# taz.de -- Flucht vor dem Militärdienst: Ukrainer auf Westkurs | |
> Roman Petrenko studiert in Berlin und hängt in der Luft. Der ukrainische | |
> „Junior-Leutnant“ will nicht in den Krieg ziehen – so wie Tausende | |
> andere. | |
Bild: Vor dem Krieg geflüchtet: Roman Petrenko in seinem Berliner Exil | |
BERLIN/FRANKFURT/ODER taz | Die Skype-Verbindung hakt zwischen Berlin und | |
dem Dorf in der Westukraine. Svitlana Petrenko sitzt im blau geblümten | |
Kleid vor dem Bildschirm. Hinter ihr ein Fenster, die ukrainische | |
Sommernacht dahinter. Abgeschirmt von mehreren Schichten weißer | |
Spitzengardinen. Die Frau schaut nicht in die Kamera, wenn sie spricht. In | |
M. bei Lemberg ist Svitlana Deutschlehrerin. „Von hier ist der Krieg weit | |
entfernt“, findet sie. | |
Was sie davon mitbekommt, sieht sie im Fernsehen. Die Medien tragen die | |
Geschichten des Kriegsgebiets in der Ostukraine in ihr Wohnzimmer, hinter | |
die Spitzengardinen. Hier sieht sie auch die Berichte über die gefallenen | |
Soldaten und kann nicht anders, als zu denken: „Das könnte auch Roman sein, | |
mein Sohn.“ Sie weiß, dass sie die Nachricht von seinem Tod nicht ertragen | |
könnte. Und so ist sie eigentlich ganz froh, dass ihr Sohn in Deutschland | |
lebt. Dass Roman lebt. | |
Seit dem Beginn der [1][Kämpfe in der Ostukraine] sind etwa 2,8 Millionen | |
Menschen geflohen. Über 1 Million von ihnen haben das Land verlassen. Seit | |
2013 haben 14.000 Ukrainer in der EU Asyl beantragt, ein Fünftel von ihnen | |
in Deutschland. Unter ihnen sind auch junge Männer, die auf diese Weise der | |
Einberufung in die ukrainische Armee entgehen wollen. Auch Roman Petrenko | |
ist aus diesem Grund hier. Er hat kein Asyl beantragt – in die Statistik | |
geht er ein als einer von fast 10.000 ukrainischen Studierenden an | |
deutschen Hochschulen. | |
Petrenko sitzt in einem altmodischen Sessel einer Kneipe im Berliner | |
Wedding. Petrenko heißt eigentlich anders, er möchte nicht, dass sein Name | |
bekannt wird. Er ist ein ernster, junger Mann. Eine grau karierte | |
Schiebermütze bedeckt sein dichtes, dunkles Haar. Petrenko trinkt Bier, | |
dreht seine Zigaretten. „Ich habe häufig Heimweh“, sagt er, nimmt abrupt | |
seine Schiebermütze ab und fährt sich durchs Haar. Setzt die Mütze schnell | |
wieder auf. | |
Seit knapp drei Jahren wohnt Roman Petrenko in Berlin. Ursprünglich kam er | |
gar nicht, um zu bleiben – er ist seither nur nicht wieder gegangen. Ein | |
Semester mit Erasmus. Ein Freiwilliges Soziales Jahr an einer Grundschule | |
in Kreuzberg. Jetzt ist der 25-Jährige als regulärer Student eingeschrieben | |
für einen Master in Geschichte. Petrenko trägt eine helle Jeansjacke über | |
einem schwarzen Rollkragenpullover. Geringelte Socken schauen aus den | |
Lederschuhen hervor. Wenn man den Studenten so sieht, kann man ihn sich | |
kaum in der Militäruniform vorstellen, in welcher er vor wenigen Jahren | |
noch steckte. | |
## Petrenko auf dem Weg zum Soldaten | |
Für die Dauer seines Studiums in der Ukraine hätte sich Roman Petrenko von | |
der Wehrpflicht befreien lassen können. Stattdessen lässt er sich | |
studienbegleitend militärisch ausbilden. Das liegt auch an seinen Eltern. | |
Sie wollen ihn im inneren Dienst sehen. Ein Onkel, der bei der Polizei | |
arbeitet, empfiehlt ihm die frühe militärische Ausbildung und das Studium | |
von Jura und Geschichte. Roman Petrenko stimmt zu. Das | |
Reserveoffiziersprogramm, eine militärische Fakultät seiner Uni, macht ihn | |
