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# taz.de -- Krieg im Kongo: Schulbeginn an der Frontlinie
> Im Kongo beginnt das neue Schuljahr. Auch im Kriegsgebiet, wo manche
> Schulen geplündert wurden und andere jetzt voller Flüchtlinge sind.
Bild: Die Kinder in Kibumba wollen wieder zur Schule gehen.
OSTKONGO taz | Jackson Semagori trägt schon seine Schuluniform: blaue Hosen
und weißes Hemd. Der 15-Jährige sitzt im Innenhof seiner Schule auf einem
Stein und blättert durch sein Mathematikheft. Um ihn herum spielen jüngere
Kinder. Sie alle sind heute gekommen, um sich für das nächste Schuljahr
anzumelden. „Ich hoffe, dass der Unterricht nächste Woche wieder anfängt –
wenn es die Sicherheit erlaubt“, nuschelt Jackson schüchtern.
Jacksons Schule steht hoch oben auf einem Hügel im Dorf Kibumba, in der
Provinz Nord-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Soldaten
stapfen in Gummistiefeln durch die staubigen Straßen. Jenseits von Kibumba,
auf dem nächsten Hügel, haben Rebellen Stellung bezogen. Kibumba liegt
direkt an der Frontlinie zwischen den Regierungstruppen und der
Rebellenarmee M23 (Bewegung des 23. März), die von desertierten
Tutsi-Offizieren geführt wird. Seit vier Wochen herrscht zwar Waffenruhe.
Doch jeden Tag können die Kämpfe wieder ausbrechen.
Als Schuldirektor Innocent Ruhima den Schulhof betritt, grüßt er Jackson
und die anderen Schüler mit einem Lächeln: „Schön, dass ihr zurückgekommen
seid“, sagt er.
## Traumatisierte Kinder
Bis vor wenigen Tagen lebten diese Menschen in einem Flüchtlingslager nahe
der Provinzhauptstadt Goma, 30 Kilometer südlich. Auch Direktor Ruhima war
bei Ausbruch der Kämpfe Mitte Juli geflohen, erzählt er. Jetzt sei er
zurück, um die Schule zu eröffnen, denn immerhin seien einige seiner
Schüler auch wieder da. „Für die Kinder ist es wichtig, dass sie wieder
beschäftigt werden“, sagt er. „Der Krieg und die Flucht haben viele
traumatisiert.“
Ab nächsten Montag soll hier also wieder normaler Schulalltag herrschen.
Das wird nicht einfach. Normalerweise zahlen die Eltern für jedes Kind 10
US-Dollar Schulgebühren pro Trimester, dazu 7 Dollar Unterhaltskosten.
Normalerweise bekommen die Lehrer vom Staat 60 US-Dollar Gehalt pro Monat.
Aber in der Schule von Kibumba ist nichts normal. Die Türen zu den
Klassenräumen hängen schräg in den Angeln. Sie wurden aufgebrochen. Ruhima
blickt sich um und seufzt. „Sie haben alles mitgenommen, die Tische, die
Stühle, sogar die Tafel“, schüttelt er den Kopf. „Wie sollen wir so die
Kinder unterrichten?“
Knapp 30 Kilometer südlich von Kibumba liegt am Stadtrand von Goma das Dorf
Kibati, direkt unterhalb des aktiven Vulkans Nyiragongo. Zwischen
Marktplatz und Grundschule stehen tausende Flüchtlingszelte auf kantigen
Lavasteinen. Frauen kochen auf Lagerfeuern die wenigen Nahrungsmittel, die
sie irgendwie beschaffen können. Kinder in zerrissenen schmutzigen T-Shirts
spielen barfuß im grauschwarzen Lavastaub. Babys weinen, Großmütter hocken
erschöpft zwischen den wenigen Habseligkeiten, die die Vertriebenen bei der
Flucht aus ihren Heimatdörfern mitnehmen konnten. Nur alle zehn Tage
schafft das UN-Welternährungsprogramm WFP Lebensmittel herbei, die dann nur
für ein paar Tage ausreichen.
Mami Nirere kniet über ihrem Kochtopf. Die 25-jährige Mutter von fünf
Kindern rührt einen Maisbrei mit viel Wasser an, fast so dünn wie Suppe.
