# taz.de -- Film „Beach Bum“ von Harmony Korine: Was soll dieser abgebissen… | |
> American Dream auf THC: Harmony Korines Spielfilm „Beach Bum“ lässt | |
> Matthew McConaughey sehr charmant durch Florida torkeln. | |
Bild: Könnte wach sein, oder auch somnambul: Moondog (Matthew McConaughey) | |
Harmony Korine lässt in seinem neuen Film „Beach Bum“ Matthew McConaughey | |
sich selbst parodieren und sucht aus ironischen Übertreibungen heraus nach | |
einem Blick auf die US-amerikanische Gegenwart. Das Image des Schauspielers | |
als exzessiver Trunkenbold passt Korine gut in den Kram, denn auch er | |
selbst hat eine lange Geschichte als selbstverlorener Grenzgänger und | |
Provokateur. | |
Fans des Filmemachers werden sich etwa an seine frühen Auftritte in der | |
David-Letterman-Show erinnern, in der er zu Beginn seiner Karriere als eine | |
Art Junggenie desorientiert und vermutlich bekifft den Profimoderator | |
auflaufen ließ. Letterman lud Harmony Korine ein, weil er bereits mit 19 | |
Jahren das Drehbuch zu Larry Clarks Kultfilm „Kids“ verfasst hatte und sich | |
dann mit seinem Debütfilm „Gummo“ als radikaler Avantgardekünstler | |
entpuppte. | |
Parallel dazu schrieb Korine ein Buch über einen rassistischen Krieg in | |
Florida, bei dem die Popstars LL Cool J und Vanilla Ice verfeindeten | |
Gruppen der Bevölkerung gegeneinander aufhetzen. Letterman war so | |
begeistert von seinem Gast, dass er ihn in kurzer Zeit mehrfach auftreten | |
ließ, und erst dann auslud, als sich Korine dem Moderator zufolge hinter | |
den Kulissen an Meryl Streeps Handtasche vergriff. | |
## Prügel vor der Kamera | |
Kurz nach seinem letzten Auftritt in der Show filmte Korine gemeinsam mit | |
Mitstreitern wie Leonardo DiCaprio und David Blaine eine Reihe von Videos, | |
in denen er Passanten auf den Straßen New Yorks provozierte und sich für | |
die Kamera übel verprügeln ließ. Die nachfolgende Karriere Korines war | |
geprägt von Filmen, denen eine große Reichweite verwehrt blieb, die ihm | |
unter Cinephilen allerdings einen bis heute nachhallenden Ruf als | |
durchdringende Stimme des Weltkinos einbrachten. | |
In seinem Film „Julien Donkey-Boy“ (1999) trat mit Werner Herzog eine Ikone | |
des kompromisslosen Filmemachens als hustensaftabhängiger Vater auf. Nach | |
Korines drogenbedingter Schaffenspause erschien in „Mister Lonely“ (2007) | |
erneut Herzog, diesmal als selbstgefälliger Pfarrer und neben | |
Kultschauspieler Denis Lavant, der einen Charlie-Chaplin-Imitator gab. Für | |
„Trash Humpers“ (2009) trat dann Korine selbst vor der Kamera auf und | |
agitierte gegen Bilder eines funktionierenden Amerikas. | |
Zuletzt machte der Regisseur und Künstler mit seinem Film „Spring Breakers“ | |
auf sich aufmerksam, mit dem er erstmals an den Erfolg von „Kids“ anknüpfen | |
konnte und sich einer zugänglicheren Ästhetik auf unerwartete Weise | |
öffnete. Angesiedelt in Florida, der neuen Wahlheimat Korines, skizziert | |
der Film das Delirium vier verlorener, desorientierter junger Frauen, die | |
zwischen hedonistischen Verheißungen, postmoderner Entleerung und | |
bürgerlichen Dogmen von Glauben und Ethik die anarchische Selbstbestimmung | |
suchen. | |
## Spiel mit Klischees | |
Korine besetzte neben seiner Frau Rachel Korine drei Darstellerinnen: | |
Selena Gomez, Vanessa Hudgens und Ashley Benson verkörperten durch ihre | |
früheren Rollen in Disney-Produktionen und ihre Images als positive | |
Bezugsfiguren junger Amerikanerinnen exakt das, was sein Film attackieren | |
sollte. An ihre Seite stellte er James Franco als Kunstfigur „Alien“ und | |
lud zum Spiel mit Klischees von Maskulinität und Rapkultur ein. | |
Während „Spring Breakers“ Ideen des Naiven und Utopischen mit | |
Interventionen in ihr Gegenteil verkehrt, zielt „Beach Bum“ nun auch aufs | |
Kino selbst: Harmony Korine hat eine Stoner-Komödie gedreht – also einen | |
Film der Gattung „Cheech & Chong“, in dem der Rausch zum Normalzustand | |
geworden ist und sich von der Welt emanzipiert hat. Matthew McConaugheys | |
Figur heißt Moondog und ist nicht zufälligerweise mit einem Typen | |
