# taz.de -- Harmony Korines Film „Spring Breakers“: Bikini Riot | |
> „Teenage Angst“ und wippende Busen, brave Disney-Stars und | |
> Exploitation-Schauwerte: „Spring Breakers“ tobt sich an der Küste | |
> Floridas aus. | |
Bild: Der Amerikanischer Disney-Traum: appetitlich, empfindlich, von Gewissen w… | |
Er macht nicht nur seltene und seltsame Filme, fast immer gibt es bei | |
Harmony Korines Werken Behauptungen und Spekulationen über Jugendkultur und | |
Radikalität. Er hält fast so hartnäckig an einen Zusammenhang zwischen | |
beiden Phänomenen fest wie sein Entdecker Larry Clark – für dessen „Kids�… | |
hatte Korine vor 20 Jahren das Drehbuch geschrieben, auch an „Ken Park“ war | |
er beteiligt. | |
Aber ob er nun in „Dummo“ Drastik in der US-Provinz mit einem | |
Black-Metal-Soundtrack auflädt (unter anderem mit Burzüm, bevor die | |
irgendjemand kannte) oder den Dogma-Film „Julien Donkey-Boy“ aus der | |
Perspektive eines Schizophrenen dreht, Korine interessiert sich für den | |
Umschlag des Extremen ins Komische. | |
Jede formelhafte Handhabung davon ist ihm zu einfach: Er möchte weder die | |
Leute ohne weiteres davonkommen lassen, die am liebsten nur lachen wollen, | |
noch die, die seine Filme als Filmkunst still stellen wollen. Die Ideen | |
sind manchmal hervorragend, etwa wenn er sein Idol Werner Herzog als | |
wahnsinnigen Vater besetzt, oder sie sind an der Grenze, wenn in dem | |
weitgehend großartigen „Mr. Lonely“ um einen Michael-Jackson-Lookalike | |
plötzlich lauter einsame Impersonatoren von Superstars in einem bittersüßen | |
Glück zueinanderfinden, darunter Michael und Marilyn. | |
Zuletzt hatte er „Trash Humpers“ zu verantworten, ein zwar weitgehend | |
brüllend lustiges Fake-Doku-Filmchen über Menschen, die, von | |
Paul-McCarthy-Masken anonymisiert, Mülltonnen penetrieren, das aber nach | |
einer Viertelstunde nur noch so aussah wie ein etwas gedehnter | |
YouTube-Prank. | |
## Verwöhntes Publikum von Outsider-Leckerschmeckern | |
Als man hörte, dass er nun dem konventionellsten amerikanischen | |
Jugendritual, den vor allem in Florida abgehaltenen Spring-Break-Partys, | |
Tribut zollen wollte, konnte man mutmaßen, dass er nur über dieses Maximum | |
an Normalität sein verwöhntes Publikum von Outsider-Leckerschmeckern noch | |
einmal richtig erwischen zu können glaubte. Aber seine Bikinigirls sind | |
keine Monster, kein Abgrund von heteropubertärem Eis am Stil. Es sind vier | |
Freundinnen vom College, die beobachtet und charakterisiert werden wie | |
überall im Jugend-TV: appetitlich, empfindlich, von Gewissen wie von | |
Ambitionen geplagt. | |
Dennoch sind die vier Darstellerinnen nicht irgendwer. Sie stammen aus der | |
sauberen, ultranormalen, familienfreundlichen, präpubertären TV-Welt, die | |
hier in einer Art Gewaltakt in die Welt eines richtigen und erwachsenen | |
Kinos hinüberinitialisiert werden. Selena Gomez ist sicher die Bekannteste | |
aus den „Wizards of Waverly Place“. Auch Vanessa Hudgens und Ashley Benson | |
sind Veteranen des seltsam hochgepitchten Teenie-TV des letzten Jahrfünfts. | |
Die Vierte ist Harmonys Frau Rachel Korine. | |
## Wet-T-Shirts am Strand von St. Petersburg | |
Die leicht verträumte Erzählweise, mit der ihr Leben im stumpfen | |
College-Alltag erzählt wird, bleibt erst mal in der Schwebe zwischen | |
Genrezitat und der Bemühung um echte Figurenzeichnung. Das Gefühl, tief und | |
fest in einem Genre zu stecken, wird von Details unterminiert, die nicht | |
hineinpassen. Die vier sexy Girls träumen von Freiheit, Drogen und | |
Abenteuer und begehen Überfälle, um die zu finanzieren, aber eine von ihnen | |
heißt Faith (Selena Gomez) und ist christlich. Ihre Gemeinde wird wiederum | |
von einem tätowierten Holzfällerprediger geleitet, der aus einem ganz | |
anderen Castingprozess übrig geblieben sein muss. | |
Natürlich gibt es straight für einen naheliegenden Genuss gemachte Szenen | |
mit Girls & Guns, mit wippenden Busen und Wet-T-Shirts am Strand von St. | |
Petersburg, Florida. Aber zwischen diese teilweise, wie es scheint, mit | |
einem anderen Team und unter anderen Bedingungen gedrehten, eher öden | |
allgemeinen Teenage-Ausflipp-Skizzen wirken die aus der Handlung | |
entwickelten Schauwerte weird und over the top: | |
## James Franco - mal wieder | |
Die Girls geraten in die Hände einer Gangster-Coolness-Karikatur, | |
offensichtlich hochamüsiert gegeben von James Franco, und spielen einen | |
geraumen Teil der Handlung mit dessen liebevoll platzierten Waffen, Drogen | |
