| # taz.de -- Ende der Gaslaternen: Der Letzte macht das Licht aus | |
| > Der Abbau abertausender Berliner Gaslaternen ist beschlossene Sache. Ein | |
| > Verein kämpft dagegen an. | |
| Bild: Und aus: Berliner Nachthimmel ohne Gaslaterne. | |
| Wer in einer Berliner Sommernacht unter einer Gaslaterne innehält, kann es | |
| bisweilen erleben: ein kaum wahrnehmbares Schwanken der Helligkeit, eher | |
| ein Atmen als ein Flackern. Und der durch Turbulenzen im strömenden Gas | |
| hervorgerufene Effekt ist nicht die einzige Besonderheit dieses Lichts. | |
| Warm ist es und gelb – wie Honig, sagen manche. Es funkelt. Fast möchte man | |
| sagen: Gaslicht lebt. Dabei stirbt es gerade. | |
| Denn der Senat plant nichts Geringeres als die Abschaffung des riesigen | |
| Bestands an Gaslaternen. Bis 2020 will er das umsetzen: Dann sollen die | |
| allermeisten der rund 44.000 gasbetriebenen Straßenlaternen durch | |
| elektrische ersetzt worden sein. Punktuell hat der Abriss bereits begonnen. | |
| Dagegen stemmen sich Bürger, die das Gaslicht für ein erhaltenswertes | |
| Kulturgut und ein regelrechtes Berliner Wahrzeichen halten – auch wenn | |
| diese Beleuchtungstechnologie mehr Energie verbraucht als modernere | |
| Methoden. Diesen Samstag endet die Unterzeichnungsfrist für eine Petition, | |
| die den Verlust der Gasbeleuchtung aufhalten soll. | |
| ## Die „Gaslichtkieze“ | |
| Wenn Bertold Kujath über seine Leidenschaft spricht, verwendet er Begriffe, | |
| die man noch nie gehört hat: „Gaslichtkiez“ zum Beispiel. Gaslichtkieze, | |
| erklärt der Vorsitzende des Vereins Gaslicht-Kultur, der hinter der | |
| Petition steckt, das sind Viertel, deren Straßen flächendeckend mit Gas | |
| beleuchtet werden. Davon hat Berlin eine Menge, fast alle im Westteil. | |
| Kujath kennt jedes Detail der vier gängigen Gaslaternentypen: | |
| Modellleuchte, Aufsatzleuchte, Hängeleuchte, Reihenleuchte. Die | |
| Reihenleuchte ist die jüngste, sie wurde in den 1950er Jahren entwickelt, | |
| als entschieden wurde, das Westberliner Gasnetz nicht stillzulegen wie in | |
| den meisten westdeutschen Städten. In der Blockadestadt wollte man nicht zu | |
| sehr vom Stromimport abhängig sein. | |
| Jetzt sollen die Reihenleuchten als erste von ihren Peitschenmasten geholt | |
| werden – vielleicht auch, weil sie nicht die nostalgische Anmutung der noch | |
| von Schinkel entworfenen Modellleuchten haben. Für Kenner ist die | |
| Reihenleuchte mit ihrem tropfenförmigen Glaskörper eine Ikone moderner | |
| Stadtmöblierung – elegant, aber aus robusten Materialien gefertigt. | |
| Auch die Reihenleuchte will Bertold Kujath retten. Aber der 52-Jährige, der | |
| am Treffpunkt an einem großen Gaskandelaber in der Charlottenburger | |
| Schloßstraße mit langem Haar unterm Helm auf dem Fahrrad erscheint, wirkt | |
| ohnehin nicht wie einer, der die gute, alte Zeit verklärt. Er will nur | |
| nicht, dass ein Kulturdenkmal vernichtet wird: „Die Gasbeleuchtung ist ein | |
| wichtiges Zeugnis innovativer Berliner Industriegeschichte“, sagt er, „sie | |
| würde sogar den Status eines Weltkulturerbes rechtfertigen.“ | |
| Der gebürtige Berliner ist so lange mit dem Thema vertraut wie kaum ein | |
| anderer: Schon 1985 sollten Westberlins Gaslaternen abgeschafft werden – | |
| nicht in einem Rutsch, sondern nach und nach im Rahmen von | |
| Straßensanierungen. Kujath und andere gründeten eine Bürgerinitiative, aus | |
| der später der Verein hervorging, sie sammelten Unterschriften und | |
| erkämpften den Stopp von bevorstehenden Laternenabrissen in Tempelhof und | |
| Charlottenburg. Nach der Wende beschloss das Abgeordnetenhaus: Die | |
| Gasbeleuchtung sei langfristig zu erhalten. | |
| Bei diesem Beschluss aber blieb es nicht. Vor einigen Jahren wurden wieder | |
