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# taz.de -- Kunstfeminismus in New York: Und endlos dreht sich der Afro
> Für weniger als zehntausend Dollar am Tag passiert gar nichts: So
> funktioniert die Kunst in New York. Und am Ende überzeugen die
> feministischen Klassiker aus den 70ern.
Bild: Helena Almeida "Pintura Habitada" von 1975 ist in der Ausstellung "Wack!"…
"Why Have There Been No Great Women Artists?" - mit dieser Frage hatte 1971
die Kunsthistorikerin Linda Nochlin in Art News eine neue Runde weiblicher
Selbstaufklärung über die unumgänglichen Schritte aus der
selbstverschuldeten Unmündigkeit eröffnet. Professionalisierung ist einer
dieser Schritte, der sich in dem Satz ausdrückt, "für weniger als 10.000
Dollar am Tag stehen wir erst gar nicht auf"; ein Satz, der Linda
Evangelista, dem Supermodel der 1990er-Jahre, zugeschrieben wird. In
Wahrheit hat sie ihn aber nie gesagt - bis vor kurzem jedenfalls.
In New York, im Showroom von Visionaire, war nun also zu hören, wie sie ihn
endlich zu ihrem Eigentum machte. Visionaire, das legendäre, 1991
gegründete Mode- und Kunstmagazin, erscheint dreimal jährlich in
limitierter Auflage, stets von angesagten Künstlern und Designern
gestaltet. Das Thema des aktuellen 53. Hefts heißt "Sound". Deshalb also
hört man Linda Evangelista - neben anderen Größen wie etwa David Byrne,
Yoko Ono, Doug Aitken oder auch Alexander McQueen - den
berühmt-berüchtigten Satz endlich mit eigener Stimme rappen.
Es ist kein Heft im üblichen Format. Mit Visionaire No. 53 hält man eine
schwarze runde Plastikbox in der Hand, die fünf jeweils von einem
prominenten Künstler, unter anderen Cindy Sherman und Raymond Pettibon,
gestaltete LPs aus Vinyl fasst. Völlig irreführend ist der Begriff Heft
aber nicht. Auch diese Ausgabe besteht wie alle vorangegangenen auf ihrer
medialen Unabhängigkeit. Wie also lassen sich die Platten abspielen? Die
Lösung fanden die Leute von Visionaire im "Vinylkiller", einem mit
Tonabnehmer und Lautsprechern ausgestatteten Spielzeug-VW-Bus einer
japanischen Firma, der die Plattenrillen entlangkurvt. Bei Visionaire
erledigt das jetzt ein "Mini-Clubman". Denn die Sound-Ausgabe wurde von
Mini gesponsert, zur Premiere seines neuen Automodells Clubman.
Wie das Visionaire-Abenteuer zeigt, bemüht sich das Autounternehmen aus
Oxford bei seinen Kooperationen mit dem Kultur- und Kunstbetrieb um
ausgesuchte Projekte. Dazu zählt auch Ludlow 38, der neue Kunstraum des New
Yorker Goethe-Instituts in Downtown Manhattan, der seine Adresse im Namen
trägt. Das konkrete Programm verantwortet im ersten Jahr der Kunstverein
München. Vor sechs Jahren hätte Ludlow 38 noch perfekt nach Berlin gepasst.
Inzwischen braucht es für die Idee, in einem solchen schmalen Schlauch
Kunst zu zeigen, schon New York und einen aus Osteuropa zugezogenen
Programmleiter wie Stephan Wackwitz. Ludlow 38 ist keine einfache
Ausstellungslocation. Stefan Kalmár, Leiter des Kunstverein München, zog
für die erste Ausstellung "The Real World" offenbar die falschen Schlüsse
aus der Raumsituation. Für den Off-off-Appeal des Orts war seine
Künstlerauswahl zu sehr Mainstream. Gleichzeitig verlangt und verträgt der
karge Raum mehr Exponate als gerade mal ein Foto von Wolfgang Tillmans,
eine Dia-Projektion des Münchner Künstlers und Autors Andreas Neumeister,
dessen Markenzeichen ein einfallsreicher Remix von Musik-, Bild- und
Sprachformeln ist, und ein Video des amerikanischen Künstlers Sean Snyder.
Snyders medienkritische Videomeditation schien aus den 70er-Jahren zu
stammen, als Neil Postman so schrecklich en vogue war, mit seiner Sorge, ob
wir uns nicht womöglich "zu Tode amüsieren". Also bei "The Real World"
bestimmt nicht. Aber das Jahr ist noch lang und das nachfolgende Programm
durchaus vielversprechend. Mit "Some Neighbors" läuft ein Projekt, mit dem
Kalmár einige seiner neuen Nachbarn in der Lower East Side einlädt, um sie
in einer Reihe von Workshops, Vorträgen und Screenings vorzustellen.
Die 70er-Jahre aber waren, anders als man sich bei Sean Snyder zu erinnern
glaubt, tatsächlich bedrohlich amüsant. Das zeigte das P.S.1 gerade in
seiner Ausstellung, "Wack! Art and the Feminist Revolution" - eine
Übernahme vom Museum of Contemporary Art, Los Angeles, die noch in
Vancouver Station machen wird. Ja, es gab große Künstlerinnen - Rebecca
Horn zum Beispiel war einmal eine. Das beweist das erotisch flirrende
Video, das sie in den 70er-Jahren produzierte und das die beschatteten,
nackten Schultern einer Frau mit einem riesigen Afro in der Rückenansicht
zeigt. Während sich die Protagonistin langsam der Kamera und damit dem
Betrachter zuwendet, fragt man sich unwillkürlich, ob sie in Profil und
Frontalansicht wohl so attraktiv, aufsässig und exotisch ausschaut, wie es
der Afro erwarten lässt. Aber da ist schon der pikante Moment erreicht, in
dem klar wird: Hey, dieser Afro kennt weder Anfang noch Ende! Er umgibt das
ganze Gesicht! Atemberaubend, wie Horn damals lakonisch, komisch und
präzise unsere Erwartungen samt ihrem unterschwelligen Sexismus und
Rassismus ad absurdum führte.
