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# taz.de -- Free Fight-Wettkampf in Berlin: Germans erster Kampf
> Es gilt als die härteste Kampfsportart der Welt. „Mixed Martial Arts“
> verlangt den Kämpfern alles ab. Warum sich ein junger Mann das antun
> will? Nun: weil er es mag.
Bild: German während des Kampfes am 12.05.2012.
25. April, 18.30, IMAG Berlin: German Kapustin hat ein Ziel. Der Weg
dorthin führt über das Gym in den ehemaligen Osramhöfen in Berlin-Wedding.
German ist 25 Jahre alt, geboren in Moskau, seit seinem dritten Lebensjahr
in Deutschland. In zweieinhalb Wochen wird German kämpfen, das erste Mal.
Während die anderen im Gym Übungen machen, muss er sparren. Alle drei
Minuten bekommt er einen frischen Partner. German kommt aus dem Standkampf,
Boxen und Kickboxen sind seine Stärken. Aber wenn er am 12. Mai in den
Drahtkäfig steigt, der in der Universal Hall in Berlin-Moabit aufgebaut
wird, wird er nach MMA-Regeln kämpfen.
MMA steht für Mixed Martial Arts, wörtlich: gemischte Kampfkünste, in
Deutschland besser bekannt als „Free Fight“. Der Kampf kann schnell vom
Stand an den Boden wechseln. Deshalb trainiert German schon seit geraumer
Zeit Ringen, Grappling, Brazilian Jiu-Jitsu. Dennoch: Im Stand fühlt er
sich sicherer, deshalb ist sein Ziel im Training, die Versuche seiner
Gegner, ihn an den Boden zu bringen, abzuwehren. Immer gelingt ihm das
nicht. Nach eineinhalb Stunden Training ist German am Ende. Darum geht es:
den Moment hinauszögern, an dem ein Kämpfer das Gefühl hat, er kann nicht
mehr. 17 Tage bis zum Kampf.
30. April, IMAG Berlin: Montags trainiert German Grappling und Brazilian
Jiu Jitsu, dienstags Kondition, Mittwochs Ringen, donnerstags Bodenkampf im
MMA, freitags Kickboxen und Cardio. Jeden Morgen, vor der Arbeit, geht er
laufen. Noch vor ein paar Jahren wog German 120 Kilo, Sport kannte er nur
aus dem Fernsehen. Warum ausgerechnet Kampfsport? „Es ist die
ursprünglichste Form, sich zu messen. Alles, was du brauchst, hast du
schon: Arme und Beine. Du brauchst kein Tor, keinen Ball, kein Netz,
nichts. Ich mag das.“ 12 Tage bis zum Kampf.
3. Mai, IMAG Berlin: Von seinem Gegner weiß German das: Oliver Döhring
kommt auch aus Berlin, er hat schon einen Kampf bestritten und gewonnen. Es
gibt ein Video von ihm im Netz. Aber, sagt Germans Trainer Frank
Burczynski, einen richtigen „Gameplan“ macht man bei Debütkämpfen sowieso
nicht. German, sagt er, habe ihn beim ersten kleinen Wettkampf, an dem er
vor ein paar Monaten teilnahm, überrascht: „Die meisten Amateure bringen im
Kampf vielleicht 50 bis 60 Prozent ihrer Trainingsleistung, Profis 90 bis
95 Prozent. German lag bei gut 70 Prozent.“ Eine Idee vom Kampf? „Er muss
keine Angst vor dem Bodenkampf haben – aber er soll, wenn es irgendwie
geht, immer versuchen, schnell wieder aufzustehen.“ Angst? „Nö“, sagt
Burczynski, „sonst würde ich ihn noch nicht kämpfen lassen.“ Neun Tage.
9. Mai, IMAG Berlin: Der Gegner hat gewechselt. Döhring hat doch schon ein
paar Kämpfe mehr – und alle gewonnen. Er wäre für Germans ersten Kampf zu
stark gewesen. Jetzt wird German Marcel Quitsch aus Dresden
gegenüberstehen. Von dem gibt es nicht mal ein Video. In dieser Woche hat
sich German Urlaub genommen von seinem Job als Speditionskaufmann. Drei
Tage.
12. Mai, Kampftag, 14.20 Uhr, Universal Hall: In der Mitte steht der Käfig,
ein Oktagon, die Streben gepolstert, die Seiten mit Maschendraht
abgegrenzt, ganz in Schwarz. Seit einer Dreiviertelstunde treffen die
Kämpfer ein. Der Ringsprecher hat seine Badezimmerwaage mitgebracht, sehr
genau ist die nicht, aber es ist ja für alle dasselbe. German hat 91,5
Kilo, 93 hätte er wiegen dürfen. Er gibt die CD mit seiner Einlaufmusik
beim DJ ab. Jesse-Björn Buckler ist da, der erfahrenste Kämpfer aus dem
IMAG. Er steht heute Abend selbst nicht im Ring, gibt German Tipps im Cage.
15 Uhr, Universal Hall: Die Dresdener sind da. Germans Gegner: drahtige,
kräftige Figur, Kurzhaarschnitt. Beim Wiegen bringt er rund 7 Kilo weniger
auf die Waage als German. Gut oder schlecht? Er könnte sehr schnell sein,
glaubt German.