| Stimmen laut, den Gashahn zuzudrehen. Inzwischen waren Argumente | |
| hinzugekommen: Es ging um Energiebilanzen und Klimaschutz. 2007 beschloss | |
| die rot-rote Koalition das Ende der Gaslaternen bis 2020. Diese Position | |
| überstand auch den Regierungswechsel im vergangenen Herbst. Unter der | |
| Überschrift „Berlin im richtigen Licht“ heißt es nun in der rot-schwarzen | |
| Koalitionsvereinbarung: „Aus klimapolitischen Gründen, wie auch wegen der | |
| Kostenentwicklung wird die Koalition den Gasleuchtenbestand auf | |
| Elektroleuchten umrüsten, mit Ausnahme der historischen und | |
| denkmalgeschützten Gasleuchten.“ | |
| Ein kleiner Restbestand soll also erhalten bleiben. „Wir wollen versuchen, | |
| von jeder Leuchtenart etwas zu bewahren“, sagt Petra Rohland, Sprecherin | |
| von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD). „Aber die Stadt muss | |
| kein Museum werden.“ Umweltschutz habe heute „eine Größenordnung, die man | |
| vor 50 Jahren nicht bedacht hat“. Deshalb, so Rohland, sei die Entscheidung | |
| richtig, auch wenn die Kritik lauter werde. | |
| Rohland kann den Modernisierungdruck mit Zahlen begründen. Sie rechnet vor: | |
| Die noch vorhandenen rund 8.000 Gasreihenleuchten verbrauchen im Jahr 48,7 | |
| Gigawattstunden (GWh), elektrisch betriebene Laternen – bei gleichem | |
| Beleuchtungsniveau – nur 1,4 GWh. Auf die Energiekosten und die einzelne | |
| Leuchte heruntergebrochen bedeute das: 550 Euro pro Laterne und pro Jahr. | |
| Die zum Ersatz erkorenen Elektrolampen, Modell „Jessica“, schlügen gerade | |
| mal mit 50 Euro zu Buche. Zudem müssten die Gasglühkörper – vulgo: | |
| Glühstrümpfe – in Indien gekauft werden, weil sie hierzulande niemand mehr | |
| herstelle. „Das ist doch ein Wahnsinn.“ | |
| Gasleuchten-Aktivist Kujath könnte angesichts solcher Rechnungen senkrecht | |
| den Mast hochgehen. „Auf diese Zahlen kommen wir nicht“, sagt er und | |
| erklärt das auch: Die Verwaltung komme auf 550 Euro, weil sie den | |
| Gasverbrauch einer neunflammigen Reihenleuchte zugrunde lege. Der größere | |
| Teil der Reihenleuchten arbeite aber nur mit vier oder sechs Glühstrümpfen | |
| und verbrauche entsprechend weniger. Für Berlins häufigsten Leuchtentypus, | |
| die Aufsatzleuchte, gelte das sowieso. Aber Kujath hält ohnehin wenig von | |
| der Informationspolitik der Behörden: „Der Senat macht seine Berechnungen | |
| nicht transparent. Nachprüfen kann man das alles kaum.“ | |
| Auch einen logischen Fehler hat Kujath in der Argumentation der | |
| Senatsverwaltung entdeckt: „Gas ist eine Primärenergiequelle, die in der | |
| Leuchte eins zu eins in Licht umgewandelt wird“, erklärt er. Werde mit | |
| Strom geleuchtet, fielen aber zwei Umwandlungsprozesse an: die des | |
| Energieträgers in elektrischen Strom und die des Stroms in Licht. Eine | |
| Rechnung, die Felix Serick vom Fachbereich Lichttechnik an der TU Berlin | |
| bestätigen kann – auch wenn die Energiebilanz der Gasleuchten eindeutig | |
| schlechter ausfällt: „Bei der Verwendung modernster LED-Technik dürfte die | |
| Lichtausbeute 25-mal höher ausfallen als bei einer Gasleuchte“, schätzt | |
| Serick. Wobei noch offen ist, wann in Berliner Straßenlaternen tatsächlich | |
| LEDs leuchten. Modell „Jessica“ arbeitet mit quecksilberhaltigen | |
| Leuchtstoffröhren. | |
| Was Serick ebenfalls bestätigen kann: Gasleuchten erzeugen ein angenehmes | |
| Licht: „angenehm schummrig“, um genau zu sein. Ein klarer Vorteil der | |
| Gasverbrennung ist dabei das kontinuierliche Farbspektrum, das der Qualität | |
| von Sonnenlicht ähnelt – natürlich unendlich viel schwächer. | |
| Leuchtstofflampen dagegen mischen letztlich nur Primärfarben, um den | |
