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# taz.de -- Deutsch-chinesisches Gesprächsforum: Verlassen Sie nicht den Tisch!
> Deutsche und chinesische Intellektuelle diskutieren ganz friedlich über
> Menschenrechte, Kapitalismus und Übersetzbarkeit. Naja, nicht ganz
> friedlich.
Bild: Ort der Verständigung: Nilpferdskulptur vor dem Schloss Neuhardenberg.
NEUHARDENBERG taz | Missverständnisse sind eine heikle Sache. Im Alltag wie
in der Politik führen sie mitunter zu Konflikten, sie können aber ebenso
überraschende Einsichten hervorbringen. Im Grunde fängt da, wo die
reibungslose Verständigung aufhört, die Kommunikation eigentlich erst an.
Etwa dann, wenn Deutsche und Chinesen aufeinandertreffen, um sich
auszutauschen.
„Warum wir einander nicht verstehen“ war denn auch das Deutsch-chinesische
Gesprächsforum überschrieben, zu dem das Goethe-Institut China und das
Institut für Philosophie an der Chinese Academy for Social Sciences
vergangenes Wochenende ins Schloss Neuhardenberg geladen hatten.
Der Titel war keinesfalls resignativ gemeint, vielmehr brachte er die
Vorstellung zum Ausdruck, dass selbst da, wo man keinen gemeinsamen Nenner
erwartet, ein Dialog möglich und sinnvoll ist. Zur Gesprächsrunde, die im
Rahmen des Kulturjahrs Chinas in Deutschland veranstaltet wurde, waren als
Diskussionspartner namhafte Intellektuelle angereist, darunter der
chinesische Literaturwissenschaftler Wang Hui, der Filmemacher Alexander
Kluge, der französische Sinologe François Jullien oder der indische
Kulturwissenschaftler Homi Bhabha. Gemeinsam bemühte man sich am
buchstäblich runden Tisch, „die Mauer der Verständnislosigkeit“ zu
durchbrechen, wie der deutsche Moderator und taz-Autor Georg Blume eingangs
angemahnt hatte.
## Es ist gefährlich, nicht zu reden
Die Wichtigkeit des Treffens unterstrich Blume mit einem Hinweis auf den
aktuell eskalierenden Streit zwischen Japan und China um die unbewohnten
Senkaku-Inseln, die beide Länder für sich beanspruchen. Es sei gefährlich,
wenn Regierungen nicht miteinander reden – in diesem Fall beruhe der
Konflikt zum Teil auf unterschiedlichen Geschichtsauffassungen beider
Länder, über die man sich nicht verständige.
Unterschiedliche Auffassungen von akademischen Debatten hingegen machten
sich in den Vorträgen und Diskussionsbeiträgen der Referenten bemerkbar. So
beschrieb Wang Hui, der Wortführer der Neuen Linken Chinas, in seinem
Vortrag die „neue Armut“ in China mit seinen rund 300 Millionen
Wanderarbeitern unter den Bedingungen des Kapitalismus und sprach sich für
eine „Politik der Würde“ aus, die auch den Begriff der Arbeit
berücksichtige.
Da er in diesem Zusammenhang die chinesischen Gewerkschaften als „Waffe“
bezeichnet hatte, wollte Blume ihn mit der Frage provozieren, ob man die
Gewerkschaften in China denn „verbieten“ solle. Worauf Wang Hui bloß
verlegen erwiderte, dies sei eine große Frage, die er lieber später
beantworten wolle. Stattdessen musste ihm dann Alexander Kluge zur Seite
springen und bekräftigen, die Gewerkschaften seien in China wichtig für den
Kampf der Arbeiter.
Eindeutigere Stellungnahmen kamen von den chinesischen Lyrikern Xiao Kaiyu
und Yiang Lian, die sich beide für die Wahrung der Menschenrechte in China
aussprachen. Umgekehrt äußerten sowohl Homi Bhabha als auch François
Jullien in ihren Vorträgen grundsätzliche Kritik an universalistischen
Ansätzen. Was Blume so stark irritierte, dass er Bhabha und Jullien
aufforderte, genauer dazulegen, wie ihre Kritik des Universalismus in
Zusammenhang mit der Erklärung der Menschenrechte zu verstehen sei. Vorher
dürften sie nicht den Tisch verlassen. Erwartungsgemäß bekannten sich beide
zu den Menschenrechten.
## Eigene Theorie
Wie abweichend die Debatte um die Menschenrechte in China geführt wird,
konnte man schließlich bei dem Philosophen Zhao Tingyang erfahren, der
seine eigene Theorie der Menschenrechte vorstellte. Menschenrechte, so
seine These, stünden zwar jedem Menschen zu, aber lediglich als „credit
rights“, also als Rechte auf Kredit. Sobald man die Menschenrechte eines
anderen verletze, verliere man seine eigenen Rechtsansprüche.
Unverständnis für diese Position äußerten nicht nur der Komponist Helmut
Lachenmann und die Schriftstellerin Monika Maron, die ebenfalls auf dem
Podium saßen. Wer denn diesen Kredit gewähre, wollte auch der chinesische
Moderator Xiong Peiyun wissen. Gott, die Partei oder das Volk?
Vielleicht, so konnte man nach Zhao Tingyangs Beitrag vermuten, werden die
Menschenrechte in China tatsächlich anders verstanden als in Europa, werden
die Gedanken Kants, auf den Zhao sich berief, einfach anders übersetzt:
„Übersetzung ist immer ein Risiko, das man aber auf sich nehmen muss“,
hatte Homi Bhabha in seinem Beitrag gefordert.
Das galt auch für die Veranstaltung, die in vier verschiedenen Sprachen
abgehalten wurde und bei der die Dolmetscher gelegentlich an die Grenzen
der Übersetzbarkeit zu stoßen schienen. Doch, um es noch einmal mit einem
der wohlklingend orakelnden Sätze Bhabhas zu sagen: „Unübersetzbarkeit
sollte nicht als etwas Falsches abgelehnt werden. Sie ermöglicht es uns zu
übersetzen – nicht das, was transparent ist.“
23 Sep 2012
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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