15.20 Uhr, Universal Hall: Frank Burzcynski, der nicht nur Germans Trainer
ist, sondern auch der sportliche Leiter der Veranstaltung, ruft alle
Kämpfer zur Besprechung. Die Regeln werden durchgegangen: Ellenbogen- und
Kniestöße zum Kopf sind im Stand erlaubt – es sei denn, beide Kämpfer
einigen sich vorher, dass sie das nicht wollen. Ansonsten gilt die
„Dreipunktregel“: Wenn irgendein anderer Körperteil als die beiden
Fußsohlen den Boden berühren, sind Ellenbogen- oder Kniestöße zum Kopf
verboten. Alle Kämpfe werden über 2 x 5 Minuten gehen. Noch streikt der
Drucker, deshalb kann die Reihenfolge der Kämpfe noch nicht verteilt
werden. Handschuhe in den Größen M und L werden verteilt, sie kommen vom
Sponsor und dürfen behalten werden.
15.45 Uhr, Universal Hall: German erfährt, dass er den vorletzten Kampf des
Abends bestreiten wird, um 22.45 Uhr. Sieben Stunden.
16.45 Uhr, vor der Halle: German und die anderen Kämpfer vom IMAG gehen
spazieren. Auch Marcel Quitsch genießt die Nachmittagssonne. Für den
26-jährigen KFZ-Mechaniker aus Dresden ist es der zweite MMA-Kampf, ein
paar Kickboxkämpfe hat er schon hinter sich. Sein Händedruck ist fest, aber
er hat weiche Hände. Wie German.
17.45 Uhr, Eingang der Universal Hall: Die Kasse öffnet. Die Veranstaltung,
die dritte aus der Reihe „We Love MMA“ des Veranstalters Marcus Wortmeier,
ist seit zehn Tagen ausverkauft. 70 Prozent der Zuschauer sind Männer. Fünf
Stunden.
18.30 Uhr, vor der Halle: Germans Vater ist da. Der stämmige Mann steckt
sich vor der Tür eine Zigarette an. „Ich rauche sonst nie“, sagt er.
20.45 Uhr, Universal Hall: Seit die Veranstaltung vor gut eineinhalb
Stunden begonnen hat, sind sieben Kämpfe gelaufen. Davon gingen zwei über
die volle Kampfzeit, zwei wurden vom Ringrichter nach Schlagserien am Boden
gestoppt, drei Kämpfer gaben auf, weil sie in Würge- oder Hebelgriffe
geraten waren. German steht im Publikum, versucht sich zu lockern. Er sieht
ein bisschen blass aus. Zwei Stunden
22.30 Uhr, Keller: Der Backstage-Bereich ist viel zu klein. Überall liegt
Müll. Nur im Flur ist Platz, um sich aufzuwärmen. Zwei Trainingspartner
helfen German, arbeiten mit ihm an den Pratzen, üben noch einmal den
Clinch. Die Tritte und Schläge auf die Pratzen kommen unglaublich hart.
Sieht gut aus. Aus der Halle Geschrei und Applaus. 15 Minuten.
22.45 Uhr, Saal: Zuerst wird Germans Gegner in den Käfig gerufen. Dann
ertönt Germans Einlaufmusik – ein wilder Pogo. „Sind das
Schwangerschaftsstreifen?“, fragt einer im Publikum seinen Nachbarn. Und es
stimmt: An Germans Haut sieht man, dass es noch nicht so lange her ist,
dass er viele Kilos mehr wog.
22.50 Uhr, im Käfig: Der Kampf beginnt. German wollte vorsichtig anfangen,
den anderen kommen lassen, kontern. Er vertraut darauf, ein gutes Auge zu
haben, den Schlägen ausweichen zu können. Das klappt auch ganz gut, nur
gelegentlich kommt Marcel mit Schlag-Tritt-Kombinationen durch, ohne aber
Wirkung zu hinterlassen. Aber von German müsste mehr kommen. Der Kampf
bleibt im Stand, keiner von beiden unternimmt auch nur den Versuch, den
anderen zu Boden zu bringen. Kurz vor Ende der ersten Runde kracht eine
harte Rechte an Germans Kinn, ihm knicken die Beine weg. Marcel setzt
sofort nach, das Rundenende rettet German vor dem drohenden K.o. Zu Beginn
der zweiten Runde ist German leidlich wieder klar. Marcel eröffnet die
Runde aggressiv, pumpt aber schwer, atmet mit weit geöffnetem Mund, ein
Zeichen des Konditionsmangels. Aber German ist selbst schon viel zu müde,
um auf Ideen zu kommen. Würde er sich jetzt im Bodenkampf sicherer fühlen –
er könnte den Kampf mit guten Takedowns noch gewinnen. Doch es bleibt ein
Kickboxkampf, und Marcel ist heute Abend der bessere Kickboxer. Beide
können nicht mehr, Germans Schläge und Tritte, beim Aufwärmen im Keller
noch gewaltige Bomben, sind nur mehr Streichler. Der Kampf ist aus, German
verliert einstimmig nach Punkten.
23.20 Uhr, Backstage: German schwitzt immer noch stark, spricht von
eingeschränkter Feinmotorik. „Du hast die Schläge gut mit dem Kopf
geblockt“, witzelt Jesse-Björn. „Warum bin ich eigentlich umgefallen, ich
hab nichts gespürt“, fragt German. Von der zweiten Runde weiß er nicht mehr
viel. „Aus Niederlagen muss man lernen“, sagt er sich selbst. Sein
Unterkiefer ist irgendwie verrutscht. Hier gibt es nicht einmal eine
Dusche.
23.45 Uhr, Universal Hall: Die Halle ist leer, der Käfig wird abgebaut, die
Security führt einen Betrunkenen heraus. German trifft seinen Vater vor der
Halle, der knufft seinen Sohn, umarmt ihn. „Bis Dezember muss ich viel an
meiner Kondition arbeiten“, sagt German. Er will weiterkämpfen.
14 May 2012
## AUTOREN
Bernd Pickert
## TAGS
Kampfsport
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