# taz.de -- Fotografie-Ausstellung in Frankfurt/M.: Nüchternheit und Transzend… | |
> Diese Interieurs! Wie die Fotografen der Becher-Schule trotz formaler | |
> Strenge ein Staunen hervorrufen, zeigt eine Ausstellung in Frankfurt. | |
Bild: Ausschnitt aus: Thomas Ruff, „Interieur“, 1982 | |
Erst der Urknall, dann waren sie plötzlich da in der Fotografie: Porträt | |
von B. Ebert, scheuer Blick vor leuchtend blauem Hintergrund, | |
überlebensgroß. Diptychons von Urwäldern im Metermaß, die selbstgewiss | |
ihren Platz beanspruchen wie zuvor die Ölgemälde. Hotelanlagen, Wohnblocks, | |
Bibliotheken, ausgebreitet auf die Länge einer Ausstellungswand. | |
Und, last but not least: Ausstellungshallen selbst, Menschen, die Bilder | |
ankucken in Museen und White Cubes, aufgehängt ebenda. Und sie alle gingen | |
weg wie warme Semmeln, nur zehn-, hunderttausendfach so teuer. | |
Was war geschehen? Das Städelmuseum versucht sich in einer Erklärung für | |
immerhin einen der wichtigeren Hypes der neueren Kunstgeschichte. | |
Anschauungsobjekt: die Fotografien jener Becher-Schüler, die ab 1976 beim | |
gleichnamigen Fotografenpaar studiert und später selbst miterlebt haben, | |
wie ihre Arbeiten für ein Vielfaches dessen gehandelt wurden, was der | |
Kunstmarkt je bereit war, für Fotografie auszugeben. | |
## BRD-Lebensrealität | |
Wie die Urknalltheorie selbst kann die Ausstellung Raum und Zeitpunkt, an | |
dem alles anders wurde, nicht exakt benennen und soll es wohl auch gar | |
nicht. Chronologisch beginnt man mit Bernd und Hilla Becher, den Pionieren | |
der Düsseldorfer Photoschule, deren Aufnahmen von damals als kaum | |
abbildenswert betrachteten Industrieanlagen das neue fotografische | |
Selbstbewusstsein in der BRD wie wenige andere repräsentierten: | |
Großbildkamera, Schwarz-Weiß, immer in Serie. Wofür sie zeitweilig weniger | |
als Fotografen denn als Konzeptkünstler wahrgenommen wurden – und 1990 den | |
Goldenen Löwen der Venedig-Biennale ausgerechnet im Bereich Skulptur | |
erhielten. | |
Die Gestaltung des menschengemachten Raums funktioniert als verbindendes | |
Sujet zwischen Professoren und Studenten: Die frühen Arbeiten von Jörg | |
Sasse, Andreas Gursky, Tata Ronkholz und Candida Höfer dokumentieren ein | |
Stück damaliger BRD-Lebensrealität als zubetonierte Tristesse mit bunten | |
Akzenten in Essen, Reutlingen, Hildesheim. Halbleere Fenster, | |
Passkontrollen und Pförtnerlogen, Badekappen aus Gummirüschen, Farben- und | |
Tapetenhäuser. Später weiten sich Ausschnitte und Interieurs zu | |
Hotelanlagen, Platzansichten, den berühmten Bibliothekssälen von Candida | |
Höfer. | |
Neben den Gigantoräumen lassen sich Fotografien wie Höfers Reihe „Türken in | |
Deutschland“ entdecken: Rund 40 Jahre vor der aktuellen Zeit, in der man | |
vielerorts noch immer fremdelnd auf jene blickt, näherte sich Höfer ihren | |
Protagonisten in deren Wohnzimmern und auf der Straße, in Fleisch- und | |
Gemüsegeschäften. | |
Neben dem Raum ist der Mensch wichtigstes Sujet, zusammen oder getrennt | |
betrachtet, wie in den überdimensionalen Porträts mit den kitschig | |
anmutenden Farbhintergründen bei Thomas Ruff. Zwischen die Großformate | |
schiebt sich ein Kabinett mit Bildern von Petra Wunderlich, deren | |
nüchtern-forschende Schwarz-Weiß-Arbeiten von Steinbrüchen und Sakralmauern | |
allenfalls die Haltung mit dem rundherum hängenden Hochglanzcolor gemein | |
hat. | |
Die Selbstverständlichkeit zu hinterfragen, mit der heute von den großen | |
Fotokünstlern die Rede ist, ist so leicht nicht: Gewaltig packt einen die | |
physische Präsenz eines meterlangen Bildes an der Ausstellungswand, zumal | |
im brillant leuchtenden Analog-Filmpapier der Anfangsjahre. Um die | |
Mechanismen, die überhaupt zu einem Phänomen Becher-Klasse aka Struffsky | |
führen konnten, und die hierfür bedeutende Rolle der USA soll es im | |
Rahmenprogramm zur Ausstellung gehen. Struffsky, das amerikanische Pendant | |
zum bundesdeutschen Klassen-Labeling: Wo die Eigenart, sich mit den Namen | |
seiner Professoren zu schmücken, weitestgehend unbekannt ist, fand man ein | |