innerhalb von zwei Jahren zu einem „Junior-Leutnant“. | |
Jeden Donnerstag muss er in der Kaserne erscheinen, erinnert sich Petrenko, | |
und „eine Uniform anziehen, ein bisschen schießen, ein bisschen | |
marschieren, ein bisschen antreten“. Die Sommer verbringt er komplett beim | |
Militär. Als Junior-Leutnant muss er Soldaten zum Krieg animieren. „Ich bin | |
dafür denkbar ungeeignet“, sagt er und lacht ungläubig. Dann wird er wieder | |
ernst. Es ist die Vorbereitung für einen Krieg, der sich zu diesem | |
Zeitpunkt bereits anbahnt. | |
Petrenko erinnert sich an den Beginn der Proteste. Die Bewegung des | |
Euromaidan erstreckt sich über weite Teile des Landes. Auch in der | |
Universitätsstadt Czernowitz im Westen, in die Petrenko für sein Studium | |
gezogen ist, gibt es Demonstrationen. Die Stimmung ist euphorisch. Romans | |
Dozenten halten Reden auf der Straße. „Damals war uns nicht bewusst, wohin | |
das alles führen sollte“, sagt Petrenko heute. Zu jenem Zeitpunkt melden | |
sich zahlreiche Menschen freiwillig, um in den umkämpften Gebieten im Osten | |
militärisch eingesetzt zu werden. | |
Petrenko ist heute skeptischer als früher. Er glaubt, dass viele eingesehen | |
haben, dass die Kämpfe zu nichts führen. Und immer weniger Ukrainerinnen | |
und Ukrainer dazu bereit seien, ihre Zeit und ihr Leben für diesen Krieg zu | |
geben. Auch Roman Petrenko will nicht in den Krieg. | |
Rund 10.000 Menschen haben seit Beginn des Konflikts ihr Leben gelassen, | |
schätzen die Vereinten Nationen. Es soll über 600 Vermisste geben. Immer | |
wieder werden Männer im ganzen Land in großen Mobilisierungswellen zum | |
Militär eingezogen. Diese Wellen sind angekündigt. | |
Wehrdienstleistende dürfen nicht an der Front eingesetzt werden. Dort | |
kämpfen nur Männer und Frauen, die einen Vertrag abgeschlossen haben, | |
sogenannte „Kontraktniki“. | |
Allerdings wird auf Wehrpflichtige Druck ausgeübt, einen derartigen Vertrag | |
abzuschließen. Und auch wer keinen Vertrag abgeschlossen hat, kann nach dem | |
Wehrdienst jederzeit mobilisiert werden. Circa 950 ukrainische Soldaten | |
haben seit 2014 im Osten des Landes ihr Leben verloren. | |
## Bei Mobilisierungswellen daheim bleiben | |
Wenn eine solche Welle ansteht, entscheidet sich Roman Petrenko gegen einen | |
Besuch zu Hause. Doch für ihn liegt die Gefahr auch zwischen den Wellen. | |
Eine Situation vor ein paar Jahren an seiner Uni hat ihn vorsichtig werden | |
lassen. | |
Es ist 2015. Viele Männer, nicht nur Freiwillige, werden in die Armee | |
eingezogen. „Es wurde viel geredet. Alle wussten irgendetwas und doch | |
nichts Konkretes. Aber vieles galt als Risiko“, erzählt Petrenko. „Es gab | |
Geschichten, dass junge Männer auf der Straße angehalten wurden und zu | |
dieser Gelegenheit die Vorladung zum Einzug in die Armee erhielten.“ Es sei | |
Konsens gewesen, sich auf Bahnhöfen besser nicht zu lange aufzuhalten, weil | |
Pässe kontrolliert würden. Ungewissheit gehört zur Tagesordnung, | |
Mundpropaganda ist das Medium. Roman Petrenko ist ein wehrpflichtiger Mann. | |
Zudem hat er eine militärische Ausbildung absolviert. Das Gerede betrifft | |
ihn besonders, das weiß er. | |
In dieser Zeit schließt Roman seinen Master in Geschichte und Jura an der | |
Universität in Czernowitz ab. Gleichzeitig ist er für ein Semester über | |
Erasmus an der FU in Berlin. In diesen Monaten fährt er ein paarmal zurück | |
