# taz.de -- Die Kunst des Zeichnens: Bartstoppeln und Zigaretten | |
> Das comichafte Spätwerk des US-amerikanischen Malers Philip Guston ist in | |
> der Sammlung Falckenberg zu sehen. | |
Bild: Schuh wird Mond wird Brot: Philipp Gustons "Aegean". | |
Die Hand kommt aus blauen Wolken und zeichnet auf die braune Erde. Es ist | |
eine starkgeäderte linke Hand und heraus kommt nur eine gerade, schwarze | |
Linie. Das scheint nicht gerade ein unmäßig komplexer oder gelungener | |
göttlicher Entwurf. Aber immerhin: Der zum Zeitpunkt dieses Bildes | |
65jährige Maler Philip Guston mag sich und uns daran erinnern, dass alle | |
Kunst mit einem Strich beginnt. Das andere Bild einer zeichnenden Hand in | |
dieser Ausstellung in der Harburger Sammlung Falckenberg, ist eine | |
ebenfalls linke, deutlich kleinere Hand, die eigenartige Ähnlichkeit mit | |
einer Pfote hat. An sie knüpft der amerikanische, hochgehandelte und in den | |
berühmtesten Museen vertretene Maler die Frage, was wohl die frühen | |
Menschen vor mehr als 25tausend Jahren bewegt hat, überhaupt mit Kunst zu | |
beginnen. | |
Nun liegt es auf den ersten Blick keineswegs nahe, an diese comichaft | |
vereinfachten Bildzeichnungen das tiefschürfende System kunsthistorischer | |
Interpretation anzulegen. Doch Blockheads mit Zyklopenaugen und qualmenden | |
Zigaretten, Mauern und haarige Beine, Ku-Klux-Klan-Mützen, einsame Uhren | |
und viele Schuhsohlen schreien schon nach einer Erklärung, so einen diese | |
grob gemalten Bilder nicht gleich gänzlich abschrecken. Wobei nicht einmal | |
sicher ist, ob in diesen Begriffen das Dargestellte überhaupt erfasst ist: | |
Oft ist nicht wirklich klar, ob das gemalte Ding da eine Schrifttafel, ein | |
Toast oder ein Hochhaus ist. Jedenfalls ist hier eine surrealistische | |
Metamorphose erlaubt: „ … man malt einen Schuh, der wird zum Mond und dann | |
zu einer Scheibe Brot“, sagt Philip Guston. Zu allem kommt ein | |
ungewöhnlicher Umgang mit der Farbe: Das immer wieder eingesetzte | |
Cadmiumrot wird mit viel Weiß gelegentlich zu einem aufdringlich fiesen | |
Rosa. Und die den Betrachtern zugewandte genagelten Schuhsohlen haben | |
gerade in Rosa eine ziemlich unangenehme Ausstrahlung. Es ist ein ebenso | |
schräger Farb-Form-Kontrast wie die rosa Totenschädel aus dem Spätwerk des | |
belgischen Protosurrealisten James Ensor. Immer wieder massenhaft Schuhe: | |
Beziehen die sich nun auf militärische Gewalt, auf den Kontakt zur Erde, | |
auf eine asiatische Form der Beleidigung oder die Schuhstapel von | |
Auschwitz? | |
Wo die Bilder so viel reden, ohne dass man weiß, worüber eigentlich, kann | |
es hilfreich sein, in der ungewöhnlichen Biographie dieses Künstlers zu | |
stöbern. Philip ist das jüngste von sieben Kindern, als er 1913 in Montreal | |
geboren wird, seine sind Eltern sind die Goldsteins, Emigranten aus Odessa. | |
Die Familie geht 1919 nach Kalifornien, bleibt aber arm. Sie halten sich | |
teilweise mit Lumpensammeln über Wasser. Mit zehn Jahren findet der junge | |
Philip seinen Vater erhängt auf dem Dachboden, ein lebenslanges Trauma. | |
Schon das Kind hat ein besonderes Zeichentalent, als 12jähriger kopiert er | |
Cartoons und belegt einen Fernkurs an der Cleveland Scholl of Cartooning. | |
Mit 15 freundet er sich an der High-School mit Jackson Pollock an und | |
beginnt Geld als Komparse in Hollywood zu verdienen. Mit 17 erhält er ein | |
Stipendium an der Otis Art Institute in Los Angeles, lässt sich von Giorgio | |
de Chirico, Pablo Picasso und den mexikanische Muralisten anregen und malt | |