anderes Schlagwort für das Phänomen der steilgehenden deutschen | |
Fotografenwunder. Das setzt sich aus den Namen der drei mit Abstand | |
bekanntesten männlichen Vertreter jener Klasse zusammen: Thomas Ruff, | |
Thomas Struth, Andreas Gursky. | |
Zur künstlerischen Haltung gesellte sich bei den erfolgreichen | |
Becher-Schülern ein Sinn für den Markt – man funktionierte das Kernproblem | |
der Fotografie als künstlerisches Medium, ihre Reproduzierbarkeit, zum | |
eigenen Vorteil um. Wo früher möglichst viele Exemplare eines Motivs | |
angefertigt wurden, verknappte man die Auflagen nun drastisch und pumpte | |
die einzelnen Bilder auf Gemäldegröße auf. | |
## Der plötzliche Hype | |
Dem hieraus oft abgeleiteten Paradigmenwechsel, wie er auch im | |
Ausstellungstitel behauptet wird, widerspricht zum Beispiel ein Essay, das | |
2002 in der NZZ erschien: Der plötzliche Hype sei eben kein Beleg für eine | |
Aufwertung des Mediums Fotografie an sich. Jene sei nicht eigenständig, | |
sondern vielmehr als Kategorie aufgelöst und der Malerei eingeschrieben | |
worden – und zwar vor allem, weil jene sich verändert habe, nicht | |
umgekehrt. | |
Über die Herleitung lässt sich streiten, die Wirkung jener Bilder in | |
geballter Form jedenfalls funktioniert. Auch der Ausstellungsbesucher denkt | |
bald in Ausrufungszeichen. Diese Landschaften! Diese Porträts! Diese | |
Interieurs! Kann man dem einzelnen Bild deshalb eine Eigenart zuschreiben, | |
die seinen Hype zwangsläufig machen würde? Formal bescheiden und streng | |
kommt die Fotografie daher – keine grotesken Winkel oder Verzerrungen, kein | |
Spiel mit der fotografischen Unschärfe erlauben sich die Fotografen. | |
Aus dieser Nüchternheit heraus gelingt es aber durchaus, den Pfad reiner | |
Realitätsabbildung in Richtung Transzendenz zu verlassen. Wie in den | |
großformatigen Interieur-Studien von Thomas Struth: Das Motiv „Menschen in | |
Museen“ ist längst zum Internet-Meme geworden, aber sein kühner, auch | |
lustiger Blick bleibt unangefochten – tonnenschwer droht da die Kunst auf | |
nichtsahnende Schulkinder zu kippen. Auch vor dem Mailänder Dom, im | |
Familienanwesen vor der hauseigenen Kunstsammlung offenbaren Struths Bilder | |
in ihren besten Momenten Dilemma wie Faszinosum des menschengemachten | |
Raums: Mit Eifer schafft sich der Mensch ausstaffierte Realitäten, in denen | |
er dann hoffentlich auch einmal selbst herumlaufen darf. | |
Später dann die obligatorischen Riesen-Gurskys: Jene reduktionistischen | |
Architekturlandschaften, die bei den einen majestätische Ehrfurcht und bei | |
den anderen gähnende Langeweile, ob ihrer inzwischen Millionenwerte auch | |
latente Aggressionen hervorrufen, vielleicht je nach Motiv mal das eine und | |
mal das andere, zusammen ein unschlüssiges Hmm. | |
Zum Schluss dann noch einmal Ruff, „17h 30m/-20° (Sterne)“, das | |
majestätische Schwarz des Weltraums, durchsetzt von weißen Sprenkeln. Am | |
Anfang Essen und Reutlingen, am Ende die ganze Stratosphäre! An dieser | |
Stelle muss die Schau enden: Längst geht es nicht mehr allein darum, wie | |
sich das künstlerische Medium zur Malerei verhält, sondern wie und ob sich | |
Fotografiekunst gegenüber der mit geringstem Aufwand künstlerisch | |
produzierbaren Massenfotografie behauptet. Insofern ist „Fotografien werden | |
Bilder“ auch ein wehmütig kurzes Aufatmen: eine angemessene Zelebrierung | |
der schönen neuen, alten Welt. | |
4 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
## TAGS | |
Fotografie | |
Ausstellung | |
Frankfurt am Main | |
Braunschweig | |
Fotografie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erinnerung an einen Mythos: Mit Kurbel und Doppelauge | |
Zwei Braunschweiger Museen widmen sich der verflossenen Fotoindustrie der | |
Stadt, die einst Voigtländer und Rollei beheimatete. | |
Ausstellung „Revision“ in Hamburg: Das Bild zum Vortrag | |
Demokratisierung der Fotografie: Das Museum für Kunst und Gewerbe in | |
Hamburg hat 75.000 Fotos gesichtet und zeigt die Ausstellung „Revision“. |