# taz.de -- Ingmar Bergmann: Tod des Gottsuchers | |
> Seit 2003 hatte sich der arbeitswütige Regisseur und Autor Ingmar Bergman | |
> aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Am Montag nun ist der Schwede | |
> verstorben. Er wurde 89 Jahre alt. | |
Bild: Ingmar Bergman. | |
Die Jüngeren kennen ihn vor allem als Meister. Als alten Meister. Denn | |
Ingmar Bergman, der am Montag im Alter von 89 Jahren verstorben ist, hatte | |
die für Künstler seltene Gelegenheit, sein Werk abzuschließen. | |
Mit "Sarabande" veröffentlichte er 21 Jahre nach seinem preisgekrönten Film | |
"Fanny und Alexander" von 1982, den er bereits "meinen letzten Film" | |
nannte, tatsächlich seinen letzten Film. Dieser wiederum galt als | |
Fortsetzung von "Szenen einer Ehe" von 1973. Von der Bühne hatte sich der | |
gefeierte Regisseur bereits im Jahr zuvor mit einer | |
"Gespenster"-Inszenierung verabschiedet, wie so viele seiner knapp hundert | |
Theaterarbeiten ein großer Erfolg. | |
Er wolle sich nun, ließ er 2003 die Öffentlichkeit wissen, auf die Insel | |
Fårö zurückziehen, um nur noch zu schreiben. Sein letztes Buch, vor drei | |
Jahren veröffentlicht, dokumentiert in Tagebuchform die Krebserkrankung | |
seiner fünften Frau, Ingrid von Rosen, mit der er von 1971 bis 1995 | |
zusammengelebt hatte. Gebrochen werden diese Notizen von denen der | |
gemeinsamen Tochter Maria, in denen auch die Konflikte mit dem Vater nicht | |
verschwiegen werden. Große Gefühle brechen sich darin Bahn. | |
Entgrenzte Gefühle waren stets Bergmans Thema. In "Das Schweigen" von 1963, | |
dem Film, der ihm - völlig unbeabsichtigt, muss man heute sagen - zu seinem | |
größten Skandal geriet, begehrt die schwerkranke Esther ihre Schwester. Die | |
wiederum gibt sich einem Fremden hin. Reden kann in diesem Film keiner der | |
Darsteller - Sprachbarrieren, aber auch psychische Blockaden verhindern die | |
Kommunikation. | |
Wenig überraschend erregte damals, in den frühen 60ern, die Gemüter, dass | |
es in dem gesamten Film offen um Sexualität geht. In Deutschland wurde "Das | |
Schweigen" sogar zum Gegenstand einer Anfrage im Bundestag. Doch wäre | |
Bergman nicht dieser begnadete Inszenator von Gesichtern und seelischen | |
Abgründen gewesen, hätte der Film seine ungeheure Intensität überhaupt | |
nicht entfalten können, in der Puritaner das Obszöne vermuteten. Die | |
Fragen, die der Film stellte, beantworteten sie nicht, sondern warfen im | |
Gegenteil dem Werk ihren bigotten Moralismus entgegen, der sich um die | |
Kunst und deren Gehalt nicht scherte. So hatte der "Skandal"-Film allein | |
hierzulande elf Millionen Zuschauer - die allerdings sahen nicht den | |
erhofften Porno, sondern ein erschütterndes Drama. | |
In "Licht im Winter" von 1962, den Bergman noch Jahre nach Vollendung für | |
seinen einzigen wirklich gelungenen Film hielt - endlich einmal sah jede | |
Szene genau so aus, wie er es sich gewünscht hatte -, sagt ein Pastor zu | |
einem Lebensmüden: "Wir müssen leben." Auf die Gegenfrage: "Warum müssen | |
wir leben?", weiß der Geistliche allerdings nicht zu antworten. | |
Diese Frage trieb Bergman zeitlebens um - das essenzielle Ergründen des | |
ewigen "Warum", das sich hinter all den Geschlechterkämpfen, Liebesspielen | |
und der Gottsucherei verbirgt. Bergman kam jedoch nie zu den trivialen | |
Antworten, die Religion, Lebenserfahrung oder Ratgeber anbieten; er ließ | |
Fragen besser unbeantwortet, zeigte lediglich den Schmerz, den sie | |
erzeugen. | |
Ingmar Bergmans Filme waren großes europäisches Kino - von Büchern geprägt, | |
von tradierten Stoffen, vom Theater. Seine Erzählweise war nicht | |
aufdringlich selbstreferenziell, nicht von Gags oder Action geprägt, sie | |
war den Geschichten geschuldet, denen er sich auf klassische Weise näherte. | |
So konnten seine Filme, wie er es nannte, "Wirklichkeiten außerhalb der | |
Wirklichkeit" zeigen. Das Licht, in dem Bergman inszenierte, ist dem | |
