# taz.de -- Karriere nach der Karriere: Bananen statt Bananenflanken | |
> Der einstige Bundesligatrainer Holger Stanislawski leitet einen Hamburger | |
> Supermarkt. Ein vergleichbarer Job, findet der 45-Jährige. | |
Bild: Holger Stanislawski ist flexibel. Er kann sich auch eine Rückkehr auf di… | |
Zumindest die Maße seines neuen Arbeitsbereichs sind ihm bereits ganz gut | |
vertraut. Holger Stanislawski sitzt in einem Büroraum am Rande einer großen | |
Halle mit gewölbtem Dach, und er überschlägt grob: „Das sind über 6.000 | |
Quadratmeter Verkaufsfläche, das ist fast ’n Fußballfeld, was wir hier | |
haben“, sagt er. In hellgrauem Kapuzenpulli an dem kleinen Konferenztisch | |
sitzend, lehnt er sich zurück und verschränkt die Arme. | |
Der fast fußballfeldgroße Raum, von dem Stanislawski spricht, gehört zu | |
einer Filiale des Supermarkts Rewe im Hamburger Stadtteil Winterhude. Seit | |
Ende Juni hat der frühere Abwehrspieler des FC St. Pauli hier eine neue | |
Wirkungsstätte gefunden – als Mitinhaber einer Filiale. Auf seinem Kärtchen | |
steht seine derzeitige Berufsbezeichnung: | |
„Partnerkaufmann/Geschäftsführender Gesellschafter“. | |
Diese neue Karriere kam deshalb überraschend, weil die angestammte | |
Berufsbezeichnung des 45-Jährigen zuletzt „Fußballlehrer“ war, wobei man | |
hinzufügen sollte, dass Stanislawski nicht irgendein Fußballlehrer war, | |
sondern die nicht gänzlich unbedeutenden Klubs aus Hoffenheim und Köln | |
trainierte. | |
## Ein einzigartiger Markt | |
Mit der neuen Funktion ist aber nicht etwa eine neue Bescheidenheit | |
angebrochen: „Das wird schon weltweit einzigartig sein, was wir hier | |
machen“, sagt er zu den Plänen, die er mit dem Markt hat. Das | |
Einkaufszentrum ist in einem Hinterhof angesiedelt, das Gebäude ist ein | |
ehemaliges Straßenbahndepot. Der Exkicker und seine Mitstreiter bauen den | |
Markt gerade um. | |
Dies ist eine ungewöhnliche Aufgabe für den Mann, der die 90er und nuller | |
Jahre beim FC St. Pauli entscheidend prägte, zunächst als mäßig eleganter, | |
dafür umso leidenschaftlicherer Spieler, dann als Trainer im Duo mit André | |
Trulsen, den alle nur „Trulla“ riefen, wie er selbst eben auch „der Stani… | |
war. | |
Und wenn man Stanislawski nun so sieht, in heller Jeans und Sneakers durch | |
seinen Laden in spe schreitend, scheint er sich schon ganz heimisch zu | |
fühlen. Eine Mitarbeiterin stellt am Informationstresen einen Vertreter der | |
Firma Homann vor, er sagt höflich: „Stanislawski, hallo.“ Vor einem Bauzaun | |
mit einer Plane davor steht ein Schild: „Wir bauen für Sie“. Im Markt piept | |
ständig irgendwas, Regale werden ausgeräumt, Mitarbeiter fahren Waren mit | |
dem Hubwagen von A nach B. | |
## Eine willkommene Auszeit | |
Nicht wenige hielten es wohl für einen Scherz, dass sich Stanislawski, der | |
einst einer der begehrtesten Fußballtrainer des Landes war, nun vorerst um | |
Bananen statt um Bananenflanken sorgt. Er selbst sagt: „Ich habe mich immer | |
auch schon gerne mit anderen Dingen beschäftigt. Und einkaufen gegangen bin | |
ich auch immer gerne.“ | |
Dass Stanislawski nun in diesem Hamburger Supermarkt arbeitet, ist in der | |
Tat weniger erstaunlich, als es zunächst erscheint. Nach seinen letzten | |
Trainerstationen nervten ihn all die „Wichtigtuer“ in der Branche: „Es gi… | |
immer welche, die gerne ’n bisschen höher an den Baum pinkeln wollen als | |
andere, und das ist gefährlich.“ Stanislawski, der Typ mit der Glatze, dem | |
durchdringenden Blick und den charakteristischen Stirnfalten, sagt das mit | |
diesem leicht verschmitzten Lächeln. | |
Vor etwa eineinhalb Jahren brauchte er deshalb eine Auszeit vom | |
Trainerdasein. Im Mai 2013 endete Stanislawskis letzter Trainerjob in Köln | |
mit seinem Rücktritt. Mit Hoffenheim und dem 1. FC Köln hatte er gerade | |
zwei extreme Trainerstandorte hinter sich: „Dabei habe ich ganz tolle | |
Sachen gelernt und ganz negative Dinge, aus denen man umso mehr zieht“, | |
sagt er. In Hoffenheim waren dies die Funktionäre, in Köln die Medien. | |