in die Ukraine, um einige Formalitäten zu erledigen. „Mein Plan war, | |
daraufhin die restliche Zeit des Semesters in Berlin zu verbringen und | |
danach in die Ukraine zurückzukehren“, erinnert sich Petrenko. | |
„Um mein Masterzeugnis abholen zu können“, erklärt er, „musste ich alle | |
Formulare zur Abmeldung vorlegen – auch vom militärischen Büro.“ In diesem | |
Büro, genannt Wojenkomat (Военкомат), erfolgt die militärische | |
Registrierung. Die Anmeldung für alle Männer unter 27 Jahren ist Pflicht. | |
In diesem Büro will sich Roman Petrenko nun abmelden. „Mit der | |
Abmeldebestätigung wären meine Unterlagen vollständig gewesen. Ich hätte | |
mein Zeugnis abholen und die Uni abschließen können.“ | |
## Ohne Vorladung zur Armee kein Uni-Zeugnis | |
Aber als Petrenko mit einem Kommilitonen das militärische Büro betritt, | |
gehen die Männer in Uniform nicht auf die Bitte der beiden Studenten ein – | |
so schildert Petrenko die Situation vor drei Jahren. „Sie sagten | |
stattdessen, sie werden uns jetzt eine Vorladung für die Armee ausstellen | |
und in zwei Wochen hätten wir hier wieder zu erscheinen. Wir wussten, jetzt | |
wird es sehr eng für uns“, erzählt er. „Wir bestanden auf unser Recht, no… | |
Studenten zu sein. Als Student kann man nicht eingezogen werden – danach | |
schon.“ | |
Die Männer seien nicht darauf eingegangen, erinnert sich Petrenko, sie | |
hätten nur gesagt: „Ja, das wissen wir. Aber nach eurem Abschluss | |
verschwindet ihr doch alle und geht uns durch die Lappen.“ Es gibt kein | |
Ende des Gesprächs, nur einen unausgesprochenen Kompromiss. Die Studenten | |
verlassen das Büro ohne die Vorladung – aber auch ohne die Abmeldung, für | |
die sie eigentlich gekommen sind. Petrenko wird sein Masterzeugnis nicht | |
abholen. | |
Stattdessen fährt er zurück nach Berlin und bemüht sich, in Deutschland zu | |
bleiben. Er bekommt eine Aufenthaltsgenehmigung, bald darauf beginnt er ein | |
Freiwilliges Soziales Jahr in Berlin. Er ahnt, dass ihn ein Kontakt mit den | |
Behörden in seinem Land in eine weitere schwierige Situation bringen | |
könnte. Trotzdem fährt er in den vergangenen drei Jahren einige Male nach | |
Hause, um seine Familie zu besuchen. | |
## Kovalchuk traut sich nicht mehr in die Heimat | |
Roman ist nicht der Einzige in dieser Situation. Stanislav Kovalchuk – auch | |
sein richtiger Name muss hier verschwiegen werden – lebt seit drei Jahren | |
in Frankfurt (Oder). Der Student geht lieber auf Nummer sicher. Nur ein | |
einziges Mal war er zu Hause in der Ukraine, um seine Mutter zu besuchen. | |
Das war zu Weihnachten. „Sicher ist sicher“, meint Kovalchuk. Er sagt: „I… | |
weiß, dass gezielte Aktionen in Zügen und an der Grenze gemacht wurden, um | |
Männer zu rekrutieren. Ich hatte Angst, öfter zu fahren.“ Der 25-Jährige | |
sitzt in der Mensa der Europa-Universität Viadrina und schlürft seinen | |
Kaffee. Sein schwarzes Käppi ist mit vielen Buttons versehen. Ein „come | |
together“ sticht heraus und die kleine rote Schleife, die Solidarität mit | |
an Aids Erkrankten ausdrückt. | |
Stanislav Kovalchuk hat keinen Militärdienst geleistet. Mit der Armee | |
wollte er nichts zu tun haben. Stattdessen hat er studiert. Nach seinem | |
Master hätte er sich im militärischen Büro melden müssen. Aber er hatte | |
Bekannte in den Behörden. Die hätten ihn gewarnt: „‚Wenn du dich jetzt | |
ummeldest, dann wirst du sicher eingezogen und in die Konfliktzone | |
geschickt‘“, erzählt Kovalchuk. Einem Bekannten sei das passiert, der sei | |
