# taz.de -- Hartz-IV-Zuschuss für Kinder: Würdelose Bittstellerei | |
> Ein Jahr nach dem Start von Ursula von der Leyens Hartz-IV-Paket für | |
> Kinder ist klar: Deren Eltern suchen lieber andere Wege, als um ein paar | |
> Euro Almosen zu betteln. | |
Bild: Wo verdammt bleibt die Dankbarkeit? Zornverfaltet, von der Leyen. | |
Die Ministerin setzte ihr dramatischstes Muttigesicht auf. Ihre blauen | |
Augen blitzten unter der blonden Föhnfrisur, der ganze kleine Körper | |
straffte sich, die Halsschlagader trat leicht hervor. Dann sprach sie es | |
aus: „Die Kinder warten auf das warme Mittagessen!“ | |
Das war vor genau einem Jahr. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen | |
(CDU) warb mit diesem Erpressersatz um die Zustimmung zu ihrem | |
„Hartz-IV-Bildungspaket“. Was für ein Sprachbild! Wartende, womöglich | |
hungernde Kinder, die darauf hoffen müssen, dass Tante Uschi ihre | |
kaltherzigen Politikerkollegen davon überzeugt, wie sehr es sie nach | |
Steckrübensuppe gelüstet! | |
Die Regierung hatte das 642-Millionen-Euro-Programm aufgelegt, weil zuvor | |
das Bundesverfassungsgericht den Hartz-IV-Satz für Kinder als zu niedrig | |
beurteilt hatte. Schwarz-Gelb tat nicht das Naheliegende und zahlte den | |
Eltern mehr Geld aus. Nein, aus einem Misstrauenreflex heraus, der Leute, | |
die es nicht schafften, einen Job zu finden, zugleich verdächtigte, ihr | |
Kindergeld zu versaufen und zu verrauchen, kam man auf die irre Idee, die | |
Sozialversager vom Dienst mit Gutscheinen beglücken zu wollen. Aber wo, | |
verdammt, bleibt bloß deren Dankbarkeit? | |
Seit dem 1. April 2011 können die Eltern von 2,5 Millionen Kindern | |
Zuschüsse bei ihrem Jobcenter beantragen. Die Hartz-IV- oder | |
Sozialgeld-Empfänger zahlen einen Euro dazu, damit der bildungs- und – nach | |
Vorstellung der Bundesregierung – insgesamt hungrige Kleinmensch bekommt, | |
was ihm Mama und Papa vorenthalten. | |
Nachhilfe zum Beispiel. Den Gutschein dafür gibt es aber nur, wenn zuvor | |
die Schule schriftlich bestätigt, dass Dennis oder Ayse | |
versetzungsgefährdet sind, wenn sie also eine Art amtliches Versager-Siegel | |
ausgestellt bekommen. Musikschulstunden oder Vereinsbeiträge werden mit | |
monatlich zehn Euro bezuschusst. In diesem Bereich wird vermutlich immer | |
noch nach Gesangs- oder Klavierlehrern gefahndet, die es für zweifuffzig | |
pro Woche machen. Und zum Schuljahresbeginn spendiert Tante Uschi siebzig | |
Euro für das erste und ganze dreißig für das zweite Halbjahr. | |
## Undankbarer Pöbel | |
Aber das Volk, der Pöbel, zeigt sich undankbar. Von den bereitgestellten | |
642 Millionen Euro ist binnen eines Jahres nur ein Fünftel, nämlich 129 | |
Millionen Euro, ausgegeben worden. Das hat der Deutsche Gewerkschaftsbund | |
ausgerechnet. Offenbar, der Ministerin wird das eine Zornesfalte auf die | |
Stirn treiben, warten die Kinder noch immer auf ihre warme Mahlzeit. | |
Dass geschätzt nur 50.000 Kinder von Mama und Papa per Gutschein zur | |
„Teilhabe“ verholfen wird, mag zum einen daran liegen, dass es von Kommune | |
zu Kommune unterschiedlich kompliziert ist, des Gnadenbrots teilhaftig zu | |
werden. Zum anderen aber fühlt es sich für eine studentische Mutter sicher | |
nur halbgut an, wenn sie Merles Zuschuss zum Schulausflug bei der | |
zuständigen Behörde nicht nur beantragen, sondern auch noch rechtfertigen | |
soll. | |
Da fragt sie lieber mal bei Merles Großeltern nach. Oder es springt der | |
Schulförderverein ein, den es auch wegen der Millionen Merles, Ayse und | |
Dennis gibt in diesem Land. Die nämlich verrechnen nicht kleinkrämerisch | |
die lumpigen zehn Euro für einen Hüttenbau-Ausflug mit den lausigen 374 | |
Euro Arbeitslosengeld II der Mutter. Oder mit den skandalösen 251 Euro für | |
ihr Schulkind. Die helfen einfach, wenn Hilfe gebraucht wird. | |
Mag sein, Ministerin von der Leyen hielt es vor einem Jahr für die bessere | |
Idee, überhaupt Geld lockerzumachen für Kinder, deren Eltern jeden Euro | |
umdrehen müssen. Mag sein, sie wollte nicht, dass diese Teilhabe-Kiste ein | |
Bürokratiemonster wird. Das alles aber ändert nichts an dem würdelosen | |
Geschachere und dem Misstrauen, das Leute in diesem Land ertragen müssen, | |
die es aus irgendeinem Grund nicht hinkriegen, Jobs zu haben und dafür auch | |
anständig bezahlt zu werden. | |
28 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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