## Selbst gemachte Rouladen | |
Fürs Nichtstun aber war Stanislawski nicht der Typ. Die Idee kam ihm dann | |
gemeinsam mit Bernd Enge, der einst Amateurtrainer von Stanislawski bei | |
Victoria Hamburg, inzwischen aber lange im Einzelhandel tätig war. „Wir | |
saßen bei ’nem Kaffee zusammen und quatschten“, erzählt er, „und wir ha… | |
gedacht, wir müssten in Hamburg irgendwas zusammen machen.“ Man habe | |
rumgealbert, und irgendwann sei eben dieser Markt im Gespräch gewesen. | |
Stanislawski übernahm mit Enge und dem Exspieler Alexander Laas – „beides | |
HSVer“ – den Laden. | |
Nun, einige Monate später, hat er seine Einarbeitungsphase fast bewältigt. | |
Ende Oktober soll der Markt eröffnet werden. Gerade bekommt der ehemalige | |
Coach – nun wieder am Konferenztisch sitzend – eine große gerahmte | |
Landkarte von Norddeutschland geliefert, in die er die Schweinemasthöfe | |
eintragen will, die das Fleisch liefern. „Ganz sensibles Thema“, sagt er. | |
„Alles, was mit Tierwohl und Tiertransport zu tun hat, da werden wir | |
versuchen, ein bisschen was auf die Beine zu stellen.“ | |
Aber der Ladenchef will auch auf andere Weise die Einzigartigkeit seiner | |
Filiale unterstreichen: „Es wird ’ne Ruhezone im Markt für ältere Menschen | |
geben, die sich mal hinsetzen wollen, mal ’n Käffchen trinken wollen.“ Und | |
dann sei da noch die warme Küche und die Sache mit den Rouladen. „Die | |
braten wir hier selbst, wer hat heute schon noch Zeit, sich in die Küche zu | |
stellen und Rouladen zu machen.“ | |
Die Vermutung liegt nahe, dass Stanislawski mit seinem alten Beruf | |
abgeschlossen hat. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wenn Stanislawski | |
anfängt, über Fußball zu reden, hat man sogar das Gefühl, dass man ihn | |
schon bald wieder an der Seitenlinie sehen wird. „Es besteht für mich immer | |
die Möglichkeit, aus der aktiven Geschäftsführung rauszugehen, weil wir zu | |
dritt sind. Wenn ein spannendes Projekt im Fußball ansteht, dann wäre ich | |
natürlich interessiert. Ich bin genauso drin wie jeder meiner Kollegen | |
auch. Ich habe weiterhin viel Lust auch auf diesen Job.“ Ob als Trainer, | |
als Manager – er könne sich alles vorstellen.“ | |
## Anfragen aus der Bundesliga | |
Zwei konkrete Anfragen habe es in der neuen Saison bereits gegeben. „Die | |
Gespräche gingen nach den ersten beiden Spieltagen schon los“, sagt er. Ob | |
er für einen Verein arbeiten könne, der seinen Coach nach ein, zwei | |
Spieltagen feuere? „Schwierig“, sagt er, „weil man da vieles grundsätzli… | |
hinterfragen muss.“ | |
In einem weiteren Bürokomplex wird gerade das Arbeitszimmer von | |
Stanislawski renoviert. Auf dem Weg dorthin schreitet er durch ein | |
Treppenhaus, dessen Boden abgedeckt ist. „Da kommen die Maler“, sagt er, | |
als ein Mann in weißem Arbeitsanzug durch eine Tür kommt. | |
In Stanislawskis Hamburger Slang hört sich „Maler“ mehr wie „Mola“ an. | |
„Holger Stanislawski“ steht in Rot auf Weiß an der Tür vor dem Büro, das | |
recht provisorisch wirkt. Darin steht nicht viel mehr als ein Schreibtisch | |
mit zwei Computern. | |
## Dienstleister aus Berufung | |
Stanislawski sieht Parallelen zwischen seinem derzeitigen Job und seinem | |
alten: „Vieles ist ähnlich wie in einem Fußballverein: Es geht um | |
Mitarbeiterführung, um Personalplanung, um Aufgabenverteilung, darum, über | |
den Tellerrand hinauszugucken.“ | |
Und auch im Fußball sei es doch nicht anders: „Als Verein bist du ein | |
Dienstleister am Fan und vermarktest die Ware Fußball. Und die Leute | |
bezahlen dafür zum Teil über 200 Euro, die wollen unterhalten werden.“ | |
Dass er selbst gerne wieder dazu beitragen würde, diese Leute zu | |
unterhalten, daraus macht er keinen Hehl. „Es muss nur passen. Die müssen | |
wissen, wie ich ticke, wie ich denke, wie ich arbeite.“ Die Identität eines | |
Klubs sei ihm wichtig, sagt er. „Schlimm ist immer, wenn du grau wirst“, | |
sagt er, „du musst für etwas stehen.“ | |
17 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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