nicht wiedergekommen aus Donezk, der umkämpften Stadt im Osten. Stanislav | |
ließ es sein. Und jetzt? „Ich hänge in der Luft, ich bin nirgendwo zu | |
finden. Ich habe mich abgemeldet, und derzeit habe ich keine Anmeldung in | |
der Ukraine. Ich habe Glück gehabt, ich bin gleich nach Deutschland | |
gegangen.“ | |
Nach Deutschland wollte Stanislav Kovalchuk schon immer, | |
Literaturwissenschaften studieren. Er hat sein Ziel erreicht. Auch er weiß | |
von den Mobilisierungswellen. Er sieht ein Risiko außerhalb dieser Wellen. | |
Und so bleibt er hier, ohne nach Hause zu fahren. | |
## Für die Ukraine, „aber nicht patriotisch“ | |
Und wenn Roman Petrenko bei einem seiner Besuche doch einmal eingezogen | |
wird? Er würde in eines der Vorbereitungslager geschickt, glaubt er. Er | |
wirkt nervös. Rauchend sitzt er auf der Bank vor einem Späti in Kreuzberg. | |
Mittlerweile ist er im dritten Semester seines nun schon zweiten | |
Masterstudiums. Wenn er eines Tages eingezogen wird, will er nichts dagegen | |
unternehmen. „Ich bin für die Ukraine“, betont er, „aber nicht | |
patriotisch.“ Petrenko ist in gewisser Weise zerrissen von der Situation in | |
seinem zerrissenen Land – in dem er nicht lebt. „Ich bin Tourist, wenn ich | |
nach Hause fahre“, sagt Petrenko. | |
Wenn er nach M. kommt, fühlt er sich beäugt. Dann merkt er, dass er der | |
einzige Mann in seinem Alter ist, der durch die Straßen des Ortes geht. | |
Warum er nicht an der Front ist, scheinen die Blicke des 200-Seelen-Dorfes | |
zu fragen. Sie sprechen ihn nicht an, aber sie schauen. Fragen sich die | |
Menschen das wirklich, wenn sie Roman Petrenko sehen? Oder fragt er sich | |
das selbst? Ist es sein eigenes schlechtes Gewissen, das ihn ansieht, wenn | |
er in der Ukraine nur zu Besuch ist? | |
In Gedanken ist Roman Petrenko viel in der Ukraine. Wenn er in Berlin sitzt | |
und erzählt, wird sein Blick fern. Und manchmal, gesteht er, träumt er | |
davon, in seinen Geburtsort zurückzukehren und auf dem Hof seines | |
Großvaters Tomaten anzupflanzen. | |
Seine Mutter schüttelt darüber den Kopf. „Früher hast du immer nur davon | |
gesprochen, dass du raus aus der Provinz willst – und jetzt, wo du weg | |
bist, redest du so einen Unsinn!“ Svitlana Petrenkos blondes Haar wirkt wie | |
ein Kontrast zu Romans dunklem. Ein dünner Haarreif, mit Strass besetzt, | |
hält ihr die Stirn frei. Die Mutter hätte ihren Sohn am liebsten bei der | |
ukrainischen Polizei gesehen. Immerhin versteht sie sich als Patriotin. Sie | |
spricht von Sicherheit, von Stabilität, von Zukunft. Sie hatte Pläne für | |
ihn. | |
## „Unvorstellbar, eine Waffe in der Hand zu halten“ | |
Eine Frau im Alter seiner Mutter ist es auch, die im Büro der Universität | |
in Czernowitz sitzt, als Roman Petrenko im vergangenen Jahr dorthin | |
zurückkehrt. Er will doch noch einmal versuchen, das Zeugnis für seinen | |
ukrainischen Master abzuholen – ohne die Papiere aus dem militärischen | |
Büro. Mittlerweile ist sein Abschluss drei Jahre her. „Ein Studium ohne | |
Zeugnis ist verschwendete Zeit“, findet er. Die Frau in Czernowitz versteht | |
seine Situation. „Sie habe auch einen Sohn, sagte sie – und händigte mir | |
mein Zeugnis aus.“ | |
Auch Stanislav Kovalchuk ist sich sicher, dass er in diesem Krieg nicht | |
dienen will. Er hat kein schlechtes Gewissen. Was, wenn er eingezogen | |
würde? „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“ Der junge Mann schüttelt den | |