und Fahrzeugen. | |
Auf der einen Realitätsebene amüsieren sich alle, auch wenn vorübergehend | |
die Staatsmacht demütigende Knastaufenthalte verhängt und das Geld ausgeht. | |
Die Girls haben aber alles im Griff. Auf der anderen Ebene sind sie aber | |
klein und verwundbar und die Behauptung, etwas Schlimmes gehe vor, wird | |
ausgestreut beziehungsweise vorausgesetzt, bis erst eine und dann eine | |
Zweite in merkwürdig ernsthaft melancholisch daherkommenden Szenen Abschied | |
nehmen und in den Bus nach Hause steigen. Wie diese auseinanderdriftenden | |
Stimmungen und Perspektiven nicht vermittelt sind, genauso wenig wie die | |
Beach-Busen-Szenen und die zarten Ansätze von Narration, hat etwas. | |
## Kindlich wie ein japanischer Pachinko-Laden | |
Und dies gelingt nicht zuletzt deshalb, weil es ein Element gibt, das die | |
losen Enden und die Ansätze von Teenploitation, Soft-Porn-, „seriösen“ | |
Coming of Age und angedeuteten Tarantinoismen verknüpft, oder sollte man | |
besser sagen: einspinnt. Denn es handelt sich um eine Art Kokon, in dem der | |
ganze Film steckt. Diesen seltsam schrill-süßlichen Schutzraum verdankt er | |
dem in unseren Breiten noch nicht ganz so bekannten kalifornischen | |
Whiz-Kid-Musiker, Produzent und Star [1][DJ Skrillex]. | |
Skrillex hat seine amerikanische Variante von Dubstep und anderen | |
Spielarten zeitgenössischer Clubmusik in den letzten Jahren in alle | |
möglichen Richtungen entwickelt. Er liebt breitwandige, etwas breiig | |
überkochende Klangwelten und klingt gerne überkandidelt kindlich wie ein | |
japanischer Pachinko-Laden. Eine Spezialität von ihm besteht darin, | |
durchaus auch vertrackte Tracks auf unglaublich süße, ozeanisch-kitschige | |
Harmoniegerüste zu spannen. | |
## Girls & Guns | |
Bei seiner Musik für „[2][Spring Breakers]“ stehen seine zugleich | |
schleimigen wie kantigen Pieces mit Autotune-Vocals, zu denen die | |
Bikinimädchen mit ihren Maschinenpistolen melancholisch auf den Golf von | |
Mexiko starren, für eine Form von neuartig weiblicher Gegenwelt gegen die | |
HipHop-Gangster-Jungs. | |
Dass die beiden verbliebenen Girls – Achtung, Spoiler – am Ende so etwas | |
Ähnliches wie triumphieren, darf man nicht als irgendwie programmatisch | |
verstehen. Korine interessiert sich nicht für diese Girls als reale | |
Lebensmöglichkeiten – während Tarantino ja die Tendenz hat, seine | |
Killergirls als feministische Role Models zu verkaufen beziehungsweise auch | |
diese Rezeption gerne noch miteinzustreichen. Korine interessiert sich eher | |
für den Exploitation-Faktor an sich: ohne dass das jeweilige Präfix, Blax, | |
Teens oder Sex, jetzt auch noch emanzipiert werden müsste. | |
## Cinephilen-Schule mit Double-Bind | |
Eher kann man die Cinephilen-Schule wiederentdecken, die immer schon | |
wusste, dass jenes billige Kino, das nie Probleme hatte, von der Ausbeutung | |
durchgesetzter Schauwerte zu leben, viel subversiver und transzendenter sei | |
als „gute Filme“. Aber Korine will offensichtlich nicht einfach mal wieder | |
die alten Register von Trash- und B-Movie-Begeisterung wiederbeleben, | |
sondern plant mit den Girls ein nicht uninteressantes Double Bind. | |
Die stellen nämlich nicht nur ein Teil des hier angebotenen Menüs aus | |
bekannten Reizen in zeitgemäßen Versionen dar. Sie werden dem Publikum | |
nicht nur als Eiskugeln neben den wilden Doku-Bildern und den irren Waffen, | |
den Gangster-Blicken und dem ganzen Witzprogramm angeboten, sie sind auch | |
ihrerseits die exemplarischen Konsumenten des ganzen Zeugs. | |
In Korines Welt funktioniert die klassische Exploitation-Logik nämlich | |
nicht mehr so richtig. Wir haben es hier mit einer Jugendkultur zu tun, die | |
auf sich selbst gestellt ist; deren Beteiligte sich selbst konsumieren. | |
Diese Techno-Spring-Break-Sauf- und Kiff-Gemeinde, so die These des Films, | |
will sich nur noch selbst reinziehen. Sie kennt kein beobachtendes Außen | |
mehr. Außer ein paar Polizisten und Reinigungskräften, die einen hin und | |
wieder einsperren und die Kotze und die Leichen wegräumen. | |
## "Spring Breakers". Regie: Harmony Korine. Mit Vanessa Hudgens, James | |
Franco, Selena Gomez u. a. USA 2012, 92 Min. | |
20 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://skrillex.com// | |
[2] http://www.springbreakersmovie.com/ | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
## TAGS | |
Harmony Korine | |
San Francisco | |
Spielfilm | |
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