Überraschenderweise gibt Cornelia Butler, die Kuratorin von "Wack!",
Rebecca Horn mehr Raum als Valie Export und macht sie zur ebenbürtigen
Gegenspielerin von Marina Abramovic - der überragenden Figur der
Performancekunst bis heute. Beide teilen sich eine Halle und eine große
Leinwand. Während sich auf der einen Seite Horns grenzenloser Afro dreht,
behauptet Abramovic auf der anderen Seite "Art Must Be Beautiful, Artist
Must Be Beautiful" und bürstet sich immer wütender und brutaler ihre
prachtvolle Mähne.
Die Verblüffung über die unkonventionelle Hängung weicht im Lauf des
Rundgangs heller Freude. Denn nicht nur wirken wohlbekannte Arbeiten ganz
neu und frisch, während man umgekehrt vielen unbekannten Arbeiten sofort
Klassikerstatus zubilligen möchte. Es wird auch klar, warum
Ausstellungsbesuche unabdingbar und die zurzeit überhandnehmenden
Vorabberichte und -interviews einfach eine Schande für die Kunstkritik
sind. Denn es gibt nur wenige Ausstellungen, in denen sich der Kurator
seinen eigenen Reim auf die Sache macht und die Kuratorin sich um gängige
Wertungen nicht schert, um Wertungen, die sie ungeniert und unvorhersehbar
über den Haufen wirft.
Von Eva Hesse zum Beispiel hätte man in "Wack!" nicht nur das ikonische
"Hang up" (1966) erwartet. Enigmatisch thematisiert der große umwickelte,
aber leere Rahmen, dem wie ein erstarrtes Lasso ein gewaltiger Draht
entwächst, um an anderer Stelle wieder im Rahmen zu verschwinden, ein
weiteres Mal die plastische Problemstellung von Ding und Auswuchs, die
Hesse so auffällig faszinierte. Man könnte den Grund für Hesses
bescheidenen Auftritt in ihrer Distanz zur feministischen Kunst vermuten.
Aber gälte nicht Gleiches für Alice Neel, die große Außenseiterin des
Kunstbetriebs, der Butler eine prominente, mit drei großformatigen Gemälden
bestückte Wand gab? Obwohl sich Alice Neel, 1900 geboren, auf das marginale
Genre des Porträts konzentrierte, zählt sie fraglos zu den bedeutenden
Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihrer zeitgeistgesättigten Brillanz
kann vielleicht gerade noch David Hockney das Wasser reichen. 70-jährig
begann sie das feministische Engagement ihrer jungen Kolleginnen zu teilen
und verdankt so ihren späten Ruhm der Pop-Art und dem feministischen
Kunstdiskurs. In dieser Ära war Neels politisierter, den Zeitläufen
verpflichteter malerischer Ansatz plötzlich wieder anschlussfähig. Daher
kommt Linda Nochlin erneut ins Spiel; wie sie Alice Neel 1973 auf einem
altmodischen Sofa Porträt saß, neben sich Tochter Daisy.
In seinem Motiv vertritt das Porträt das Zusammenkommen von Kunst und
Feminismus, den es in seiner Darstellungsform negiert - bekanntlich drückte
sich die feministische Revolution in der Kunst radikal anders aus. Mit ganz
und gar unakademischen, oft neuen Formaten wie Performance, Aktion, Plakat,
Fotografie, Fotomontage, Video und Installation eroberten Künstlerinnen
erfolgreich den Kunstbetrieb, wobei sie allerdings weniger sich selbst als
ihre Mittel durchsetzten. Schließlich ist heute nichts so abgesichert und
akademisch wie Video oder Fotografie. "Wack!" überrascht also auch, weil
man die ausgestellten Video-, Foto- und Installationsarbeiten noch immer
als frisch und provokant erlebt. Noch immer ist die Aufsässigkeit von Sanja
Ivekovic, Joan Jonas, Hannah Wilke oder Mierle Laderman Ukeles, um nur vier
von 120 Künstlerinnen zu nennen, spürbar - als Folge des Gebrauchs der
eigenen Vernunft. Die Frauen waren wirklich revolutionär gestimmt, nicht
länger artig, sondern großartig.
Mehr als die Museen scheint dies inzwischen der Kunstmarkt wertzuschätzen.
Nach Mierle Laderman Ukeles, deren verspiegelter Truck der New Yorker
Müllabfuhr auf der letztjährigen Armory Show für Furore sorgte, widmete die
Galerie Ronald Feldman Fine Arts jetzt der "Wack!"-Künstlerin Eleanor Antin
eine Soloschau. In einem schwarzweißen Stummfilm (350.000 Dollar) und einer
ausladenden Theaterinstallation (600.000 Dollar) inszenierte sie auf der
Kunstmesse ihr berühmtes Alter Ego, die Primaballerina Eleanora Antinova.
Heute kann sich also auch eine feministische Konzeptkünstlerin wie Antin
rühmen, für weniger als 10.000 Dollar am Tag nicht aufzustehen. Man darf
das als Zeichen werten. Es gibt große Künstlerinnen.
21 May 2008
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Künstler
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