# taz.de -- Kino-Film "Goethe!": Alles, alles wird erklärt | |
> Den Sturm und Drang im Herzen: Philipp Stölzls FIlm "Goethe!" hat einen | |
> guten Ansatz, aber seine Schauspieler und dramaturgischen Ideen nicht | |
> recht im Griff. | |
Bild: Goethe darf reiten, Sprüche machen, fluchen, Sex haben, gut aussehen - u… | |
Ganz verliebt in den jungen Goethe ist dieser Film, oder vielleicht sollte | |
man gleich sagen: Er ist total verknallt. Goethe darf reiten, Sprüche | |
machen, fluchen, Sex haben, gut aussehen - und immer hat die Kamera, wenn | |
sie den Schauspieler Alexander Fehling als Goethe ins Bild setzt, dabei | |
etwas Schwelgendes. | |
Es ist das Jahr 1772. Goethe ist beim Examen durchgefallen und wird vom | |
Vater zur Strafe beim Gericht in Wetzlar untergebracht. In den | |
Literaturgeschichten steht, dass das damals die Zeit war, als die | |
Individualität erfunden wurde. Und so zeigt der Film das spätere | |
Originalgenie als postpubertierenden jungen Mann: den Sturm und Drang im | |
Herzen, aber hineingesetzt in eine für den eigenen Selbstentwurf zu kleine | |
Welt. Das ist zunächst ein sympathisches Setting. Außerdem ist man sowieso | |
erst einmal froh, wenn unsere Klassiker mal nicht als Wertegaranten | |
wiederentdeckt werden. | |
Noch etwas ist gut an diesem Film: der Matsch. Regisseur Philipp Stölzl hat | |
keinen cleanen Kostümfilm abgeliefert. Bis an die Knie versinken die | |
Figuren im Matsch, wenn sie über die Straße gehen. An den Häusern blättert | |
die Farbe ab. Wie ärmlich das Leben war, macht der Film auch klar. Goethe | |
wird sich ja in Lotte Buff verlieben, das Vorbild für seine Lotte in den | |
"Leiden des jungen Werthers". Dass die aber über Sitten und guten Anstand | |
hinaus Grund hatte, bei ihrem Verlobten zu bleiben, kann man in dem Film | |
gut sehen. Dass es Brot in der Küche gibt, ist keine | |
Selbstverständlichkeit. Es ging schlicht um Lottes Versorgung und um die | |
ihrer jüngeren Geschwister. | |
Es hätte also alles gut werden können mit "Goethe!". Nur lässt der Film - | |
allein schon dieses aufdringliche Ausrufezeichen im Titel! - auch kaum eine | |
Falle aus, die für eine deutsche Kinoproduktion derzeit bereitliegen. Und | |
das sind viele. | |
Da wäre die Musikfalle: viel zu dick aufgetragen. Die | |
Überdeutlichkeitsfalle: alles, alles wird erklärt. Die Naturkindfalle: | |
Lotte (Miriam Stein) wirkt hier mit offener Wallemähne und frischem Blick | |
wie eine aus allen Moden und Konventionen herausgefallene junge Frau; als | |
ob Verlieben nicht auch eine Kultivierung von Verführung wäre. Und die | |
Schauspielerfalle: Natürlich gibt es, wie üblich bei deutschen | |
Produktionen, wieder viele überpointierte Gastauftritte bekannter Theater- | |
und Fernsehschauspieler. Josef Ostendorf, Hans Michael Rehberg, Axel | |
Milberg, selbst Henry Hübchen als Goethes Vater - einzig Burghart Klaußner | |
als Lottes Vater wirkt glaubhaft. | |
Das große Verhängnis ist aber Moritz Bleibtreu als Goethes Gegenspieler und | |
Lottes Verlobter. Am Anfang legt Bleibtreu ihn zu verkniffen an, in der | |
Mitte zu redlich und am Schluss zu tragisch. Abnehmen tut man ihm keine | |
Gefühlsregung. Philipp Stölzl mag ein Gespür für Schauplätze haben. Seine | |
Schauspieler aber hat er zu wenig im Griff. | |
Zwei schlechte dramaturgische Entscheidungen lassen den Film dann vollends | |
kippen. Zum einen wird Literatur eins zu eins aus dem Leben erklärt. Viele | |
Szenen sind eine Art Preisraten für den Bildungsbürger im Zuschauer: Welche | |
Anspielungen an welche Goethe-Werke erkennt man? | |
Zum anderen werden Gefühle totplakatiert. Das lässt "Goethe!" am Schluss | |
zur Schmonzette werden. Im Film schreibt sich Goethe seinen "Werther" nach | |
einem Duell mit Albert im Gefängnis von der Seele. Das Problem daran ist | |
keineswegs, dass das anders ist als beim historischen Goethe. Sondern dass | |
es operettenhaft wirkt. Spätestens hier lohnt ein Blick in die | |
Realgeschichte. Tatsächlich schrieb Goethe seinen Werther nämlich erst, | |
nachdem er bereits in die nächste Frau unglücklich verliebt gewesen war; | |
sein Albert ist eher nach dem Modell des Ehemanns dieser nächsten Liebe, | |
Maximiliane hieß sie, gestaltet. | |
Schreiben ist ein komplizierter Prozess, von dem dieser Film nichts weiß. | |
Das ist das Hauptproblem. Ein Film über Goethe, der nicht einen Einblick in | |
die reale Giftstube des Schreibens wirft, ist viel zu unbedarft. Wie | |
schade. Denn es wäre doch - Öffentlich-Rechtliche aufgepasst! - an der | |
Zeit, über das Leben dieses Klassikers zum Beispiel eine Fernsehserie zu | |
drehen, die an die Standards US-amerikanischer Serien zumindest herankommt. | |
## "Goethe!". Regie: Philipp Stölzl. Mit Alexander Fehling, Miriam Stein, | |
Moritz Bleibtreu u. a. Deutschland 2010, 99 Min. | |
12 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
Dirk Knipphals | |
## TAGS | |
Oper | |
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