# taz.de -- Der Bremer Streit um die Makaken: Die Stadt der Affen | |
> Nach mehr als einem Jahrzehnt Dauerstreit will Bremen seit Jahren | |
> laufende Tierversuche beenden. Die Uni und der Neurowissenschaftler | |
> Andreas Kreiter haben Klage eingereicht. | |
Bild: Der Makaken-Affe sieht während des Tierversuchs nicht sonderlich erfreut… | |
Die Affen haben Bremen erobert. Überall sind sie: Dicht vorm Bahnhof, das | |
Hominiden-Denkmal, das sind die sichtbarsten, kolossale vier Meter in | |
Bronze, ein echter Immendorff, und eine zweite Version seines Affentors | |
ragt auch noch, kein Stück kleiner, vor der Sparkasse gen Himmel. Die | |
meisten aber hangeln sich im Verborgenen, hinter verschlossenen Türen, | |
unsichtbar, wie eine gut kaschierte Obsession. Sie bewohnen Bürgerhäuser, | |
sie okkupieren Ämter. Selbst im Dom kauern steinerne Äffchen. Man muss nur | |
hinsehen. Sie sind überall. | |
Auch in den Köpfen: Die ganze Stadt spricht von den Makaken an der Uni, | |
immer wieder, seit elf Jahren. Und immer wieder hat sich der Landtag mit | |
den neurobiologischen Affenversuchen befasst. Nur der Senat schweigt | |
momentan. Er hat bereits gehandelt und die Versuch verboten. "Derzeit gibt | |
es kein Statement", sagt der Sprecher, "mir bricht es selbst das Herz." | |
Die Uni und der Forscher haben Widerspruch gegen das Verbot angemeldet. | |
Jetzt liegt die Sache bei Gericht. In der Hauptsache wird irgendwann im | |
kommenden Jahr verhandelt. Aber wenn es bis zum 28. November keine | |
einstweilige Anordnung beschließt, ist es wohl schon früher aus mit den | |
Makaken in Bremen. | |
So ein Negativbescheid hat die unscheinbare Gestalt eines Formbriefs. Das | |
Schreiben ist geheim, aber es lässt sich weitgehend rekonstruieren: Es ist | |
klar, dass es aus dem Referat für Veterinärwesen in der Gesundheitsbehörde | |
stammt. Der Adressat: Prof. Dr. Andreas K. Kreiter, Zentrum für | |
Hirnforschung, Uni Bremen. Etwas über "erhebliches Leiden" muss drin | |
gestanden haben. Und die Kernbotschaft lautet: "Der Antrag wird abgelehnt." | |
Das war zu erwarten, und ist trotzdem eine Sensation. Noch kein Bundesland | |
hat laufende Tierversuche beendet. Dass Bremen das wagen sollte, hatte der | |
Landtag vergangenes Jahr einstimmig beschlossen, es war ein beliebtes | |
Wahlversprechen, als Politikziel stehts im rot-grünen Koalitionsvertrag. | |
Und auch 100 Tage nach Amtsantritt hatte der Bürgermeister wiederholt: | |
"Meine Abwägung führt dazu, dass wir aus den Affenversuchen aussteigen | |
müssen." | |
Ja, damals sprach er noch darüber. Die Wissenschaftsfreiheit? "Sie steht im | |
Grundgesetz. Wir werden sie respektieren." Jens Böhrnsen, so heißt der | |
Bürgermeister, ist SPD-Mitglied fast von Geburt an. Seine Stimme klang | |
sanft, als er das sagte, und er saß dabei am wuchtigen Tisch im Amtszimmer | |
des Rathauses, das Gesicht von der Leselampe zur Hälfte nur erhellt. Die | |
Tapete im Amtszimmer ist aus dunklem Leder, schwelgerischer Jugendstil: Im | |
Dämmerdunkel glänzen geprägte tropische Bäume, Vögel - und Affen. In Gold. | |
Der Morgen ist zu warm für November, 16 Grad und Dauerregen, draußen | |
herrscht noch tiefes Dunkel. Andreas Kreiter, ein Schlacks mit schütterem | |
Haar, war dem Besucher im Büro entgegengeeilt, der Händedruck ist herzlich: | |
"Kann ich Ihnen den Mantel abnehmen?" Die Gehege befinden sich am anderen | |
Ende des Flachbaus, erreichbar über einen fensterlosen Flur, neonhell. | |
Gäste bekommen einen Einwegmundschutz, Infektionsgefahr für die Tiere, und | |