befreundet, der von Snoop Dogg gespielt wird. | |
Moondog geht es ziemlich gut. Er ist mit einer reichen Frau (Isla Fisher) | |
verheiratet, hat keine Sorgen, treibt sich in Bars herum und mischt | |
besoffen die Hochzeit seiner Stieftochter auf. Er ist ein begnadeter | |
Dichter, der seine Karriere für die permanente Entgleisung an den Nagel | |
gehängt hat. Korine beschreibt McConaugheys stolpernde Auftritte im | |
Interview mit dem US-Kulturmagazin Film Comment durch Slapstick-Begriffe: | |
Das körperbetonte Spiel versteht der Bewunderer von Buster Keaton und den | |
Marx Brothers als Urform des Humors und spricht sich damit für die | |
Zeitlosigkeit des komischen Kinos aus. | |
## Nur echt mit Stepptanz | |
In der Tat kamen bereits seine frühen Filme nie ohne eine Stepptanz-Szene | |
aus. Und in der Tat denkt Harmony Korine seine Filme in erster Linie aus | |
der Perspektive des Films: Sie gehorchen keinen weltlichen Regeln, sondern | |
entwerfen durch ihre Bilder konfrontative Gegenwelten. | |
Nach „Spring Breakers“ spielt auch „Beach Bum“ in Florida. Key West, der | |
südlichste und entrückteste Ort des Landes, liefert jedoch stets mehr als | |
ein Tableau: Korine weiß, dass es sich hier um ein kulturelles Reservoir | |
handelt, einen Ausgangspunkt nicht nur für Geschichten, sondern für ganze | |
Sprechweisen, Zeichensysteme und Körperbilder. So tritt an McConaugheys | |
Seite der US-Musiker Jimmy Buffett auf und spielt sich einfach selbst: | |
einen Mann, der in seinen Songs seit Jahrzehnten das popkulturelle | |
Gegenüber zum sonnengetränkten amerikanischen Eskapismus liefert. | |
Buffets Fans sind bekannt als Parrotheads – also Papageienköpfe – und | |
lieben Songs wie „Margaritaville“ oder Albentitel wie „License to Chill�… | |
Als exzentrische Nebenfiguren geben sich Martin Lawrence, Zac Efron und | |
Jonah Hill die Ehre, ergänzen den Lebensraum Key West mit Vietnam-Wahn, | |
kaltschnäuziger Geldgeilheit und religiösem Manga-Modepunk. | |
## Regisseur mit Haltung | |
So scheint es als hätte „Beach Bum“ in seinen charmanten Überzeichnungen | |
und seiner feinsinnigen Besetzungspolitik mehr mit „The Big Lebowski“ von | |
den Coen-Brüdern gemein als etwa mit Sam Mendes’ „American Beauty“. Und | |
doch hinken Vergleiche – wie so oft im Kino – dem Resultat in allen Punkten | |
hinterher. Im Verlauf des Films entfaltet sich eine Haltung zu den | |
Charakteren, die Korines Filme schon immer auszeichnet: Der Regisseur | |
weigert sich, sie als Symbole oder Witzfiguren zu missbrauchen, sondern | |
folgt ihnen bis hin zur letzten Konsequenz, bis zum Zusammenbruch der | |
Unterhaltungswerte. | |
Ein abgebissener Fuß sticht völlig unerwartet ins Auge, weil zu ihm niemand | |
eine Haltung einnimmt. Einem lustigen Sympathieträger wird zugestanden, ein | |
ignoranter Gewaltverbrecher zu sein. Die Umarmung sitzt. Innere | |
Hässlichkeit wird nach außen gekehrt und doch nicht verurteilt. Wo Streit | |
in Hollywood Spaß machen könnte, gibt es in Korines Film unerwartete | |
Versöhnungen und radikale Freigeistigkeit. | |
Und irgendwann ist die Leichtigkeit kaum noch zu ertragen, wird zur | |
wahrhaftigen Unwahrscheinlichkeit, zum Hyperrealen, als hätte das | |
Träumerische vom Wachzustand Besitz ergriffen. Denn alle Heilsversprechen | |
für Moondog scheinen sich zu erfüllen, aber auch wirklich alle. Selbst die, | |
von denen er nichts wusste. Sein Herumtorkeln wird so lange weiter | |
beflügelt, bis es sich zum Blindflug in eine ungewisse Zukunft mausert, zur | |
Halluzination eines möglichen Lebens, zur Hoffnung auf greifbares, | |
leibhaftiges Glück, zu einem drogeninduzierten Schwebezustand, der den | |
amerikanischen Traum noch höchstens als Flashback sieht. | |
Nicht Moondog erträumt die Welt, sondern die Welt erträumt Moondog. Und | |
jeder Anschein eines Aufwachens zeigt extremer, wie unglaubwürdig die | |
Zustände im Grunde sind. Was passiert mit den Träumen, wenn alle Augen | |
immerzu geschlossen bleiben? Die Blinden träumen ohne Bilder. | |
29 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Dennis Vetter | |
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