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# taz.de -- Hartz IV für Einwanderer aus der EU: „Gleichbehandlung ist Pflic…
> Deutschland will eine EU-Regelung aushebeln und eingewanderten EU-Bürgern
> kein Hartz IV zahlen. Das ist eindeutig illegal, sagt die
> Sozialrechtlerin Dorothee Frings.
Bild: Vor dem Arbeitsamt sollten alle EU-Bürger gleich sein.
taz: Frau Frings, die Bundesregierung will verhindern, dass EU-BürgerInnen,
die zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen, Arbeitslosengeld II, also
Hartz IV, beantragen können. Wird das gelingen?
Dorothee Frings: Nein. Das kann nicht gelingen, denn es verstößt gegen die
EU-Verordnung 883/2004, die im Mai 2010 in Kraft getreten ist. Diese
„Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“ ist in
Deutschland unmittelbar anwendbares Recht. Sie schreibt vor, dass
EU-Bürgerinnen und EU-Bürger bei der Gewährung vieler Sozialleistungen, zum
Beispiel für Arbeitslose, gleichzubehandeln sind.
Wird auch Hartz IV von dieser Verordnung erfasst?
Ja, eindeutig. Im Anhang der Verordnung sind Hartz-IV-Leistungen
ausdrücklich aufgeführt.
Welche Wirkung hat es, dass die Bundesregierung einen Vorbehalt gegen das
Europäische Fürsorgeabkommen eingelegt hat?
Das hat für arbeitssuchende EU-Bürgerinnen und -Bürger keine Wirkung, weil
für Hartz IV nur die Verordnung 883/2004 gilt.
Wie kommt die Bundesregierung dann auf die Idee, sie könnte mit einem
Vorbehalt gegen das Fürsorgeabkommen Ansprüche von EU-Bürgern aushebeln?
Anlass der Regierungsentscheidung war ein Urteil des Bundessozialgerichts
vom Oktober 2010, das einem Franzosen Anspruch auf Hartz IV zusprach –
unter Berufung auf das Europäische Fürsorgeabkommen. Spätestens seit
Inkrafttreten der EU-Verordnung 883/2004 kommt es jedoch nicht mehr auf das
Fürsorgeabkommen an.
Dann ist eigentlich gar nichts Relevantes passiert?
Vielleicht nicht rechtlich, praktisch aber schon. Die Bundesagentur für
Arbeit hat in einer Dienstanweisung die Jobcenter darauf hingewiesen, dass
arbeitssuchende Unionsbürgerinnen und -bürger und ihre Familien keine
Leistungsansprüche hätten. Jeder Hinweis auf die EU-Verordnung fehlt. Dies
wird wohl dazu führen, dass vielen EU-Bürgern das Geld gestrichen wird und
sie dagegen klagen müssen. Es entstehen Mietschulden und besonders Kinder
werden unterversorgt. Auch Gerichte werden völlig unnötig belastet.
Haben Klagen denn Erfolgschancen?
Ja, die meisten Sozialgerichte geben den Anträgen im Eilverfahren statt.
Die SPD hat in der vergangenen Woche darauf hingewiesen, dass es gar nicht
viele Hartz-IV-Anträge von frisch eingereisten EU-BürgerInnen gibt. Stimmt
das?
Das ist möglich. Denn für EU-Bürgerinnen und -Bürger, die schon einen Bezug
zum deutschen Arbeitsmarkt haben, gelten ohnehin andere Regeln. Wenn zum
Beispiel eine Engländerin hier gearbeitet hat und dann unverschuldet
arbeitslos wird, hat sie zweifelsfrei dieselben Ansprüche wie eine
Deutsche.
Bestehen Leistungsansprüche nur nach einem Vollzeitjob?
Es genügt auch eine bezahlte Tätigkeit von einigen Stunden in der Woche.
Auch Selbstständige, die zum Beispiel wegen einer Schwangerschaft nicht
mehr arbeiten können, haben Anspruch auf Hartz IV. Und wer bei seiner
Arbeitstätigkeit zu wenig verdient, kann als Aufstocker auch ergänzende
Hartz-IV-Leistungen erhalten.
Was ist das Ziel dieser Verordnung?
Die Gleichbehandlung der EU-Bürgerinnen und -Bürger ist Ausdruck der
gemeinsamen Unionsbürgerschaft. Sie nützt ja auch Deutschen, die in anderen
EU-Staaten arbeiten wollen.
Führt dies nicht zu der von der Regierung befürchteten „Einwanderung in die
deutschen Sozialsysteme“?
Ein längerfristiges Aufenthaltsrecht in Deutschland haben nur
EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die hier arbeiten wollen. EU-Bürger, die
sagen, sie wollen hier nicht arbeiten, sondern nur Hartz IV beziehen,
können von den Ausländerämtern des Landes verwiesen werden, weil sie ihr
Aufenthaltsrecht missbrauchen. Alle anderen sind aber nach europäischem
Recht gleichzubehandeln.
14 Mar 2012
## AUTOREN
Christian Rath
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