Überschuhe. "Die hätt ich fast vergessen", sagt Kreiter, lächelt flüchtig. | |
Seine Sorge gilt jetzt vor allem der einstweiligen Verfügung, die noch | |
aussteht. "Wenn es die nicht gibt von den Bremer Richtern", er klingt | |
misstrauisch, "das wäre schlimm." | |
Ohne Schiebebeschluss müssten die Affen zum 1. Advent eingeschläfert | |
werden, fürchtet Kreiter. Wolfgang Apel nennt das "eine Drohung" und die | |
strengen Auflagen für die Pflege überlebender Versuchstiere nimmt er fast | |
sportlich: "Wir sind gerne bereit zu helfen", kündigt er an. "Da finden wir | |
eine Lösung." Apel ist Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Dass er | |
auch auf eine einstweilige Verfügung hofft, könne man nicht behaupten, aber | |
"eine Niederlage wäre das nicht". Wobei es schon auf die Ausgestaltung | |
ankäme: Das Grundrecht Forschungsfreiheit, das Staatsziel Tierschutz - | |
nicht ob, nur wann der Streit vorm Verfassungsgericht landet, ist offen. | |
Vielleicht läuten die Richter dort dann das Ende von Primatenversuchen in | |
Deutschland ein. Vielleicht kassieren sie das Tierschutzgesetz: Für | |
Experimente schreibt es deren "ethische Vertretbarkeit" vor, was schwammig | |
klingt. Und schwammig darf ein Gesetz nicht sein. Nur: Das dauert Jahre. | |
Und dass derweil "die Versuche unvermindert weiterlaufen", findet Apel, | |
"das kanns nicht sein." | |
An den schrillen Protestanekdoten hat Apel keinen Anteil. Er hat keine | |
abgehalfterten Profiboxer zum Protestieren aus Pforzheim nach Bremen | |
kutschiert und auch das Wort Makaken-Mengele nie benutzt. Dass militante | |
Tierversuchsgegner Kreiter-Puppen erhängt haben, findet er "schrecklich". | |
Aber Apel lebt schon immer in Bremen. Fragt man Kreiter, warum sich hier | |
alle über Primatenforschung aufregen und in Magdeburg oder Göttingen keiner | |
so recht, kommt er schnell auf diesen Umstand zu sprechen. Und "natürlich | |
spielt das eine Rolle", sagt auch Apel. | |
Seltene Eintracht. Schon 1997 schlug Apel Krach, da war Kreiter frisch | |
berufen, und in Bremen noch kein Makake operiert. Seither bilden der | |
Neurobiologe, der an seine Forschung glaubt, und der sendungsbewusste | |
Tierschützer ein Duo wie Camillo und Peppone. Kreiter vergleicht sich mit | |
einem Bauern, der ja auch die Fähigkeiten seiner Kühe im Stall nutzt. Apel | |
sieht Parallelen der Forschungsmethode zur Folter, "aber ich will den Affen | |
nicht vermenschlichen". Leiert Apel eine Unterschriftenkampagne an, ätzt | |
Kreiter: Der Tierschutzverein hätte wohl zu viel Geld. Werden Kreiters | |
Forschungen gerühmt, motzt Apel, den treibe doch bloß "die Aussicht auf die | |
x-te Fachpublikation". Wie Aufmerksamkeit sich in sensorischen Feldern des | |
Großhirns zeigt, erkundet Kreiter. Er hat entdeckt, dass die Neuronen im | |
Gleichtakt feuern, und zwar je nach Ort des wahrgenommen Gegenstandes in | |
unterschiedlichen Verbänden: Befindet er sich rechts, funken andere | |
Neuronengruppen, als wenn er sich links befindet - aber jeweils das gleiche | |
oszillierende Muster. Grundlagenforschung also. Dass er diesmal auch ein | |
medizintechnisches Forschungsvorhaben beantragt hat, wertet er als | |
Zugeständnis. Und Apel? Als "vorgeschobenes Totschlagargument". | |
Dafür ist es dann aber doch zu real: Der Entwurf für ein "System" und eine | |
"in ein Gewebe von Lebewesen implantierbare Vorrichtung", die drahtlos | |
"elektrische Bio-Aktivität" erfassen und beeinflussen sollen, ist unter | |
Patentnummer 102004014694 registriert. Ihr Erfinder ist Klaus Pawelzik, | |
Professor für Neurophysik in Bremen. "Ich arbeite eng mit Kreiter | |
