir in erster Linie darum, meine Eitelkeit zu befriedigen, und ich | |
| gefalle mir in der Rolle des Rebellen. Und natürlich gibt es Kritiker und | |
| Kollegen, die nur darauf warten, dass ich einen Fehler mache. Das ist die | |
| Bürde der Prominenz, dass sie eine große Angriffsfläche bietet. Auch bei | |
| den Zuschauern hab ich manchmal das Gefühl, die denken: Jetzt haben wir so | |
| viel von dem gehört, jetzt wollen wir aber auch mal was sehen. Das | |
| generiert einen Druck, unter dem es immer schwerer wird, bei sich selbst zu | |
| bleiben und nicht dem eigenen Klischee zu verfallen. | |
| Sie sind schließlich „der größte Schauspieler der Welt“. | |
| Mit dieser Behauptung wollte ich mich gegen die übliche | |
| Schauspielerkoketterie positionieren. Schauspieler ist der eitelste Beruf, | |
| den es gibt. Man muss sich nur mal Schauspielerporträts auf Agenturseiten | |
| anschauen. Eitler geht’s nicht. Ich finde, man sollte damit offensiv | |
| umgehen. | |
| Dann sind Sie gar nicht der größte Schauspieler der Welt? | |
| Doch, doch. | |
| 24 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Winkler | |
| Thomas Winkler | |
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