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# taz.de -- Interview mit Adil Demirci: „Ich möchte meinen Alltag zurück“
> Der deutsche Sozialarbeiter war zehn Monate in der Türkei inhaftiert.
> Seit Februar ist er frei, darf aber nicht ausreisen. Am Dienstag geht
> sein Prozess weiter.
Bild: „Der Traum, einmal in der Türkei zu leben, ist geplatzt“, sagt Adil …
taz gazete: Herr Demirci, zweieinhalb Monate sind seit Ihrer Freilassung
vergangen. Am Dienstag geht Ihr Prozess weiter. Wie geht es Ihnen?
Adil Demirci: Ich bin sehr froh, [1][nicht mehr im Gefängnis] zu sein. Die
ersten Wochen nach der Freilassung hatte ich viel Besuch von Freunden und
Familienangehörigen in der Türkei. Die Zeit verging damit, das Erlebte zu
verarbeiten. Aber mir geht es jetzt besser. Und ich hoffe, dass beim
anstehenden Prozesstag ein gutes Ergebnis kommt.
Sie wurden beim Verhandlungstag am 14. Februar zwar freigelassen, dürfen
aber die Türkei und sogar Istanbul nicht verlassen. Wie haben Sie seither
die Tage in Istanbul verbracht?
Ich habe die Zeit gebraucht, um alles zu verstehen. Auch um alles
nachzulesen, was über meinen Fall geschrieben wurde. In der Haft habe ich
nicht viel davon mitbekommen.
Konnten Sie Ihre Familie in Deutschland sehen?
Meine Eltern nicht. Der [2][Arzt meiner Mutter hat gesagt, dass sie dafür
die Chemotherapie] für zwei bis drei Wochen unterbrechen müsste. Deshalb
haben wir uns entschieden, auf den kommenden Prozesstag zu warten. Falls
die Ausreisesperre nicht aufgehoben wird, wird meine Mutter mich doch in
der Türkei besuchen kommen.
Wie blicken Sie heute auf die Zeit im Hochsicherheitsgefängnis Silivri
zurück?
Es ist ein komisches Gefühl. Vor allem in den letzten Tage ist wieder eine
Anspannung, eine Nervosität da. Natürlich kommen jetzt Erinnerungen an
Silivri wieder hoch. Ich war dort während des Ausnahmezustands inhaftiert,
das heißt die Haftbedingungen waren in den ersten vier Monaten, also bis
zum Ende des Ausnahmezustands, besonders schwierig. In den ersten zwei
Monaten waren Telefonate nicht erlaubt. Ich durfte keine Briefe auf Deutsch
schreiben, die Briefe auf Deutsch kamen sehr spät an. Einen Tag vor der
Entlassung im Februar habe ich Briefe bekommen, die im Oktober verschickt
wurden. Das war sehr willkürlich. Ich wollte in den ersten Wochen nach der
Freilassung nicht so viel über die Haft nachdenken, aber in den letzten
Tagen vor dem Prozess kommt es wieder hoch: die Isolation, dass auf einmal
das ganze Leben innerhalb dieser vier Wände abläuft. Ich habe in den
letzten Tagen auch oft an die vier Personen gedacht, die im selben Prozess
angeklagt und noch in Haft sind. Ich hoffe, dass sie jetzt freigelassen
werden.
Sind Sie optimistisch, dass die Auflagen aufgehoben werden?
Ich hoffe sehr, dass es klappt. Wir werden zwei Belege einreichen: eine
Bestätigung von meinem Arbeitgeber, dem Internationalen Bund, dass ich dort
als Sozialarbeiter angestellt und als Betriebsrat gewählt bin, und einen
Arztbericht über die Situation meiner Mutter. Ich hoffe, dass sich das
positiv auswirken wird. Aber meine Anwälte sagen, dass es auch sein kann,
dass die Auflagen etappenweise aufgehoben werden. Das heißt, dass zunächst
die Auflage, dass ich Istanbul nicht verlassen darf, aufgehoben wird.
Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Sie der Mitgliedschaft in einer
Terrororganisation. Was sagen Sie dazu?
In der Anklageschrift werden drei Beerdigungen von türkischen Linken
genannt, an denen ich teilgenommen habe. An diesen Veranstaltungen haben
Tausende von Personen teilgenommen. Ich habe weder eine Fahne noch ein
Transparent gehalten. Allein die Teilnahme berechtigt nicht zu einem
Terrorvorwurf. Die Beerdigungen waren vom Gouverneur erlaubt, es gab keinen
Polizeieinsatz vor Ort. Ich bin danach öfter zwischen der Türkei und
Deutschland gereist, es ist nie etwas passiert. Jahre später wurde ich
festgenommen.
Was denken Sie über die Unterstützung aus Deutschland? Lokal und
zivilgesellschaftlich gab es große Solidarität. Ihr Bruder Tamer Demirci,
der die Solidaritätsgruppe organisiert hat, hat aber immer wieder gesagt,
dass die Unterstützung von offizieller Seite größer sein könnte.