Stummfilm entlehnt, es macht die Mimik sichtbar. Landschaft, Möbel, Kostüm | |
- nichts ist Dekor, sondern Ausdruck des seelischen Zustands der Figuren. | |
Ein Popcornkino der vielen Anreize konnte und wollte Bergman nicht leisten, | |
seine Budgets waren meist klein, die Anzahl der Mitwirkenden war | |
überschaubar. | |
Die Schauspieler, die Bergman entdeckte und mit denen er gern eine Art | |
Ensemble formte - hier seien nur Liv Ullman, Bibi Anderson und Max von | |
Sydow genannt -, konnten sich in einem vom Bildermacher eng gehaltenen | |
Rahmen entfalten, sie wurden dadurch allerdings zu Höchstleistungen | |
angespornt. Selbst drastische Szenen hatten bei Bergman nichts Anstößiges. | |
Seine Schauspieler verliehen ihren Figuren Leben, mussten sich aber dabei | |
nicht entblößen, selbst wenn sie sich nackt zeigten. Voyeure kamen bei | |
Bergman nicht auf ihre Kosten. | |
Der Schwede war durch die düstere deutsche Kultur geprägt. In München | |
suchte er ab 1976 für einige Jahre Exil, da er in seiner Heimat | |
fälschlicherweise wegen eines Steuervergehens angeklagt war. Zugleich war | |
nicht nur eine seiner ersten größeren Theaterarbeiten - "Macbeth" 1944 im | |
Stadttheater Helsingborg - eine entschieden antifaschistische Inszenierung, | |
auch sonst stand er der deutschen Kultur kritisch gegenüber. In seinem | |
Memoirenbuch "Laterna Magica" von 2003 schrieb er: "Das meiste, was im | |
deutschen Theater auf mich einstürzt, ist nicht totale Freiheit, sondern | |
totale Neurose. Was soll den armen Teufeln denn auch noch einfallen, um das | |
Publikum und vor allem die Kritik dazu zu bringen, auch nur die Augenbraue | |
zu heben? | |
Ein junger Regisseur erhält den Auftrag, Kleists 'Zerbrochenen Krug' zu | |
inszenieren. Er selbst hat das Stück siebenmal in verschiedenen Fassungen | |
gesehen. Er weiß, dass sein Publikum von Kindesbeinen an 21 Versionen | |
gesehen und dass die Kritik sich durch 58 Fassungen durchgegähnt hat. Jetzt | |
kommt es also darauf an, frech zu sein, wenn man sich profilieren will. | |
Freiheit ist das nicht. Inmitten dieses Chaos blühen Theatererlebnisse, | |
geniale Interpretationen und entscheidende, explosive Ausbrüche. Die Leute | |
gehen ins Theater, beklagen sich laut. Oder freuen sich. Oder beklagen und | |
freuen sich. Die Presse ist mit von der Partie. Ununterbrochen detonieren | |
lokale Theaterkrisen, ein Skandal löst den anderen ab, Kritiker schänden | |
und werden geschändet, es ist, kurz gesagt, ein teuflischer Radau. Krisen | |
in Massen, aber kaum eine richtige Krise." | |
Gegen den Radau, gegen die Kriselchen, gegen inhaltsleeres Getue hat | |
Bergman sich stets gewandt. Er, der mitunter zwei Filme pro Jahr drehte, | |
Dutzende Fernseh- und Radiostücke produzierte und dabei immer auch der | |
Bühne treu blieb, der dreimal hintereinander in Cannes einen Preis und | |
mehrmals den Oscar gewann, war ein Workaholic, dem niemand zugetraut hätte, | |
dass er sich eines Tages wirklich aus diesem Geschäft zurückziehen würde. | |
Doch schon mit "Fanny und Alexander" hat Bergman vor 25 Jahren seinen | |
Abschied genommen. In diesem Film stellt er einem kindlichen | |
Geschwisterpaar noch einmal alle Aufgaben, die er in den Jahrzehnten zuvor | |
seinen Figuren gestellt hat. Er zeigt die Brüche in Ehe und Familie, | |
religiösen Wahn, die Flucht in die Fantasie, die Errettung durch Gott. | |
Ernst Ingmar Bergman, 1918 als Sohn eines lutherischen Pfarrers geboren, | |
ist durch die strenge Erziehung seiner Eltern zu Film und Theater gekommen | |
- die Kunst diente ihm als Flucht vor der Realität. Nach Drehschluss seines | |
letzten Filmes im Jahr 2003 sagte Bergman: "Wenn ich in den Himmel komme, | |
erwarte ich dort ein Filmarchiv." Es möge dem gläubigen Gottsucher sein | |
immer schweigender Gott diese Erwartung erfüllen. | |
31 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Jörg Sundermeier | |
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