# taz.de -- Interview mit dem Rapper Ezhel: „Im Knast war ich ein Radio“ | |
> Der Rapper Ezhel aus Ankara über die Kreuzberger Ursprünge des türkischen | |
> HipHop und die Renitenz der Kunst. | |
Bild: „Ich mache Kunst nicht, um politisch zu sein, aber da ist Politik in me… | |
taz.gazete: Ezhel, in Ihrem Stück „Şehrimin Tadı“ (Geschmack meiner Stad… | |
rappen Sie: „Die Eiseskälte von Ankara schneidet mir in die Seele.“ Wie | |
steht es um die Eiseskälte in Berlin? | |
Ezhel: Berlin ist noch kälter. Aber es ist ein vergleichbares Gefühl. Ich | |
mag den kalten Wind und auch den Spirit in Berlin. Ankara ist eine Stadt | |
der modernen Republik. In der republikanischen Architektur der Ära spiegelt | |
sich auch Neue Sachlichkeit, der deutsche Baustil der zwanziger und | |
dreißiger Jahre. Berlin ist eine Stadt, die inspiriert. Ich würde sagen, | |
mit einem Bein stehe ich heute in Berlin. | |
Es gibt die These, dass türkischer HipHop seine Wurzeln in Deutschland hat. | |
Was sagen Sie dazu? | |
Das ist korrekt, genau hier in Berlin-Kreuzberg ist er Mitte der Achtziger | |
entstanden. Die Crew Islamic Force hat hier angefangen. Ich trage ein | |
Tattoo ihres Mitbegründers Boe B. | |
Mir fallen auch Künstler wie Cartel und Killa Hakan ein, die HipHop in | |
Deutschland mitgeprägt haben. | |
Ich komme gerade von Hakan. Wir haben uns kennengelernt, als ich das zweite | |
Mal in Berlin war. Ein Held des Kreuzberger Undergrounds und eine wichtige | |
Größe für den türkischen Rap. | |
Wie erklären Sie den Menschen in Deutschland die Szene in Ankara? | |
Auf den Straßen Ankaras war HipHop immer sichtbar. Seit Längerem hat sich | |
die Szene ins Internet verlagert. Früher agierte die Community auf der | |
Straße. Jeder hat sein Brot mit den anderen geteilt. Niemand hatte einen | |
Job, alle haben auf der Straße ums Überleben gekämpft. Die Szene war | |
geprägt von Hilfsbereitschaft. Aber diese Zeiten sind vorbei. Es ist nicht | |
mehr so konkret und solidarisch wie früher. | |
Was hat sich da verändert? | |
Die Umstände in der Türkei, die Umstände in der Welt. Inzwischen tauschen | |
sich die Menschen viel im Internet über Musik aus. Mir kommt es manchmal so | |
vor, als wäre dadurch das Gefühl für Street Credibility verloren gegangen. | |
Dennoch gibt es in Ankara eine lebendige Hip-Hop-Kultur. An der Spitze | |
stehen Mode XL, die haben sich in Ankara gegründet und uns enorm | |
beeinflusst. Ankara nimmt Einfluss auf die türkische Musikszene insgesamt, | |
nicht nur auf HipHop. Es ist eine Stadt, die immer tolle Musiker*innen | |
hervorgebracht hat. | |
Hat Sie traditionelle Musik inspiriert? Mir fällt etwa das Anklagende des | |
Sängers Neşet Ertaş ein, den manche als Leonard Cohen der Türkei | |
bezeichnen. Gibt es da Überschneidungen? | |
Die nomadisch begründete Tradition der Bozlak-Lieder und die | |
Volksliedkultur in Zentralanatolien haben mich auf alle Fälle inspiriert. | |
Zudem gibt es in Ankara eine Tanzlied-Kultur und die Pavyon-Kultur der | |
Nachtlokale. Mich hat auch türkische Folkmusik geprägt. Höfische Poesie und | |
Volksdichtung. Meiner Meinung nach unterscheidet sich HipHop nicht sehr von | |
dem, was die umherziehenden Liedermacher einst gemacht haben. Es gibt | |
Gemeinsamkeiten, was die Texte angeht, die Klage, die Rebellion. HipHop ist | |
ein internationales Phänomen. Aber wenn man seine eigene Kultur kennt und | |
sie mit dem Universellen zusammenbringt, entsteht eine andere Art von | |
Kunst. | |
Das Motiv der Klage ist auch wichtig für das Genre des Arabesk. | |
Der soziokulturelle und sozioökonomische Hintergrund ist vergleichbar. Das | |
Ganze hat natürlich auch einen Klassenaspekt. Aber Arabesk spricht vor | |
allem Emotionen an. Es geht um Kummer, Leid und Schmerz. Das Themenspektrum | |
von HipHop ist größer. Alles kommt darin zur Sprache, aber es speist sich | |
auch aus dieser Quelle. Wenn Menschen leiden, ist die Anklage in der Musik | |
etwas, woran sie sich festhalten können. | |
Sie waren knapp einen Monat im Gefängnis. Was haben Sie gedacht, als Sie | |
vom Vorwurf „Anstiftung zum Drogenkonsum“ erfahren haben? | |
Den fand ich absurd, auch wenn das nicht aus dem heiteren Himmel kam. Mir | |
war schon klar, dass meine Musik für die Gesellschaft ungewohnt ist. Am Tag | |
vor meiner Festnahme waren wir erstmals im Ausland und haben in England | |
Konzerte gespielt. Nach der Rückkehr in die Türkei musste ich ins | |
Gefängnis. Da war nichts zu machen. Okay, habe ich mir gedacht, ich nehm’s, | |
wie’s kommt. | |
Wie haben Sie die Haft ausgehalten? | |
Die Musik hat mir geholfen, mich daran zu gewöhnen. Da war ein älterer | |