| Eindruck „weiß“ zu erzeugen. Auch die LED-Technik arbeitet so, weiß Serick | |
| – wobei der Trick darin bestehe, blaues Diodenlicht durch Leuchtstoffe zu | |
| schicken, die rote und gelbe Komponenten hinzufügen. Die Lichtausbeute, das | |
| nur am Rande, leidet darunter freilich wieder. | |
| Dem Laien erschließt sich schnell, dass die Frage „Gaslicht oder nicht?“ | |
| nicht so einfach zu beantworten ist. In Sachen Ästhetik liegt das Gas | |
| vorne, während der energetische Nachteil offenkundig ist. Andererseits: Wie | |
| groß ist eigentlich der Energieaufwand, mit dem die Elektroleuchten her- | |
| und aufgestellt werden? Immerhin muss man Hunderte Straßen und Gehwege | |
| aufbaggern, Material transportieren, Leitungen verlegen, Schrott entsorgen. | |
| Wann amortisiert sich da rein klimatechnisch die anschließende Ersparnis? | |
| Und wenn man die Gasleuchten mit Biogas betriebe? Kujath hat noch ein | |
| Öko-As im Ärmel: Gaslicht schont die Fauna. Im Gegensatz zu Licht aus | |
| Leuchtstoffröhren oder LEDs hat es praktisch keinen UV-Anteil. Viele | |
| Insekten können aber nur ultraviolettes Licht sehen. Deshalb schwirren sie | |
| sich an elektrischen Lampen massenhaft zu Tode. Um Gaslaternen kreisen | |
| keine Falter. | |
| Die Petition „Gaslicht ist Berlin!“ befindet sich im Endspurt, bis Samstag | |
| wird Bertold Kujath vermutlich rund 15.000 Unterschriften gesammelt haben. | |
| Dass der Senat deshalb seine Politik über den Haufen wirft, glaubt auch er | |
| nicht. Die Petition fordert ja auch nur ein Abbau-Moratorium und einen | |
| „Masterplan Gaslicht“, den Fachleute und Bürger erarbeiten sollen. Am Ende | |
| könnte immer noch eine Reduzierung des Gasleuchtenbestands stehen – aber | |
| eben auch der Erhalt geschlossener „Gaslichtkieze“ ohne „weiße | |
| Lichtschneisen“ aus Elektrolicht. Mit welchem Restbestand sein Verein leben | |
| könnte? „Da legen wir uns zahlenmäßig nicht vorher fest“, betont Kujath.… | |
| weiß inzwischen einige namhafte Organisationen hinter sich, wie die | |
| Stiftung Denkmalschutz und den europäischen Denkmalschutzverband „Europa | |
| Nostra“. | |
| Als „Stimmungsbarometer“ betrachten die Gaslicht-Aktivisten ihre Petition. | |
| Könnte ein Volksbegehren folgen? In der Senatsverwaltung wartet man | |
| gelassen ab. Sprecherin Rohland bezweifelt, dass „eine stadtweite Mehrheit | |
| bereit wäre, viele Millionen Steuergelder auszugeben“, die sich durch | |
| Umrüstung einsparen ließen. „Da gibt es drängendere Probleme.“ Bertold | |
| Kujath für seinen Teil will sich nicht festlegen „Das ist noch offen“, sagt | |
| er, „wir werden das diskutieren“. Er klingt nicht abgeneigt. | |
| ## Online zur Petition: | |
| 13 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prösser | |
| ## TAGS | |
| Wladimir Putin | |
| LED | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Dimmen für den Frieden: Putin ist keine helle Leuchte | |
| Um Gas zu sparen, wollen die Berliner Grünen die Straßenlaternen abdunkeln. | |
| Blöd nur, dass da auch noch die Gaslaternenversteher sind. | |
| Umrüstung von Straßenlaternen: Gas stromt langsam aus | |
| Die Umrüstung der alten Gaslaternen auf LED-Technik zieht sich wohl noch | |
| bis 2017 hin. Erwartete CO2-Einsparung liegt bei 25.000 Tonnen pro Jahr. | |
| Straßenbeleuchtung: Der Letzte macht das Gaslicht aus | |
| Drei Jahre nach dem Senatsbeschluss sollen bald 8.400 sogenannte | |
| Peitschenmasten von Gas auf Strom umgerüstet werden. Verein fürchtet um | |
| Kultur. | |
| Strom statt Gas: Berlin spart sich die alten Laternen | |
| 8.400 Gaslaternen werden peu à peu durch Stromleuchten ersetzt, die | |
| wesentlich billiger und umweltfreundlicher sein sollen. Die Freunde der | |
| alten Laternen sind entsetzt. |