# taz.de -- Die Niederlagen von Friedrich Merz: Ein Herz für Merz | |
> Der selbsternannte Mittelständler aus dem Sauerland hat viele Merkmale. | |
> Neben 90er Jahre-Flair ist sein markantestes: mangelnde Affektkontrolle. | |
Bild: Immer geraderaus: Friedrich Merz im Dezember gewohnt unbeschwert – und … | |
Zwischendurch hatten wir uns kurz mal ein bisschen erschrocken. Da hatte | |
Friedrich Merz Ende Oktober letzten Jahres wegen der Verschiebung des | |
CDU-Parteitags [1][angesichts der steigenden Coronazahlen getwittert]: „Es | |
läuft seit Sonntag der letzte Teil der Aktion ‚Merz verhindern‘ in der CDU. | |
Und das läuft mit der vollen Breitseite des Establishments hier in Berlin.“ | |
Plötzlich klang der biedere [2][Neunziger-Jahre-Mann] wie eine Art | |
Sauerland-Trump, der als millionenschwerer Geldsack im Privatflieger gegen | |
die Eliten wettert, die das einfache CDU-Wahlvolk mit fadenscheinigen | |
Mitteln um den greatest Vorsitzenden ever bringen wollen. | |
Dumm nur, dass nicht immer, wenn jemand sich wie ein verwöhntes Einzelkind | |
aufführt, das es gewohnt ist, seinen Willen sofort und nicht erst zu | |
Weihnachten erfüllt zu bekommen, die Leute gleich den dringenden Wunsch | |
verspüren, das Kapitol zu stürmen – oder doch wenigstens das | |
Sauerland-Museum in Arnsberg. | |
Zum einen sind die Delegierten des CDU-Parteitags halt weniger | |
Establishment als vielmehr Kreisvorsitzende von | |
Villingen-Schwenningen-West, die zuvor im kunstholzvertäfelten Hinterzimmer | |
des „Lustigen Landmanns“ gewählt wurden – von sechzigjährigen Kaufleuten | |
und verrenteten Gemeinderatsvorsitzenden, die dann eben doch die Triage | |
bedrohlicher als das Trio Merkel/Laschet/Kramp-Karrenbauer finden. | |
## So einer will lenken? | |
Zum anderen hätte Merz statt auf seine eigenen Befindlichkeiten besser auf | |
die Infektionslage geschaut – undenkbar, dass die Präsenzveranstaltung im | |
Dezember hätte stattfinden können, und im Nachhinein müsste er der | |
Parteiführung dankbar sein, dass sie seinem terminlichen Beharren nicht | |
nachgegeben hat. Wenn vier Wochen später das Unvermeidliche doch | |
eingetreten wäre, wäre jedem klar gewesen, dass Merz die | |
Coronawachstumszahlen einfach nicht richtig kapiert hat. Und so einer will | |
globale Wirtschaftsentwicklungen lenken? | |
Gut möglich also, dass diese unüberlegte Bemerkung Merz die entscheidenden | |
paar Stimmen gekostet hat, weil sie manch Delegierte dann doch dazu bewogen | |
hat, lieber den langweiligen, aber wenigstens halbwegs selbstbeherrschten | |
Armin Laschet zu wählen. | |
Wie überhaupt mangelnde Affektkontrolle rückblickend [3][das markanteste | |
Merkmal der Merz-Kampagne] war. Kaum fragt ihn jemand etwas zu | |
Homosexuellen, purzeln ihm Gedanken über Pädophile aus dem Kopf – da hat | |
vermutlich selbst Alice Weidel pikiert den Kopf gesenkt. | |
Als Merz in der Debatte um Lockdownlockerungen darauf beharrte, der Staat | |
habe sich nicht einzumischen, wie er mit seiner Familie Weihnachten feiert, | |
mag auch manch knallkonservative Parteifreundin aus der Hochrisikogruppe | |
kurz überlegt haben, ob ihr da das Leichenhemd nicht vielleicht näher ist | |
als der wirtschaftsliberale Rock. Ganz zu schweigen von der vielleicht | |
nicht völlig durchdachten Äußerung, er könne schon deshalb kein | |
Frauenproblem haben, weil er mit einer Frau verheiratet sei. Da dürfte | |
sogar Kristina Schröder ein jäh aufblitzendes emanzipatorisches Verlangen | |
gespürt haben. | |
## Ein Bonbon für den Loser | |
Aber ist das nicht eigentlich sympathisch? Statt stets auf seine | |
Außenwirkung zu achten, lässt Merz einfach alles raus. Wie man einem Kind | |
schließlich auch einen Bonbon zum Trost gibt, wenn es hingefallen ist, | |
[4][verlangte er nach der verlorenen Wahl prompt quasi als Schadensersatz | |
wenigstens das Wirtschaftsministerium.] | |
Das passt so gar nicht zum Bild des kaltherzigen Neoliberalen. Scheitern | |
als Chance! Klar, er hat’s versemmelt, aber er hat sich stets bemüht! Und | |
von wegen Mini-Trump – bei Merz darf der Loser sogar Minister werden! Ein | |
bisschen gerührt ist man da schon. Fast möchte man ihm beruhigend über das | |
Köpfchen streichen. Es wird schon alles wieder gut. Nimm dir erst mal ein | |
paar Tausender von deinem gehobenen Mittelschichtskonto und kauf dir was | |
Schönes. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. | |
Kein Wunder, dass Merz nun nur noch von ähnlich tiefergelegten Trotzlöffeln | |
verteidigt wird. Ulf Poschardt beklagt in der Welt die „Häme“, die über d… | |
Verlierer ausgeschüttet wird, und Claus Strunz verlangt in der Bild | |
folgerichtig, dass Merz nun in die FDP eintreten müsse, denn: „Merz und | |
Lindner wären die zwei gegen den Rest der Schwarz-Grün-Rot-Blau-Links-Welt, | |
die Deutschland droht. Oder anders gesagt: die Achse der Vernunft.“ | |
Und in der Tat: Zum ähnlich unkontrolliert plappernden Profi Lindner würde | |
Merz perfekt passen. Solange dann beide lieber nicht regieren als schlecht | |
regieren, wäre das wirklich nachgerade vernünftig. | |
20 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/_friedrichmerz/status/1320776688272289792 | |
[2] /CDU-und-Konservativismus-in-Deutschland/!5741702 | |
[3] /Maenner-Debatte/!5738674 | |
[4] /CDU-und-Konservativismus-in-Deutschland/!5741702 | |
## AUTOREN | |
Heiko Werning | |
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