Mann, den haben alle „Ali Dayı“ (Onkel Ali) genannt. Er hat zu mir gesagt: | |
Junge, Rap und solchen Kram, das ist hier nicht. Was es denn hier gebe, | |
habe ich ihn daraufhin gefragt. „Wir hören hier Lieder“, war seine Antwort. | |
Als ich dann wissen wollte, ob sie eine Bağlama-Laute haben, hat mir jemand | |
eine gebracht, und ich habe ein bisschen darauf geklimpert. Das gefiel | |
Onkel Ali. Danach hatte ich die Funktion eines Radios. Inzwischen kann ich | |
darüber lachen. Aber im Gefängnis bin ich auf Leute getroffen, die sehr | |
schlimme Sachen erlebt haben. Das hat meine Perspektive verändert. | |
Ging es bei der Anklage wirklich um Drogen? Oder eher um eine repressive | |
Einschüchterung, die sagt: Rebelliere nicht gegen das Leben, genieß es auch | |
nicht. Gib dich der Musik nicht hin, berausche dich nicht? | |
Man könnte die Reaktion des Staates ja irgendwie nachvollziehen, wenn der | |
Vorwurf „Der will die Kids zu Drogen verführen“ so stimmen würde. Aber das | |
tut er nicht. Ich erzähle ja nur, was ich auf der Straße gesehen, was ich | |
erlebt habe. Leider versucht man hier, Dinge zu lösen, indem man sie wie | |
mit einer Schere einfach abschneidet. Es gibt keinen Dialog. Kunst muss | |
frei sein, das liegt in der Natur der Sache. Mit Unterdrückung lässt sich | |
Kunst niemals verhindern. Und die Menschen zeigen sowieso immer eine | |
Reaktion. Niemand kann sie zurückhalten, weder Staatsorgane noch andere | |
Mächte. Wenn Menschen sich vor etwas ekeln, dann hat das Folgen. | |
In „Geceler“ (Nächte) rappen Sie von dem, was auf der Straße passiert. In | |
„Şehrimin Tadı“ (Geschmack meiner Stadt) beleidigen Sie Vorgesetzte. | |
Vielleicht wird das als Aufstand gegen Hierarchie und Disziplin | |
wahrgenommen? | |
Wenn etwas schiefläuft und es schlechte Chefs gibt, muss ich das | |
artikulieren. Die Leute schuften sich kaputt, damit andere verdienen. Sie | |
haben es dadurch schwer im Leben. Klar, es ist im Leben so, dass die einen | |
mehr verdienen als die anderen. Aber es geht um allgemeine Lebensumstände, | |
in denen Menschen ausgebeutet werden. Würde jeder zu seinem Recht kommen, | |
wäre die Welt wunderschön. Weil es nicht so ist, muss ich das zur Sprache | |
bringen. Auch weil ich das selbst erlebt habe. Ich hatte Jobs, da habe ich | |
mich physisch und mental verausgabt, aber quasi nichts verdient. Heute | |
haben viele Leute in der Türkei drei Jobs gleichzeitig, und es reicht | |
trotzdem nicht. Dagegen rebelliere ich. Und HipHop gibt mir die Kraft, das | |
zur Sprache zu bringen, was mich nervt. | |
Im Berlin der Neunziger war türkischer HipHop auch eine Art Aufbegehren. | |
Rassistische Anschläge häuften sich damals. Türkischer HipHop in | |
Deutschland war also politisch. Sind Sie das auch? | |
Darum kommt man nicht herum. Ich mache Kunst nicht, um politisch zu sein, | |
aber Politik ist automatisch in meiner Kunst, ob ich das will oder nicht. | |
Kunst machen, um eine politische Haltung zu präsentieren, kommt mir ab | |
einem gewissen Punkt aber wie eine Show vor. Dann unterscheidet einen | |
nichts von einem Politiker. | |
Kommen Sie nach Berlin, um sich von der Türkei zu erholen? | |
Im Gegenteil. In Berlin sein, heißt für mich noch mehr arbeiten. Wir haben | |
vorhin über Ankara gesprochen. Früher haben wir ständig über die | |
Entbehrungen gejammert. Darüber, dass es kein Geld gab oder dass uns in | |
Ankara eh keiner versteht. Jetzt hat uns der Alltag vor neue | |
Herausforderungen gestellt. Er sagt: Hier hast du alle Möglichkeiten, | |
Bruder, zeig, was du kannst. | |
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe | |
Sercan İpekoğlu, wie Ezhel mit bürgerlichem Namen heißt, ist 28 Jahre alt | |
und in Vororten von Ankara aufgewachsen. Er erhielt ein Stipendium für das | |
private Ted College, schloss aber nicht ab. 2006 begann er Musik zu machen. | |
Mit dem Album „Müptezhel“ (2017), Türkisch für „wertlos“, wurde er a… | |
international bekannt. Sein Genre beschreibt er selbst als | |
AnatolianUrbanCore/Hip-Hop/Reggae-Dub/Trap. Ezhels Beats sind basslastig, | |
seine Lines mal schnell gerappt, mal langgezogen gesungen, immer wieder mit | |
Autotune gepitcht. Vor allem Letzteres erinnert an Cloudrap-Erzeugnisse der | |
letzten Jahre im deutschsprachigen Raum (Yung Hurn, Haiyti, Rin). Ezhel | |
rappt vom Ankaraner Straßenleben und der Underground-Kultur. 2018 | |
verbrachte er knapp einen Monat im Gefängnis. Die Behörden warfen ihm vor, | |
zum Konsum von Drogen anzustiften. Die Anklage wurde fallengelassen. | |
28 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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