Ihre Kinder zanken um einen Maiskolben. Nirere weist sie zurecht. „Sie
haben Hunger und sind gelangweilt, deswegen sind sie so grantig“, klagt
sie. Nirere floh mit ihren Kindern vor zwei Monaten aus der
Bezirkshauptstadt Rutshuru 70 Kilometer nördlich, nachdem die M23-Rebellen
einrückten. Ihr Mann sei zwangsrekrutiert worden, berichtet sie. Sie habe
nie mehr von ihm gehört. Zurück will sie nicht. „Auch wenn das Schuljahr
jetzt anfängt, bleiben wir lieber hier – ich habe derzeit sowieso kein Geld
für die Schulgebühren“, sagt sie leise und zeigt in Richtung der
Grundschule von Kibati: „Vielleicht können meine Jungen ja hier in die
Schule gehen.“
## Überfüllte Schulen
Das Flüchtlingslager von Kibati beherbergt mittlerweile über 50.000
Menschen. Auch in der hölzernen Grundschule nebenan haben sich die
Vertriebenen eingenistet: Hunderte Männer, Frauen, Kinder und Alte schlafen
dicht gedrängt in den Klassenzimmern auf Bastmatten oder auf dem blanken
Boden. Schuldirektor Aimable Maombi hetzt im Schulhof umher und versucht
Ordnung zu schaffen. Am Telefon verhandelt er mit dem
UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und dem UN-Kinderhilfswerk (Unicef): „Wir
brauchen dringend mehr Zelte, damit die Leute die Klassenzimmer räumen“,
sagt er, etwas verzweifelt.
Rund 300 Schüler hatte Maombi im vergangenen Schuljahr. Jetzt erwartet er
einen Ansturm. Die französische Nichtregierungsorganisation Solidarité
hatte Ende Juli im Flüchtlingslager von Kibati alle Kinder unter 18 Jahren
registriert: rund 30.000. „So viele können wir niemals unterrichten“,
schüttelt Direktor Maombi den Kopf und versucht erneut Nord-Kivus
Bildungsministerin Adèle Basisane anzurufen. Sie geht nicht ans Telefon.
Maombi flucht: „Seit Tagen versuche ich sie zu erreichen, und sie geht nie
ran“, sagt er.
Basisanes Gegenstück auf Rebellenseite sitzt 120 Kilometer weiter nördlich
in der Handelsstadt Bunagana an der ugandischen Grenze, wo die M23 ihre
provisorische „Regierung“ eingerichtet hat. Ali Musagara ist der
frischgebackene M23-„Minister“ für Jugend, Sport und Bildung. Der gewaltige
Mann sitzt mit sechs Telefonen in einem Restaurant und trinkt Limonade.
Stolz überreicht er seine frisch gedruckte Visitenkarte mit M23-Logo. Eine
Webseite für die M23-Jugend ist schon eingerichtet, eine Facebookseite
ebenfalls. Musagara führt das alles auf seinem Smartphone vor. „Die junge
Generation ist für unsere Bewegung sehr wichtig,“ sagt er.
Bunagana war Anfang Juli die erste Stadt, die die M23-Rebellen einnahmen,
als sie begannen, im Ostkongo vorzurücken. Die meisten Bewohner flohen
damals über die nahe Grenze nach Uganda. Inzwischen sind die meisten
zurück. Die M23 rechnet damit, dass 80 Prozent der Schulkinder nächste
Woche wieder zum Unterricht kommen. Minister Musagara sagt, er werde alles
tun, damit das Schuljahr im M23-Gebiet pünktlich beginnt. „Wir erheben
jetzt Steuern und werden von diesen auch die Lehrer und Schuldirektoren
bezahlen.“
## Verwüstete Klassenzimmer
Es wird noch viel anderes zu tun geben. In einem Klassenzimmer der
Grundschule wühlen sich einige Jungen durch zurückgelassene
Armeeausrüstung: Kondompackungen, Uniformen, Helme, Kochgeschirr. Ein paar
leere Patronenhülsen liegen im Sand. Bevor die Soldaten der Regierungsarmee
aus Bunagana flohen, hatten sie sich in der Grundschule einquartiert. Zwei
Klassenzimmer dienten als Waffendepot: Mörser, Granaten, Munitionsgürtel,
Raketenwerfer, Maschinenpistolen – alles lag kreuz und quer herum, als die
taz einen Tag nach der Eroberung Bunaganas durch die Rebellen die
Grundschule besuchte.
Inzwischen haben die M23-Kämpfer die Waffen und Munitionskisten weggeräumt.
Holzbänke und Tische sind in einer Ecke gestapelt. Vizedirektor Innocent
Sebarimba kommt angelaufen. Unter dem Arm trägt er blaues Papier: die
Zeugnisse, die er aufgrund des Krieges zum Ende des Schuljahres 2011/12
nicht aushändigen konnte. Immerhin, Ende Juni hatten die Rebellen eine
einwöchige Feuerpause ausgerufen, damit die Schüler ihre Abschlussprüfungen
ablegen konnten. „Das hat dazu geführt, dass die Kinder ihr Schuljahr
ordentlich beenden konnten“, sagt Sebarimba.
Für das neue Schuljahr ist der Vizedirektor zuversichtlich. Sein
Hauptproblem sei die Bezahlung: „Wir sind ja eine staatliche Schule, aber
wir wissen nicht, ob der Staat weiter unsere Gehälter bezahlt“, sagt er.
„Wir befinden uns ja im Rebellengebiet.“ Zur M23 hat er noch keinen Kontakt
aufgenommen.
3 Sep 2012
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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