politische Bilder. Mit 18 hat er seine erste Einzelausstellung. | |
Ab 1935 lebt er in New York, ändert seinen Namen von Goldstein in Guston | |
und malt vor allem politische Wandbilder. Nach einer Reise ins | |
Nachkriegseuropa wird er in den in den 50er Jahren in seinem dann „zweiten | |
Leben“ zu einem der Führenden Abstrakten Expressionisten. Er gehört zum | |
Kern der New York School um de Kooning, Rothko, Kline, Motherwell und | |
Newman, ist mit John Cage und Morton Feldman befreundet. Er unterrichtet, | |
nimmt an documenta II teil und erhält 1962 als Krönung eine Retrospektive | |
im Solomon R. Guggenheim Museum. Doch dann kommt die Krise. Er verwirft die | |
Abstraktion und beginnt nach einer Malpause mit seinem „dritten Leben“ als | |
neofigurativer Maler. Die New Yorker Kritik ist entsetzt über den Verrat, | |
viele Freunde wenden sich ab. Er zieht sich ins drei Stunden entfernte | |
Woodstock zurück und wird zu einem Geheimtipp. Erst ab 1978 ergeben sich | |
wieder größere Ausstellungen und erst kurz nach seinem Tod 1980 wird er | |
langsam weltweit geschätzt und sogar zum Vorbild einer neuen Malerei. | |
Es ist also durchaus möglich, diese so sperrigen Bilder ganz verschieden zu | |
analysieren. Man kann nach der schlimmen Kindheit suchen oder nach dem | |
speziell jüdischen Witz, die Semiotik des Comics anwenden oder den | |
politischen Protest finden – Guston interessierte sich für die Texte zur | |
Banalität des Bösen, zeichnete eine umfangreiche Serie gegen Richard Nixon | |
und war Vietnamkriegsgegner. Auch gibt es immer wieder Spuren in die | |
Literatur: Guston schätzte Valery, Kafka und Isaac Babel. In etwa 100 | |
„Poem-Pictures“ kombinierte er Lyrik und Zeichnung – einige Exemplare sind | |
in der Ausstellung präsent. Bei einem so furios abstrakt-surrealen Bild wie | |
„To J.S.“ von 1977 ist es gut zu wissen, dass es sich auf das Gedicht von | |
Jules Supervielle über die bluttrinkenden „Pferde der Zeit“ bezieht. | |
Gerne wird auch die Malerei der Renaissance zur Bilderklärung herangezogen: | |
Guston war dreimal, oft monatelang in Italien und er hat Maler wie Giotto, | |
Massacio oder Piero della Francesca immer wieder als seine Heroen benannt. | |
Es ist ein Vorteil der notwendigen Führungen in der Sammlung Falckenberg, | |
dass solche Zusammenhänge angesprochen werden können. Und doch hilft all | |
das letztlich nur wenig. Guston selbst hat sich trotz vieler Lehraufträge | |
immer geweigert, seine Bilder zu erklären, er fand Stilfragen wenig | |
nützlich und behauptete stets, seine drei verschiedenen Produktionsphasen | |
seien im Grunde dasselbe. | |
Es ist wahrscheinlich die herausragendste Qualität dieser kratzbürstigen | |
Bilder, einem freundlichen Einverständnis nicht zur Verfügung zu stehen. | |
Diese Bartstoppel-Schuhsohlen-Welt vermag nachhaltig zu irritieren, was der | |
Malerei heute sonst eher selten gelingt. Wie Philip Guston zwei Jahre vor | |
seinem Tod in einer Vorlesung an der Universität von Minnesotaa sagte: „Die | |
Bilder verblüffen mich auch. Und dafür male ich.“ | |
## Philip Guston – das große Spätwerk, Deichtorhallen – Sammlung | |
Falckenberg, Harburg, Wilstorfer Str.71. Besuch nur mit Führung: Do + Fr 18 | |
Uhr, Sa 15 und So 12, 15 + 17 Uhr. Anmeldung: Tel 32506762 oder | |
www.deichtorhallen.de/fuehrungen. Bis 25. Mai. Katalog im Verlag Strzelecki | |
Books, 156 Seiten, 26 Euro. | |
5 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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