# taz.de -- Konzertempfehlung für Berlin: Nicht allzu heavy Entertainment | |
> Für die neue Reihe „Music For Hotel Bars“ haben sechs Komponist*innen aus | |
> dem Bereich Neue Musik und Avantgarde Werke für sechs Abende komponiert | |
Bild: Westin Grand Hotel Berlin | |
Man hört: sanfte Klaviertöne, ein Glockenspiel, scheinbar willkürliche | |
Tonfolgen. Meditatives Plätschern. Man sieht: eine Hotelbar, im Hintergrund | |
die funkelnden Lichter der Großstadt, die Tokio ist. Scarlett Johansson und | |
Bill Murray – alias Charlotte und Bob – sitzen an der Bar. | |
Schummriges Licht, Whisky und Wodka Tonic. Sie sprechen über Bobs | |
Midlife-Crisis. „Did you buy a Porsche yet?“, fragt Charlotte. Wie in einer | |
Zeitschleife gefangen hocken sie im Park Hyatt, dazu erklingt das | |
unaufhörliche Hintergrundgemurmel des Pianos wie Wellnessmusik in der | |
Wartehalle. | |
Die Szene ist aus „Lost in Translation“, klar. Es ist eine der | |
berühmtesten Barszenen der jüngeren Filmgeschichte. Und die Filmmusik, die | |
Regisseurin Sofia Coppola für diese Sequenz verwendet hat, ist alles | |
andere als zufällig ausgewählt: Sie trägt typische Charakteristika der | |
Barpiano-Musik. Ineinanderfließende Klänge, bevorzugt vom Klavier oder | |
auch von Metallophonen erzeugt, aneinandergereihte Arpeggios, die sich | |
unauffällig verhalten und nicht stören. So klingt sie, die „Music for | |
Hotel Bars“. | |
„Music for Hotel Bars“, so heißt nun auch eine neue Konzertreihe, die sich | |
dieser Musik widmet, und das scheint angesichts der Eigenheiten dieser | |
Musik und dieses Ortes mehr als überfällig. An sechs Abenden bis Ende | |
Februar 2019 schreiben und/oder improvisieren Musiker*innen, die aus den | |
Bereichen der Neuen Musik und der Avantgarde kommen, Stücke für sechs | |
Barabende. | |
Die Hotels, die dabei sind, sind echte Hochkaräter, unter anderem das | |
Ritz-Carlton und das Waldorf Astoria. Den Auftakt macht das Westin Grand in | |
der Friedrichstraße am kommenden Dienstag. Der amerikanische Komponist Mark | |
Barden wird dann mit dem Solistenensemble Kaleidoskop ab 19 Uhr ein | |
Soundscape passend zum Interieur der einstigen DDR-Topadresse basteln. | |
Die Idee zu der neuen Reihe kam Kurator Bastian Zimmermann, als er noch in | |
Frankfurt am Main lebte, wo er Musikwissenschaft und Philosophie studierte. | |
„In Frankfurt ist es etwas gängiger, dass man abends auch mal in Hotelbars | |
ausgeht“, sagt er im Interview, „und mir fiel auf, dass da oft wahnsinnig | |
tolle Musiker sitzen, die richtig tief in das hineingehen, was sie da vor | |
sich hin dudeln.“ | |
Zimmermann, der seit zweieinhalb Jahren in Berlin lebt und an der | |
Universität der Künste promoviert, fand an der Spree das richtige Umfeld, | |
um eine solche Reihe umzusetzen – und will sich mit seiner Reihe dieser | |
Musik affirmativ nähern, wie er sagt. „Den Bereich der funktionalen Musik | |
fand ich schon immer spannend“, erklärt er, „und in anderen künstlerischen | |
Bereichen wird so etwas wie ein ‚Service-Aspekt‘ viel mehr mitgedacht. In | |
der Avantgardemusik sind solche Dinge ja eher tabu.“ Auch das habe ihn an | |
dem Format gereizt. | |
Ein Format, das gar nicht so einfach ist, denn nun kommen schließlich | |
Menschen wegen der Musik zu ihren Veranstaltungen, die doch eigentlich | |
möglichst beiläufig klingen soll. Das sei das Hauptparadox, mit dem man | |
umgehen müsse, so Zimmermann, es sei wie eine Theatersituation, der man | |
bewusst begegne. Der Hotelbetrieb soll an den Konzertabenden ganz normal | |