zusammen", sagt er, zum Konsortium gehört der Bonner Epileptologe Christian | |
Elger, und ein Gerätehersteller soll auch dabei sein. "Anfang kommenden | |
Jahres", schätzt Pawelzik, "kann es losgehen." Die Kosten liegen bei 2,3 | |
Millionen, anderthalb sind beim Forschungsministerium beantragt, der | |
Löwenanteil für Bremen. Aber ein Staatsziel darf man auch nicht gegen 1,2 | |
Millionen ungelegte Eier aufwiegen: Die Förderzusage fehlt noch. Was es | |
gibt, ist "eine positive Bewertung", so das Ministerium: "Eine | |
internationale Expertenjury" habe den Antrag "empfohlen". Es bestätigt, | |
dass für die Entwicklung des Geräts "Primatenversuche unabdingbar" seien. | |
Aber die könne man auch "an anderen bundesdeutschen Einrichtungen" | |
durchführen. | |
Noch sind die Makaken da. Zwei Doktoranden öffnen eine Metalltür am Ende | |
des Korridors, sie führt in den Vorraum der Gehege. Kreiter beobachtet die | |
Nachwuchswissenschaftler schweigend. Für den breitschultrigen Doktoranden | |
ist es das erste Mal. Er rollt einen Würfel aus Plexiglas über die | |
Schwelle: einen Primatenstuhl. Die Gehege sind mit Holzspänen ausgestreut. | |
Einige Tiere sitzen am Boden und pulen Sonnenblumenkerne aus den Häckseln, | |
andere testen den Kletterparcours. Einen Affen hat die Pflegerin isoliert. | |
Er sitzt im Verschlag im Vorraum. An den Griffen des Plexiglaskäfigs, der | |
jetzt an die Metallstäbe gehalten wird, klebt ein laminiertes Schild, | |
"Bummel", der Name des Tiers. Das Gitter leistet kaum Widerstand beim | |
Hochschieben. | |
"Ein Primatenstuhl ist ein Unding", sagt ein Makaken-Experte, der anonym | |
bleiben will. "Kein Rhesusaffe würde sich da freiwillig reinsetzen." Bummel | |
scheint das nicht zu wissen. Er schlüpft hinüber, steckt sogar den Kopf | |
durch die obere Öffnung und wartet, bis der Flügeldeckel geschlossen ist. | |
"Er entscheidet sich für das kleinere Übel", so hat das der Berliner | |
Tierschutzprofessor Jörg Luy der Bremer Gesundheitsbehörde erklärt. In den | |
Tests erhalten die Affen einen Tropfen Saft für den richtigen Knopfdruck. | |
Ohne Durst gäbe es keine Kooperation. Der werde "als schwerer Mangel | |
empfunden", so Luy. Die Tiere stammen aus Trockengebieten, hält Kreiter | |
dagegen, sie kämen zwei Wochen ohne Flüssigkeit aus. Der "Pictorial Guide | |
to the Living Primates" gibt irgendwie beiden recht. Auch Halbwüsten seien | |
Habitate, "water is a limiting factor" steht da. Nur eben auch: "In the dry | |
season, they drink 3-4 times a day." Und das wohl nicht in Minischlückchen. | |
Der Breitschultrige redet auf das Tier ein. "Makakenflüsterer", piesackt | |
ihn der Blonde. Der Affe trägt sein Hütchen aus rosa Zahnzement mit Würde. | |
Im Labor werden ihm haarfeine Elektroden in den Cortex gesenkt, eine | |
schmerzlose Prozedur. Sie messen dann die Aktivität einzelner Neuronen. Als | |
Kanal dient ein kleiner Metallzylinder. Wie ein aufgeklebter Schornstein | |
steht er vom Kopf ab. Im Kunstlicht blitzt er auf, als das Tier den Kopf | |
dreht, noch kann es den Kopf drehen. Nachher, im Labor, wird Bummel | |
festgeschnallt. Sein Blick wird auf den Monitor ausgerichtet, auf dem | |
Muster aufscheinen. Vier Stunden dauert die Schicht. Jetzt beäugt der Affe | |
den Gast, das wirkt kritisch und fast schon blasiert, als wollte er sagen: | |
Du hast doch eh keine Ahnung. Und er hätte ja recht. Wie ein Rhesusaffe | |
ausschaut, wenn er leidet: Das lässt sich schwer sagen. | |
18 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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