# taz.de -- Erklärung zum Olympischen Frieden: Das Papier nicht wert | |
> Die UN-Vollversammlung verabschiedet wieder einmal eine Resolution zum | |
> Olympischen Frieden. Aber was bringt das eigentlich? | |
Bild: „Für Frieden, Solidarität und Respekt“: IOC-Chef Thomas Bach vor de… | |
Kürzlich hielt Thomas Bach eine Rede. In blumigen Worten brachte der Chef | |
des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) seine Botschaft rüber. | |
„Heute ist eine willkommene Gelegenheit, das Engagement des IOC für unsere | |
gemeinsamen Werte von Frieden, Solidarität und Respekt zu bekräftigen“, | |
sagte er vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, in | |
einem Saal, der stets so wirkt, als habe sich die internationale | |
Staatengemeinschaft in den Kulissen eines 60er-Jahre-Bond-Films | |
eingerichtet. | |
Aber nach Bach trat nicht etwa Lotte Lenya, Oddjob oder Dr. Kananga ans | |
Pult, sondern nur ein friedliebender Emissär der olympischen Gesellschaft, | |
der Japaner Yoshirō Mori, seines Zeichens OK-Chef der Spiele von Tokio. | |
„Sport hat die Kraft, die Welt und die Zukunft zu verändern“, säuselte der | |
ehemalige japanische Premier und erntete warmen Applaus. | |
Die beiden Herren waren in die USA gereist, um einen Resolutionsentwurf | |
vorzustellen, der unter den 193 UN-Mitgliedern so beliebt ist, dass ihn | |
fast alle ganz schnell – wenngleich manche auch mit schlechtem Gewissen – | |
ratifizieren. Es geht um die Absichtserklärung zum Waffenstillstand während | |
der Olympischen Spiele. Seit 1993 gibt es diese | |
Olympic-Truce-Resolutionen in schöner Regelmäßigkeit. | |
## Pause für Marodeure und Bombenwerfer | |
Die UN und das IOC, das in New York Beobachterstatus genießt, hinterlegen | |
die Bitte, während des größten Sportfestes der Welt doch bitte mit dem | |
Schießen, Morden und Brandschatzen aufzuhören, also wenigstens für ein paar | |
Wochen. Ganz entzückend wäre es, wenn die Marodeure, Bombenwerfer und | |
Scharfschützen sieben Tage vor den Spielen ihre Aktivitäten einstellten und | |
erst sieben Tage nach dem Ende der Paralympischen Spiele wieder damit | |
beginnen würden. | |
Wie so viele UN-Resolutionen ist die Erklärung zum Olympischen Frieden das | |
Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wird. Aber das war ja schon bei den | |
alten Griechen mit ihrer ékécheiria nicht anders. Als die olympische | |
Waffenruhe 776 vor Christus eingeführt wurde, damit die Athleten aus den | |
verschiedenen Landesteilen nach Olympia reisen konnten, ohne gemeuchelt zu | |
werden, war das eine feine Sache. | |
Aber, so berichtet der antike Geschichtsschreiber Thukydides, hielten sich | |
die Spartaner 420 v. Chr. schon nicht an das Gebot und wurden prompt von | |
den Spielen ausgeschlossen. Auch der Kaiser des Oströmischen Reiches, | |
Theodosius I., hielt nicht viel von den Ritualen der Griechen. Den | |
Sport-Spuk geißelte er als heidnisches Gedöns. | |
## Kontrapunkt zur Aggression der Nationalstaaten | |
Die Olympischen Spiele und ihr im Grunde antibellizistischer Impetus sind | |
erst in einer bürgerlichen Gesellschaft wieder groß geworden, gewissermaßen | |
als sublimer Kontrapunkt zum aggressiven Gebaren der Nationalstaaten. „Ich | |
meinerseits würde es sogar begrüßen, wenn mitten im Kriege die gegnerischen | |
Armeen einen Augenblick ihre Kämpfe unterbrächen, um Spiele der Muskelkraft | |
auf loyale und ritterliche (sic!) Weise zu begehen“, sagte Pierre de | |
Coubertin, der Begründer der neuzeitlichen Spiele. | |
Funktioniert hat das nie, sonst hätten im 20. Jahrhundert, dem wohl | |
blutrünstigsten in der Menschheitsgeschichte, so gut wie keine Olympischen | |
Spiele stattfinden dürfen oder zumindest mehr Sanktionen von | |
kriegstreibenden Staaten erfolgen müssen. Konfliktfrei war es auf dem | |
Globus nie, wenn das olympische Feuer in den Stadien brannte. Das IOC und | |
die veranstaltenden Länder bemühten sich redlich, trieben bisweilen | |
Symbolpolitik am Limit – mit den besten Absichten, aber letztlich ohne | |
Autorität. | |
Anders wäre es, wenn das IOC Nägel mit Köpfen machte und zum Beispiel die | |
größten Waffenexporteure und Waffenaufkäufer von den Spielen | |
ausschließen würde; Indien, China, die USA, Frankreich, Australien, Katar, | |
Ägypten, Italien oder Deutschland wären dann nicht mehr dabei. | |
Besonders bemüht haben sich die Griechen bei ihrer Neuauflage im Jahr 2004. | |
Sie haben der Welt das IOTC hinterlassen, das International Olympic Truce | |
Centre in Athen, das sich der guten Sache um den Weltfrieden widmet, es | |
aber nicht einmal schafft, sein „Foundation Board“ vollständig zu benennen; | |
„wohlbekannte Persönlichkeiten“ aus Afrika, Amerika oder Asien fehlen | |
beispielsweise in der Liste. | |
Auch die Macher in London (2012) rissen sich ein Bein aus. Baron Michael | |
Bates, Mitglied des britischen Oberhauses, wanderte 3.000 Meilen von | |
Olympia zurück an die Themse, für den Weltfrieden. Und als er ankam, | |
knatterten die Kalaschnikows in fernen Weltregionen immer noch. | |
Derzeit geht es in Syrien, Mexiko, Afghanistan, im Jemen, Irak, Kurdistan, | |
Nigeria, Mali oder Südsudan hoch her. Menschen sterben. Wohl auch während | |
der Olympischen Spiele in Tokio. Die Resolution A/RES/48/11 von 1993 und | |
ihre papiernen Nachfolger werden an diesem Zustand nichts ändern. | |
19 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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