weiterlaufen. | |
Einen Vorgeschmack, wie schwer es sein kann, den ungewöhnlichen Ort zu | |
bespielen, bekam das Kuratorenteam auch schon: Während der Vorbereitungen | |
begegneten sie in den Hotels unter anderem Udo Lindenberg, dem türkischen | |
Ministerpräsidenten samt Entourage und der brasilianischen | |
Fußballnationalmannschaft. | |
Dabei ist die Hotelbar an sich ein seltsamer Ort der Gegensätze: Die Gäste | |
sitzen, wenn sie beruflich unterwegs sind, oft unfreiwillig freiwillig in | |
ihr; die Atmosphäre, siehe „Lost in Translation“, ist eigentlich | |
ernüchternd, bedient aber auch latente Sehnsüchte. Das Szenario wirkt immer | |
gleich, dabei hält es doch überraschende, unwahrscheinliche Begegnungen | |
bereit, es scheint ein Raum mit anderen Verhaltenskodizes – siehe Rainer | |
Brüderle und Laura Himmelreich. | |
Auf Hotelbars trifft zu, was Michel Foucault „Heteretopien“ oder | |
„Andersorte“ genannt hat: Sie sie sind „gewissermaßen Orte außerhalb al… | |
Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können“. Welche Rolle der | |
Barmusik in diesem Setting spielt, hat der Schriftsteller Gerhard Köpf | |
perfekt beschrieben: „Der Barpianist ist die Verkörperung von Eleganz und | |
Diskretion, und er ist ein Experte für Seifenblasen und längst zerplatzte | |
Illusionen.“ | |
Die Aufgabe des Musikers ist es, auf Situationen und Stimmungen im Raum | |
einzugehen, entsprechend zu improvisieren. Das Genre der Barmusik, das ist | |
auffällig, kennt man unter vielen verschiedenen Bezeichnungen. Man ist | |
schnell bei Muzak, der Kaufhaus- und Fahrstuhlmusik, benannt nach dem | |
gleichnamigen US-Unternehmen, das eine Kulturindustrie aus der | |
Gebrauchsmusik machte. | |
„Barpiano“ wird oft als eigenes Genre geführt, es gibt weitere | |
Stilbezeichnungen wie Loungemusik oder Ambient. Oft wird aber der ganze | |
Bereich unter dem Etikett Hintergrundmusik geführt, was zu abschätzig | |
klingt, wenn man die Funktion bedenkt, die die Musik hat: es geht um | |
Entspannung, Wohlfühlen. | |
Eines aber trifft der Begriff „Hintergrund“: die Tatsache, dass die Musiker | |
sich zurücknehmen, hinter die Musik treten. Der künstlerische Leiter | |
Bastian Zimmermann findet die Haltung des Künstlers entscheidend für das | |
Format – und er glaubt, dass die Musiker sich ihrer während der „Music for | |
Hotel Bars“-Serie annehmen müssen. | |
„Es gibt eine an Musikhochschulen antrainierte Haltung, die fast nicht | |
wegzukriegen ist aus den Musikerinnen und Musikern: die des professionellen | |
Musikers, der performen muss. Nun stehen sie mal nicht im Fokus, sodass sie | |
eine andere Haltung einnehmen können. Sie können eigentlich entspannt in | |
die Situation hineingehen.“ | |
Und der Besucher, der kann ohnehin entspannt in die Situation gehen – | |
wobei: Muss man nicht Sorge haben, dass man arm wird, wenn man in den | |
kostspieligen Etablissements ein paar Getränke zu sich nimmt? | |
Auch darüber haben die Kuratoren sich Gedanken gemacht und lassen für jeden | |
der Abende einen „Signature Drink“ kreieren, der mit 7 bis 9 Euro für etwa | |
die Hälfte des üblichen Preises zu erstehen sein wird. Am ersten Abend gibt | |
es Wodka mit Hibiskustee und weiteren Zutaten. Arbeitstitel: „Heavy | |
Entertainment“. Die Musik dazu, so viel darf man mutmaßen, wird ganz so | |
heavy nicht sein. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
14 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
Jazz | |
Neue Musik | |
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