Diese Solidarität hat viel Kraft gegeben, um die Zeit im Gefängnis gut zu
überstehen. Es war gut zu wissen, dass ich nicht alleine bin. Auch die
Delegation, die zur Prozessbeobachtung kam, hat mir das gezeigt. Sie wird
auch beim anstehenden Prozesstag da sein, dabei sind unter anderem Anke
Brunn vom Internationalen Bund, der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich und der
deutsche Generalkonsul Michael Reiffenstuel.
Es gab Solidarität, aber Ihr Fall wurde nicht zum Politikum wie jener des
Journalisten Deniz Yücel. Wieso haben sich deutsche Regierungsvertreter in
Ihrem Fall nicht klarer, auch konfrontativer geäußert?
Diese Frage müssen Sie den den Politikern stellen. 2017, als Deniz Yücel
verhaftet wurde, war für die deutsch-türkischen Beziehungen eine
Krisenphase. Es wurde viel über den Fall Yücel berichtet, aber auch über
den Menschenrechtler Peter Steudtner und Meşale Tolu. 2019 laufen die
Beziehungen wieder „gut“.
Wissen Sie, ob es in Ihrem Fall diplomatische Bemühungen von deutscher
Seite gab?
Mitarbeiter des deutschen Konsulats in der Türkei haben mir mitgeteilt,
dass es das gab. Sie haben mich während der Haft einmal im Monat besucht.
Der Generalkonsul war zwei Mal da. Vor allem während des Ausnahmezustandes
war es für mich wichtig, dass sie da waren.
Als jemand, der in der Türkei geboren und in Deutschland aufgewachsen ist:
Wie hat sich das Erlebte auf Ihr Verhältnis zur Türkei ausgewirkt?
2015, mit Ende 20, habe ich mich entschieden, eine Zeitlang in der Türkei
zu leben. Ich wollte dort meinen Doktor machen. Der Friedensprozess
zwischen der türkischen Regierung und kurdischen Vertretern dauerte damals
noch an. Es war ruhig. Es gab gute Bedingungen dafür, diesen Schritt zu
wagen. Ich war dann acht Monate in der Türkei, wollte mein deutsches Diplom
anerkennen lassen. Das hat geklappt. Aber gleichzeitig ging die
Friedensphase zu Ende. Eine Serie von Anschlägen begann. Im Oktober 2015
war ich selbst auf der großen Demonstration in Ankara, bei der 103 Menschen
bei einem Anschlag ihr Leben verloren haben. Einige Monate später habe ich
ich mich entschieden, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Jahre später
wurde ich dann bei einer Türkei-Reise festgenommen. Der Traum, einmal in
der Türkei zu leben, ist geplatzt. Ich kann mir erst mal nicht vorstellen,
in der Türkei zu leben.
Ende März wurde in der Türkei auf Kommunalebene gewählt. Das Ergebnis
deutet darauf hin, dass die AKP an Stärke einbüßt. Sie hat Ankara und
Istanbul an die CHP verloren. Vielleicht entspannt die Lage sich jetzt und
Sie wollen bald doch wieder in der Türkei leben?
Die politische Situation in der Türkei ist weiterhin sehr angespannt. Das
sieht man auch daran, dass die Regierung 17 Tage gebraucht hat, um das
Ergebnis in Istanbul anzuerkennen. So lange hat es gedauert, bis der neue
Bürgermeister seine Urkunde erhalten hat. Aber auch sonst ist die Lage
angespannt: Es läuft ein Verfahren gegen die kemalistische Zeitung Sözcü,
Cumhuriyet-Mitarbeiter haben vor ein paar Tagen ihre Haftstrafe angetreten.
Die Presse- und Meinungsfreiheit ist weiterhin sehr eingeschränkt. Die AKP
hat zwar einen Schlag bekommen, aber in ihrem Bündnis mit der
rechtsextremen MHP hat sie bei den Kommunalwahlen dennoch 51 Prozent der
Stimmen erhalten. Es gibt Kommentatoren, die vom „Anfang vom Ende der AKP“
sprechen. Ich weiß nicht, ob das angemessen ist.
Beim kommenden Prozesstag entscheidet sich möglicherweise, ob Sie nach
Deutschland zurückkehren dürfen. Was vermissen Sie an ihrem Leben in
Deutschland am meisten?
Mein ganzes Leben in Deutschland. Ich wurde von diesem Leben weggerissen,
von meinem Alltag, von meiner Familie und meinen Freunden, von meiner
Arbeit, meinen Klienten. Ich möchte meine Routine, meinen Alltag zurück.
Was sind Ihre Zukunftspläne? Werden Sie ihren Job als Sozialarbeiter wieder
aufnehmen?
Die Arbeit beim Jugendmigrationsdienst des Internationalen Bundes ist für
mich sehr wichtig. Wegen der Syrien-Krise kamen sehr viele junge
Geflüchtete nach Deutschland. Ich wollte meinen Beitrag leisten und mich um
diese Menschen kümmern. Ich mochte meine Arbeit sehr, weil es wichtig ist,
dass man sich mit Menschen in schwierigen Situationen solidarisiert. Jetzt
bin ich selbst in einer schwierigen Lage und ich freue mich über die
Unterstützung. Wenn ich zurück bin, möchte ich selbst wieder unterstützen.
29 Apr 2019
## LINKS
[1] https://gazete.taz.de/article/?article=!5530514
[2] https://gazete.taz.de/article/?article=!5571856
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
Politika
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Prozess
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