Kopf. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, eine Waffe in der Hand zu | |
halten, ich würde keinen Menschen umbringen.“ Den Krieg versteht Kovalchuk | |
nicht. „Es wird immer von den ukrainischen Werten gesprochen und dass wir | |
für diese Werte kämpfen sollen.“ Über die sozialen Netzwerke, durch die er | |
mit Leuten in seinem Land in Verbindung bleibt, wurde er nicht nur einmal | |
gefragt: Warum verteidigst du nicht unser Land? „Dann frage ich mich jedes | |
Mal, welche Werte ich damit verteidigen würde.“ Für ihn ist die Ukraine | |
kein Land, auf das er stolz sein kann. „Ich bin schwul“, sagt er, und: „D… | |
Ukraine ist sehr homophob.“ Es gebe auch schwule Soldaten in der Ukraine, | |
meint Kovalchuk, „die müssen für ein Land kämpfen, welches sie überhaupt | |
nicht akzeptiert.“ | |
Für ihn ist sicher: Zurück in die Ukraine will er nicht. „Ich fühle mich | |
dort fremd, nicht hier.“ Hier, in Berlin, feiert er ausgelassen den CSD mit | |
den anderen Tausenden Besuchern. Auf der Demo wehen keine nationalen | |
Flaggen, hier weht der Regenbogen. Und trotzdem: In Deutschland wird er | |
immer der Ukrainer sein, eine Bezeichnung, mit der er nichts mehr anfangen | |
kann. Immer wird er auf seine Herkunft angesprochen. „Der Krieg ist jetzt | |
zum Smalltalk und icebreaker geworden.“ Stanislav Kovalchuk rollt mit den | |
Augen. Er fühlt sich auf eine Nation reduziert, mit der er sich nicht mehr | |
identifizieren kann. „Ich denke, ich bin mehr als das!“ | |
Weggehen ist ein aktiver Akt. Ebenso wie bleiben oder wiederkehren. Und | |
jede Entscheidung hat ihre Folgen. In seine Heimat zurückgegangen ist der | |
Opernsänger Wassyl Slipak. Seit dem Abschluss seiner Ausbildung lebte und | |
arbeitete er in Paris. Zum Euromaidan kehrte er in die Ukraine zurück und | |
ging als freiwilliger Kämpfer in den Osten des Landes. 2016 wurde er dort | |
erschossen. Die ukrainische Regierung hat ihn posthum zum „Helden der | |
Ukraine“ erklärt. Wer für sein Land kämpft und besonders wer dafür stirbt, | |
wird geehrt – das ist die Nachricht, die damit an alle Lebenden gesendet | |
wird. | |
Roman Petrenko, der Junior-Leutnant, bleibt nicht in dem Land, in dem er | |
geboren wurde. Lebt nicht an dem Ort, den er „Zuhause“ nennt. Lieber | |
hangelt er sich in Deutschland von einem Visum zum anderen. Viel | |
Bürokratie, aber Hauptsache, nicht zurück. Und trotzdem: Nach Hause wird er | |
immer wieder fahren wollen. Trotz der Mundpropaganda, trotz der | |
Unsicherheiten. | |
Solange er studiert, hat Petrenko ein reguläres Visum in Deutschland. Über | |
Wasser hält er sich mit zahlreichen Jobs. Er hat geputzt. In Zehlendorfer | |
Villen. Nachts in Dönerläden. Derzeit jobbt er nebenher bei einem | |
Burger-Stand im Wedding. „Hier verdiene ich Geld, das reicht mir fürs | |
Erste“, sagt Roman. | |
Was ihm aber sein Berliner Leben darüber hinaus bringen wird, weiß er nicht | |
genau. Seit er in Berlin ist, macht er seine Pläne selbst. Das Wort Zukunft | |
hat hier einen anderen Klang, als wenn seine Mutter in der Ukraine darüber | |
spricht. Polizist wird er nicht, das weiß er. Soldat auch nicht. „Ich habe | |
irgendwie gefühlt, dass ich nicht so einer bin.“ Bestimmt sagt er: „Hier | |
bin ich auf einem Weg, auf welchem auch immer. Wenn ich mich bewege, komme | |
ich zu etwas.“ | |
27 Oct 2018 | |
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Ines Noé | |
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